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„Komm zu mir Pandora. Komm schon meine Liebe, es ist so einfach.. du musst nur meiner Stimme folgen.“, frohlockte eine zarte Frauenstimme. Sie klang melodisch, wie ein Lied ob wohl sie keinesfalls in Versen sprach. Ruhig und langsam, gut verständlich und doch klang sie wie Musik in meinen Ohren.
Ich folgte ihr. Ich folgte dem Ruf, der Bitte, der unbekannten Stimme die kein Gesicht trug.
Ein schmaler Pfad bot sich mir, schlängelte sich entlang eines dunklen Waldes bis zu einem gewissen Punkt in dem er in eben diesem Wald untertauchte, ihn regelrecht verschluckte mit seiner Dunkelheit. Ich konnte spüren wie mein Puls sich noch mehr beschleunigte. Mehr wie ohnehin schon. Es raste, schien davon laufen zu wollen. Ich war aufgeregt, nervös. Aber konnte man es auch als Angst bezeichnen?
Meine Beine trugen mich allerdings unaufhörlich weiter den lieblichen Worten der gesichtslosen Stimme hinterher „Hier entlang, Liebes... es ist nicht mehr weit. Du hast es gleich geschafft..“ Freude breitete sich in meinem Körper aus, dabei hatte ich keine Ahnung was ich bald geschafft hatte. Aber das schien keinerlei Rolle zu spielen. Ein Gefühl von Glück, Sicherheit und Geborgenheit breitete sich von meiner Brust aus in meinen Körpern aus. Es durchflutete mich, schloss durch meine Glieder. Und als es sich gänzlich ausgebreitet hatte, wurde aus der melodischen und wunderschönen Stimme ein zerrissenes, äußerst dunkles Knurren das kaum noch zu verstehen war.
Von einer Sekunde auf die andere verzerrte sich die liebliche Melodie zu einem beißenden Kratzen das in den Ohren schmerzte. Ich konnte nicht verstehen was sie zu mir sagte, dazu war ich zu überrumpelt von der plötzlichen Kälte die sich um mich herum ausbreitete, mich zu verschlucken schien.
Von einer Sekunde auf die andere verschluckte sie die Glücksgefühle, die Sicherheit und Geborgenheit die mich zuvor in Begleitung der einlullenden Stimme umgeben und empfangen hatte war mit einem mal verschwunden. Von mir gerissen und schien nicht wieder kehren zu wollen. So sehr ich es mir auch wünschte, sie waren weg und machten Panik, Angst, Kälte und unangenehmen Schmerzen Platz...
Keuchend riss ich die Augen auf, die Hände hatte ich zu Fäusten geballt und das wohl schon eine ganze Weile, denn meine Fingernägel – nicht einmal von sonderbarer oder außergewöhnlicher Länge – hatten sich in meine Handinnenfläche gegraben und im ersten Moment schaffte ich nicht meine verkrampfte Haltung zu lösen, unmöglich.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals, mein Atem ging stoßweiße und laut, Schweißperlen hatten sich auf meiner Stirn gebildet.
Es war nur ein Traum, Pandora.. nur schon wieder ein Traum... Beruhige dich, redete ich mir in meinen Gedanken gut zu. Ich schloss die Augen langsam wieder, sank zurück in meine ursprünglich liegende Haltung auf einem abgewetzten, ziemlich zerschlissenen und alten Sofa, auf welchem ich meine Jacke ausgebreitet hatte um nachher nicht vollkommen staubig durch die Gegend laufen zu müssen.
Als ich mich in dem alten, abrissreifen Haus am Rande einer ehemals wohl prachtvollen, riesigen Stadt eingenistet hatte war es früher Vormittag gewesen, vielleicht 11 Uhr. Maximal. Die Sonne hatte geschienen, die Vögel gezwitschert, doch schon jetzt konnte ich hören, wie relativ starke Windböen am Gerüst des Hauses zerrten, wie die Fensterläden gegen die Hausfassade schlugen, zumal es um einige Grad kälter geworden war, wie sich schon bald anhand einer unangenehmen Gänsehaut auf meinem Körper bemerkbar machte – nachdem ich diesen wieder annähernd unter Kontrolle hatte und mich so langsam aufrichten konnte, um einen Moment meine roten Handinnenflächen zu betrachten, mit einem leisen Seufzen letztlich aufzustehen.
Ich nahm mir den schwarzen Parka von dem Sofa, dessen Polster teilweise schon herausgerissen waren oder gar zerfleddert über dem Boden verteilt lagen. Mit steifen Gliedern klopfte ich den Staub, den Schmutz von dem schwarzen Kleidungsstück, ehe ich hinein schlüpfte und einen flüchtigen Blick auf die Tasche zu meinen Füßen warf. Wie lange hatte ich geschlafen? Auf Uhren konnte man schon lange nicht mehr zählen, ich hatte schon lange keine funktionierende mehr in die Hand bekommen und wenn doch, dann konnte man sich wiederum nicht sicher sein ob sie denn wirklich stimmte.
Zumal sie ohnehin kaum noch etwas bedeuteten. Manche Nächte waren doppelt so lange wie die Tage, manche dauerten nur wenige Stunden an und manchmal schien es Wetterbedingt erst gar keine Nacht zu geben. So kam es einem zumindest vor.
Wieso ich um diese Zeit geschlafen hatte? Weil ich momentan ohnehin ziemliche Probleme hatte zu schlafen, wie gerade wohl auch deutlich geworden war. Alpträume – meist eben dieser von eben – raubten mir meinen Schlaf und ich lag oft Stundenlang da und starrte in die Dunkelheit, während die Geräusche der Nacht es mir unmöglich machten die Augen zu schließen. Eben aus diesem Grund war ich heute Vormittag so wahnsinnig müde gewesen, zumal ich das Hungergefühl hatte auch in irgendeiner Weise eindämmen und hinauszögern wollen. Und wie ging das bitte besser als mit einer Runde Schlaf die ich so oder so dringend nötig gehabt hatte?
Mit einer einfachen, fließenden Bewegung kniete ich mich auf den dreckigen Boden neben dem schwarzen Rucksack der dort lag, mein Hab und Gut beinhaltete. Alles was ich hatte. Schon komisch, dass das alles in einen einzigen Rucksack passte.
Ich zog den Reisverschluss auf, zog eine kleine, weiße Tüte hervor in der sich ein bisschen Brot und Käse befand. Noch nicht alt – wie auch? Sonst wäre es kaum noch essbar. Ich hatte es gestern eher durch Zufall gefunden und war dankbar über diese Abwechslung in meiner Ernährung. Sehr sogar. Beherzt biss ich in das Brot, schob es anschließend aber auch schon wieder zurück in die Tüte, die im Rucksack verschwand, welchen ich schloss und anschließend auch schon über meine linke Schulter warf.
Kurz darauf trat ich, in meinen vom Boden nun staubigen, schwarzen Röhrenjeans, dem weinroten Pullover den ich unter dem schwarzen Parka trat, mit offenen Haaren und ziemlich abgewetzten Chucks vorsichtig aus dem Zimmer, anschließend dem alten, dreckigen Haus in dem ich die letzten Stunden verbracht hatte.
Von der Sonne war keine Spur mehr, der Himmel war bedeckt von grauen Wolken, ein kühler Wind empfing mich sofort, blies mir die Haare ins Gesicht und ließ einige Blätter durch die Gegend wirbeln. Hoffentlich begann es nicht auch noch zu regnen, oder gar zu gewittern..
Der Wind rauschte laut durch das Dach hinweg, fuhr durch die Bäume in unmittelbarer Nähe und zerrte gar ungeduldig an den vereinzelten Blättern, die dem Klima bisher standhalten konnten. Normalerweise ermüdete mich das Geräusch der Böen draußen vor dem Haus, wie es das wackelige Gebäude zum Erzittern brachte und bei enormen Stärken ganze Waldgiganten entwurzeln konnte. Andere versetzte dieser Zustand in Angst und Bange, aber ich fühlte mich dabei immer behütet, bekam nur dank meiner Ohren vermittelt, was sich für ein Unwetter keine paar Meter neben mir außerhalb meiner vier Wände abspielte. Doch dieses Mal war es anders, denn anstatt dass es mich erneut in die Tiefen des beruhigenden Schlafes führte, hielt mich der pfeifende Wind weiterhin in der Realität fest. Vorerst hielt ich die Lider noch geschlossen, spürte nur die wärmende Decke über meinem Körper, den weichen Polster unter meinem Kopf und die feinen Haarsträhnen, die mir über die Wange gerutscht waren. Schon in aller Früh waren meine Sinne scharf und kontrollierten die Umgebung, in diesem Fall horchte ich jedoch nur aufmerksam. Schließlich entschied ich mich doch, dass weitere zehn Minuten gereicht hatten und ein neuer Tag starten konnte. Ich lag gerne ruhig auf meiner Matratze, hörte nur der Welt um mich herum zu, viel zu lange hatten wir sie ignoriert und nun hatten wir die Konsequenzen dieses Missachtens zu tragen – es war unser Verschulden und demnach auch unser Pech. Jedoch war das nun nicht mein Hauptgedanke, als ich da so mit entspannter Mimik im Bett lag und den Gedanken ihren freien Lauf ließ. Viel eher war mein Interesse an dem kommenden Tag, was er für mich offen halten würde, weshalb ich mich nun doch dafür entschied, dass genug ausgerastet worden war und ich mich einmal wieder blicken lassen sollte. Immerhin war es laut meinem Bauchgefühl bereits spät genug, um aus den Federn gekrochen zu kommen.
Meine Augenlider flatterten, öffneten sich und dennoch blieb meine Welt dunkel wie die finsterste Nacht, zumindest stellte ich mir so die unendliche Dunkelheit der Nacht vor. Meine Augen konnten nichts erkennen, das Zimmer blieb weiterhin im Verborgenen. Nichts, woran ich nicht bereits gut zwanzig Jahre gewohnt war. Wie selbstverständlich schlug ich die Decke zur Seite und schwang die Beine aus dem Bett, sodass ich kurz darauf einen eisigen Stich verspüren konnte, als ich die Fußsohlen auf den kalten Parkettboden legte und mich aufrichtete. Mit geübter Hand tastete ich nach der Decke, hob sie einmal auf und ließ sie dann wieder zurück fallen, wo ich sie daraufhin glatt strich und zufrieden nickte. Vor meinem geistigen Auge war mein Bett nun schön gemacht und alles zu meiner Zufriedenheit erledigt. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben Schritte, die rechte Hand ausstrecken und schon umschlossen meine Finger die kühle Türschnalle. Mit leichtem Druck schwang die Tür nach außen auf und es folgten weitere elf Schritte, bis ich vor der Badezimmertür stand, die ebenfalls nach außen aufging. Ich kannte das Haus in und auswendig, wusste wie viele Schritte ich von welchem Standpunkt aus gehen musste, um an mein erwünschtes Ziel zu kommen. Genauso hatte ich einen sehr genauen Plan von allen Möbeln in meinem Kopf, sodass ich wusste, wo sich die Dusche befand, unter die ich mich kurz darauf stellte. Das kühle Wasser weckte mich restlich auf, zog eine leichte Gänsehaut über meine Arme und trieb mich ziemlich schnell wieder ins Trockene, wo ich mich abtrocknete und das flauschige Handtuch um meinen schmalen Körper wickelte. Dann mussten noch meine Haare geföhnt werden, was ebenfalls schnell erledigt war – meine morgendliche Routine nahm niemals viel Zeit in Anspruch. Es dauerte wieder dieselben elf Schritte, um von dem Badezimmer bis zu meinem Schlafzimmer zu kommen und weitere neun um zu dem Kasten zu kommen. Geschickt zog ich mich um, es war eine enge Jean und ein einfacher Pullover mit Kapuze.
Vollständig angezogen fand ich zurück auf den schmalen Flur bis hin zu der knarrenden Holztreppe – sechs Stiegen, dann eine enge Kurve und dann erneut sechs Stiegen nach unten. Unten angelangt kam ich nach weiteren dutzend Schritten in der Küche an, griff mir zielsicher einen kleinen Apfel, der ganz sauer auf meiner Zunge schmeckte und alles andere als sättigend war. Wirklich satt machte mich nur eines, aber so schnell konnte ich mir diese Nahrung nicht sichern, weshalb vorher dieses lächerliche Obststück herhalten musste. Mit der runden Frucht in der Hand suchte ich meinen Weg bis hin zur Eingangstür, aber bevor ich diese aufzog, schlüpfte ich in meine wärmenden Boots und die wetterfeste Jacke. Nur drei Schritte über die überdachte Veranda und dann zwei Stufen hinunter, wo mich der erwartete Wind bereits empfing und mit meinen Haaren zu spielen begann. Mit geschlossenen Augen atmete ich die kühle Luft ein und spitzte meine Ohren, schließlich war es egal ob ich die Augen offen oder zu hatte.
Der frische Duft von Wald lag in der Luft. Der Wind umspielte meinen Körper liebevoll und ein paar letzte Vögel zwitscherten zwischen den Bäumen. Ich wusste nicht, ob es wahr war, aber während ich so mit geschlossenen Augen da saß, stellte ich mir vor, wie die wärmende Sonne auf mein Gesicht schien und der Wald um mich herum grün erstrahlte. Frühling. Das war die Jahreszeit, die ich im Kopf hatte, obwohl ich ja noch nie einen solchen wirklich gesehen hatte. Oder das Grün von irgendwas. Auch war der Wind eigentlich viel zu kalt, um wirklich zum Frühling zu passen, wie er in meiner Fantasie war, aber das machte mir nichts aus. Mit offenem Mund atmete ich den Duft des Waldes ein und blieb noch einen Moment still sitzen, dann schlug ich die grauen Augen auf und blickte weiter in dieses Nichts, an das ich mich schon gewöhnt hatte. Ich saß auf einem umgefallenen Baum und meine Hände ruhten auf dem bemoosten Stamm. Ich vergrub die Finger der linken Hand ein wenig in dem weichen, feuchten Gewächs und erhob mich dann von meiner Position. Einen Augenblick blieb ich noch einfach stehen, lauschend, ob da etwas in der Nähe war, dann bewegte ich mich lautlos vorwärts. Ich brauchte mich nicht mit den Händen zu orientieren, da es meine Ohren für mich taten. Wind war gut, um durch den Wald zu laufen. An jedem einzelnen Baum prallte er ein bisschen ab und so wanderte ich, wenn auch relativ langsam, vollkommen ohne Probleme durch den dichten Wald zurück zu unserem Lager. Eine kleine Siedlung mit relativ gut erhaltenen Häusern. Ausreichend, um darin eine Weile zu bleiben und nicht zu nah an einer belebten Gegend. Wir hatten also ein bisschen unsere Ruhe und waren doch nie weit von etwas weg.
Der Wald zog sich nur noch ein kleines Stück vor mir hin, als ich ein anderes Geräusch wahr nahm, als den Wind. Da hatte sich etwas bewegt, nicht weit von mir und mein Kopf ruckte nach links, dem Geräusch entgegen. Lauschend kniff ich die Augen ein Stück weit zusammen, den Mund einen Spalt geöffnet, atmend, absolut lautlos. Und wieder. Ein kleiner Ast knackte, dann noch einer. Ein leises Piepsen war zu hören und dann der Flügelschlag eines Vogels. Vermutlich hatte er nach Würmern oder Samen gesucht. Vielleicht auch nach etwas, um ein Nest zu errichten. Die Tiere hatten es auch nicht leicht zu dieser Zeit. Fang ihn, flüsterte eine Stimme in meinem Kopf. Er würde nicht mal eine Person satt machen. Nicht ein Kind und ich wäre lange beschäftigt, um ihm wirklich zu folgen. Das lohnt sich nicht, widersprach ich dieser Stimme vernünftig in meinen Gedanken. Meine Haltung wurde wieder entspannt und ich wandte mich meinem Pfad zu, um zurück ins Dorf zu gelangen. Keine zwei Minuten später war ich auch schon da und machte mich auf den Weg zu meinem Haus. Zu den Unterkunft von mir und ein paar anderen Kriegern, um mich auszuruhen. Ich war eine Weile im Wald unterwegs gewesen – leider erfolglos.
Der Wind hatte auch an diesem Tag wieder viel zu erzählen. Frisch und unaufhaltsam zog er durch die kleine Siedlung, die wir unser Heim nennen konnten. Jeder trug ein anderes Bild von der Anordnung unserer halbwegs stabilen Wohnhäuser, jeder stellte sich den umliegenden Wald mit den vielen Geschichten, die von jedem noch so kleinen Rascheln der Blätter verraten wurde und jeder hatte eine andere Einstellung zu unserer Blindheit. Dabei musste man nur lernen zuzuhören!
Wie jeden Tag stand ich meine paar Minuten keine fünf Meter von meinem eigenen kleinen Häuschen mit dem umgefallenen Baum im Dach, der bei einem besonders starkem Gewitter umgefallen war, aber von meinem Dachstuhl aufgefangen worden war – ein gewisses Risiko, aber ich wollte dennoch nicht umziehen – entfernt und ließ den alles andere als frühlingshaften Wind die Wärme aus meinem Gesicht vertreiben. Verschiedenste Gerüche strömten aus dem Wald zu mir herüber, tapezierten meine Gedanken mit Bildern von unberührter Wildnis und Freiheit. Es hieß doch immer, dass der Frühling die Welt aus ihrem tiefen Winterschlaf holte und alle Pflanzen neu erweckte, sodass es überall wieder in einer farbenfrohen Vielfalt erblühte. In meinem Kopf kamen dabei die exotischsten Kombinationen heraus. Es war, als hätte niemals etwas anderes existiert. Dennoch wusste es mein Verstand besser, der sich nicht von diesem verheißenden Flüstern des Windes hinreißen ließ, sondern weiterhin rational denkend blieb. Es brachte mir nichts, wenn alles langsam erwachte und aus dem Boden sprießte. Sehen konnte ich es nicht, gerade einmal die Folgen dieser jedes Jahr passierenden Abfolge der Jahreszeiten konnte ich anhand von ein paar mehr Tiere in dem Wald erkennen und auskosten.
Still, wie zu einer Eisskulptur gefroren verharrte ich auf meiner Stelle und blieb aufmerksam für meine Umgebung, was mit den geschärften Sinnen keine Schwierigkeit war. Der Wind trug jegliche Geräusche näher an mich heran oder lenkte sie von mir weg, je nachdem. Dieses Mal wehte er zu meinem Gunsten, ich hatte ein Geräusch, Schritte mussten es sein, vernommen und diese auf einen männlichen Achak zurückführen können. Er trat schwerer auf, war nicht ganz so leichtfüßig wie seine weiblichen Artgenossen unterwegs und dennoch würden ihn menschliche Ohren nur mit viel Anstrengung vernehmen. Mit ausdruckslosen Blick in den nun geöffneten Augen schaute ich in die Richtung, in der ich die Person vermutete und konnte erahnen, dass sie bald meinen Weg schneiden würde, obwohl ich nach wie vor wie verwurzelt auf dem Standpunkt blieb. Ich zählte in Gedanken die Schritte ab, wie lange es noch brauchen würde, bis mich der andere Achak dank seines feinen Gehörs trotz der Windrichtung hören konnte. „Hattest du draußen Glück?“ Es war nie ein Fehler, wenn man sich schlau machen wollte und welchen Nutzen würde es haben, wenn ich mich nun selber in den Wald aufmachen würde, wenn bereits jemand anderes den Weg auf sich genommen hatte? Zwar war jeder Einzelne von uns geschickt, hatte sich an die Einschränkungen angepasst, aber dennoch dauerte es seine Zeit bis wir durch das Labyrinth aus Bäumen und Unterholz kamen.
In der Siedlung war der Wind schwächer, ein bisschen gedämpft durch die enger stehenden Häuser und trotzdem klar auszumachen. Ich wusste, dass das Gebäude nicht weit von mir entfernt lag. Auf der linken Seite der Straße – wenn man es so nennen konnte – etwas fünf Häuser hinter dem Waldrand. Es war nicht groß und beinahe jeder Raum wurde als Schlafplatz genutzt. Wenn wirklich ein Angriff oder Ähnliches bevorstand war es vermutlich sinnvoll, wenn die Krieger nicht alle verteilt schliefen, sondern schnell und relativ gleichzeitig geweckt werden konnten. Mein Zimmer – und das eines einzigen weiteren Kriegers – lag im ersten Stock des Hauses. Die Treppe war ein wenig zerfallen und man musste direkt an der Wand laufen, um noch jede Stufe zu erwischen, aber das machte mir nichts aus. Außerdem würde nicht das ganze Haus auf mich fallen, wenn es tatsächlich einstürzte. Und ich fühlte mich weiter oben, näher am Himmel mit der kühlen, frischen Luft, einfach wohler. Deshalb kletterte ich auch – so gefährlich es auch sein konnte – unglaublich gerne auf hohe Bäume und erkundete so die Umgebung.
Im Dorf war ein bisschen was los. Einige waren in ihren Häusern oder wie ich bis gerade noch unterwegs, um Essen zu sammeln und die Umgebung auf Feinde zu untersuchen. Dennoch spürte ich gelegentlich die Anwesenheit einzelner Personen. Eine der Frauen saß an der Seite und flocht einen Korb oder ähnliches, ich konnte das feine Stroh in ihren Fingern knistern hören, während sie Strähne über Strähne legte. Es kam mir auch ein anderer Krieger entgegen, der mich murmelnd grüßte und direkt im Wald verschwand. So locker, wie er lief, schien er sich noch auf seine Augen verlassen zu können. Einer der Wenigen in unserer Gesellschaft. Eine Person jedoch bemerkte ich erst, als ich ihr ganz nah war. Sie stand wohl länger absolut still, mit sanfter, flacher Atmung und lauschte, wie ich es auch gerne ab und an tat. Erst wenige Schritte vor ihr, nahm ich sie wahr. Der Wind stieß an einen minimalen Widerstand. Zu gering für ein Gebäude oder gar einen kräftigen Krieger, aber noch bevor ich meinen Gedankengang beenden konnte, nahm ich Nereas Stimme wahr. Die rechte Hand unseres Oberhaupts. Ich blieb also stehen, wandte meine grauen Augen ihr zu und spürte fast, wie sie mich ebenfalls ansah ohne mich zu sehen. „Leider nein. Im Wald ist alles still, kaum ein Tier bewegt sich“, antwortete ich ihr direkt. Sie war eine der Personen unseres Stammes, der gegenüber ich mich am meisten verpflichtet fühlte. Sie gehörte immerhin zu jenen, die alles überwachten, planten und jedes Mal genau den Zeitpunkt ausmachen konnten, an dem es zu gefährlich wurde, obwohl wir Krieger es noch nicht so eingeschätzt hätte oder schon lange verschwunden wären – ebenso, wie der Rest der Achak. Ich blieb also starr stehen, lauschte weiterhin dem Wind und erwartete ein bisschen, dass sie mir vielleicht eine Aufgabe geben würde. Natürlich war ich schon länger unterwegs und wollte eigentlich etwas ruhen, aber ich war keinesfalls müde oder erschöpft und zu loyal, um mich einem Befehl zu widersetzen.
Geduldig wartete ich auf seine Antwort, Zeit hatte ich immerhin genug. Überhaupt kam es mir so vor, als hätte man so viel mehr Zeit zum Nachdenken, wenn man die restliche Welt nicht permanent vor Augen hatte und an die ewige Hast erinnert wurde. So konnte man ganz gezielt etwas ausblenden, es einfach in den Hintergrund verschieben und es in der Wichtigkeit abstufen, sodass mehr Konzentration für andere Situationen übrig blieb. Zeit war im Allgemeinen etwas Relatives, wenn man eine verlangsamt alterte und selbst mich über sechzig Jahren noch immer blutjung, unerfahren und alles andere als gefährlich wirkte. So geschah es in meiner Vergangenheit schon oft, dass ich unterschätzt wurde, für keine Bedrohung gehalten wurde, aber mindestens genauso oft hatte sich dieses falsche Gefühl der Sicherheit revanchiert und für einen frühzeitigen, sehr leidvollen Tod gesorgt. Wahrscheinlich war ich deshalb so schnell an die rechte Seite des Oberhauptes gekommen, wahrscheinlich lag es noch dazu an meiner Erfahrung und den Diensten, die ich unserem Stamm nun schon erbracht hatte. Mein einziges Problem war jedoch im Augenblick noch, dass ich dieses Amt erst seit knapp einem Jahr bekleidete und die Fußstapfen, in die ich getreten war, sehr ausgeprägt waren. Es gab sicherlich nach wie vor vereinzelte Bewohner des versteckten Dorfes, die keine überwältigend große Sympathie für mich empfanden. Zu meinem eigenen Glück hatte mich sowas noch nie wirklich interessiert und wie mir der junge Krieger vor mir bewies, gab es auch genug, von denen ich Respekt geschenkt bekam.
An seiner Stimme konnte ich Elija erkennen, ein Krieger, der für seine Loyalität bekannt war und durchaus wie jeder andere tapfere Krieger geschätzt und benötigt wird. Nickend nahm ich seine Antwort zur Kenntnis, dachte einen Moment über seine Worte nach und äußerte mich dann selber diesbezüglich noch einmal „Ich habe es vermutet.“ Der Wind war stark gewesen, weswegen sich die meisten Waldbewohner in den Schutz ihrer Verstecke zurück gezogen hatten und wahrscheinlich noch abwarten würden, bis sich die Stäke ein wenig gelegt hatte. Nur bezweifelte ich stark, dass sich dies allzu schnell wieder ändern würde und ehe man sich versah, war es bereits Nacht, in der sich ganz andere Räuber herumtrieben, die das Wild erst recht wieder verschreckten. „Dennoch können wir nicht auf besseres Wetter warten, der Stamm hat weiterhin Hunger“ erhob ich erneut meine ruhige Stimme und fixierte dabei allein mit meinen Worten den jungen Mann, der nur wenige Schritte von mir entfernt stand „Ich überlege in die Stadt zu gehen, mich dort nach Reserven umzusehen und brauche noch einen Krieger mit, falls es zu Komplikationen käme“ drückte ich mich sorgfältig gewählt aus und ließ dabei unterschwellig die Anforderung mitschwingen, dass er sich entweder alleine dem Ausflug stellte oder jemand anderes als Begleitung zu mir schicken würde. Zwar traute ich mir dieses alles andere als gefährliche Unterfangen auch alleine an, aber Hände besaß ich dennoch nur zwei. Es war eine der obersten Verbote, dass man sich den anderen mutierten Rassen der Menschheit nicht zeigte, aber wenn sich der Wald so unnachgiebig erwies und keinerlei Nahrung für uns hergeben wollte, mussten wir unser Jagdrevier eben ausbreiten. Es galt umzustrukturieren und umzudenken. Es galt einen kleinen Stamm am Leben zu erhalten – koste es, was es wolle. Aus diesem einzigen Grund war unser Oberhaupt auch für die Absegnung dieser Exkursion und dass ich jemanden an meiner Seite mitnehmen durfte. Elija hatte das Pech beziehungsweise das Glück mir als erster Krieger an diesem Tag über den Weg zu laufen.
Ich kniff die Augen zusammen. Mein Blick war in die Ferne gerichtet.. aber was ich genau beobachtete, konnte ich nicht einmal so genau sagen. Ich starrte eher, als dass ich irgendetwas Besonderes mit meinen grünen Augen fixierte. Nicht einmal meine Gedanken konnte ich zu einem Thema zuordnen, ich saß einfach völlig entspannt da und.. starrte vor mich hin. Wie so oft, wenn ich nichts zu tun hatte. Wenn ich mich mehr oder weniger langweilte. Dann fand man mich oft auf dem flachen Dach einer alten, heruntergekommenen Industriehalle. Wenn man mich jetzt sehen könnte, würde man vielleicht denken ich wäre lebensmüde oder so- immerhin saß ich am Rand des Daches, die Beine ließ ich an den steilen Außenfassaden der Halle herunterbaumeln. Aber lebensmüde war ich ganz und gar nicht. Oder.. naja, vielleicht schon ein bisschen- wobei nicht im Sinne von Selbstmord oder so. Eher schon in dem Sinne von unaufhörlichen Provokationen, Spaß daran zu haben, anderen Lebewesen beim Leiden zuzusehen. Und das Risiko. Ich liebte es, auf Risiko zu gehen. Wie hieß es doch so schön? No risc, no fun. Tja, und genau die Aussage traf es auch perfekt. Irgendwann löste ich mich aus meiner Starre, atmete tief durch und ließ meinen Blick einen Augenblick lang umherschweifen. Der Wind wehte, hier oben auch noch etwas stärker als unten. Immerhin war die Halle doch recht hoch, Bäume standen nur in einiger Entfernung und selbst die waren nicht groß genug, um die Industriehalle zu überragen. Meine Finger trommelten in gleichmäßigem Takt auf das schon rostende Blech, das wohl mal als Schutz vor der Witterung angebracht worden war. Aber wie das eben so war holte sich die Natur alles zurück. Ich ließ kurz meine Schultern kreisen, dann fuhr ich mir mit der rechten Hand durch meine wirren, dunklen Haare und stand schlussendlich auch auf, um mich auf den Weg nach unten zu machen. Mein Weg führte mich quer über das Dach zu einer schweren, grauen Tür, die ich aufzog und die mir den Zugang zu einer Treppe freigab. Die Tür fiel hinter mir ins Schloss und immer zwei Stufen auf einmal nehmend lief ich anschließend die unzähligen Treppenstufen hinab, bis ich irgendwann auf dem Grund der leeren Halle angekommen war. Etwas Brauchbares fand man hier nicht. Hier lagen nur einige Kabelbinder herum, hier und da war mal ein Stück von einem unbenutzten Holzbrett. Und selbst die verrotteten schon. Völlig dicht war hier drin ja auch nicht mehr alles und kalt und feucht war es ja auch. Ganz zu schweigen von den unzähligen Rattenbiestern, die in der Dunkelheit hier ihr Unwesen trieben. Letztendlich spazierte ich durch die große Eingangstür nach draußen, so als ob es ganz normal wäre, dass hier immer jemand ein- und ausging, und zog mir erst einmal die Kapuze meines schwarzen Kapuzenpullis ins Gesicht. Während ich über das heruntergekommene Gelände und anschließend über eine Schotterstraße lief, überkam mich plötzlich eine unangenehme Müdigkeit. Meine Augenlider wurden schwer und gerade wünschte ich mir wahrlich nichts sehnlicher als ein Bett, eine Pritsche oder was auch sonst. Irgendwas, wo ich mich hinlegen konnte und schlafen konnte. Nur das Problem war ja eigentlich nicht, dass ich müde war.. ich hatte vielmehr Hunger. Hunger auf die Schmerzen von Anderen, auf das Leid Anderer. Und dieses Hungergefühl ließ sich nicht durch eine Mütze voll Schlaf beseitigen, das wusste ich wie jedes andere Lebewesen hier auch. Minuten verstrichen und sie kamen mir vor wie Stunden. Nur, dass es eben keine Stunden waren.. wenn überhaupt war es vielleicht eine halbe Stunde, in der ich meines Weges ging und mich daran zu erinnern versuchte, wann ich das letzte Mal einer Person Schmerz hinzugefügt hatte. Oder wann ich das letzte Mal jemanden provoziert hatte. Aber dieser unersättliche Hunger machte mich nicht nur körperlich lahm, sondern auch mein Gedächtnis schien mit der minimalsten Geschwindigkeit überhaupt zu arbeiten. Gerade als ich abbiegen wollte und in die Richtung laufen wollte, in der ich einige meiner Genossen vermutete, bemerkte ich leicht links von mir eine Gestalt. Eine weibliche Gestalt mit Rucksack vor einem heruntergekommenen, schon abrissreifem Haus. Ruckartig blieb ich stehen, kniff die Augen zusammen und verwarf vom einen auf den anderen Moment jegliche Gedanken daran, dass ich ja eigentlich ein Bett mal wieder schön fände. Absurder Gedanke. Wirklich.. Vor allem, wenn man so ein hübsches Stück.. Frischfleisch vor die Nase gesetzt bekam. Himmel, hörte sich wirklich.. schweinisch an. Naja, aber so war es nun einmal.. die Frau war alleine, schien mir perfekt für ein paar Spielchen. Ich drehte mich ganz in ihre Richtung, lief dann langsam auf sie zu und mein vorheriges amüsiertes Lächeln verwandelte sich in einen.. mehr oder weniger vorerst freundlichen Blick, während ich direkt auf sie zulief. Nicht aus dem Hinterhalt.. nein.. „So eine hübsche, junge Frau und dann ganz alleine?“ fragte ich mit ruhiger, freundlicher, aber leicht rauer Stimme und lächelte leicht, als ich nur noch wenige Meter von ihr entfernt war. Ich hielt einen Hinterhalt nicht für nötig, immerhin konnte ich so ein wenig auf meine ‚nette‘ Seite setzen.. und somit die Spielchen beginnen lassen..
Ein sanftes, schräges Lächeln umspielte meine trockenen Lippen. Sie sagte es nicht direkt, aber doch waren ihre Worte für mich mehr als nur deutlich. „Ich biete mich als Begleitung an, wenn es euch recht ist. Ich bräuchte bloß einen kurzen Augenblick, um eine Tasche oder ähnliches zu holen. Sollte der Ausflug – und so hoffe ich – erfolgreich sein, muss die Nahrung ja auch transportieren werden“, erwiderte ich ruhig und schlicht. Ich war kurze Zeit versucht mich ein Stück weit zu verneigen, kam mir dabei dann aber doch merkwürdig vor. Keiner von uns würde eine solche Geste bemerken, ein Nicken konnte ich selbst nur schwach erahnen, da ihre Haare sich leicht bewegt hatten, allerdings taten sie das bei dem Wind sowieso die ganze Zeit und so war ich unsicher. Erst jetzt kam mir der Gedanke, dass sie mit ihrer Aussage eventuell gar nicht mich hatte auffordern wollen mich selbst anzubieten, sondern eher jemand anderen zu holen. Womöglich jemanden, der in der Stadt mehr sah, als einer von uns. Nicht, dass ich mich beleidigt fühlen würde, aber doch war es in manchen Situationen von Vorteil nicht ganz blind zu sein – unter anderem, wenn man besondere Nahrung suchte. Ich selbst würde eher weniger zu einer Konservendose greifen, da sie derart verschlossen ist, dass meine Sinne mir auch nicht ausreichen, um sie wahr zu nehmen.. außer ich stoße direkt dagegen. Wieder musste ich einen kurzen Moment schmunzeln, da mir genau das einmal vor ein paar Jahren passiert war. Ein falscher Schritt und da waren sie: schön gestapelte Konserven, die sich einfach so mitten in meinen Weg gestellt hatten. Unbemerkt und ungesehen. Ein richtiger Glücksfall und leider viel zu selten. Konserven waren ja aber auch nicht unbedingt das, wonach wir suchten. Sie machten satt und doch konnte ich meinen Hunger mit ihnen nicht stillen. Ich war nicht direkt blutrünstig, aber es gehörte schon zu mir, dass ich meine Beute lieber selbst fing und erlegte. Frisch ist alles immer besser, als wenn es schon konserviert wurde und in irgendwelche Brühen eingelegt.
Bevor ich mit meinen Gedanken in die Vergangenheit abschweifen konnte, blinzelte ich ein paar mal und blickte wieder zu Nerea, die sicherlich nicht warten wollte, bis ich mich mit Anekdoten meines Lebens beschäftigt hatte. Sonderlich viele und sonderlich schöne gab es da ja aber auch eh nicht. Deshalb hatte ich mich selbst davon überzeugt, dass die Gegenwart immer wichtiger war. In der Gegenwart leben und dem Stamm dienen. Tun, was von mir verlangt wurde ohne es groß zu hinterfragen. Vermutlich war diese Einstellung auch ein Grund dafür, dass es mir keinesfalls etwas ausmachte, wenn ein Sehender mir vorgezogen wurde oder jemand, der besser mit einer anderen Waffe umgehen konnte oder auch einfach so. Jeder hatte hier seine Aufgabe und egal, welche es gerade war, ich würde meine erfüllen ohne zu zögern. Du Idiot, jetzt wirst du schon wieder unaufmerksam!, schimpfte ich in Gedanken mit mir selbst, blinzelte erneut ein paar Mal und konzentrierte mich dann darauf im Hier und Jetzt zu bleiben, statt wie so oft meinen eigenen Gedanken nachzuhängen.
Kommunikation lief im Normalfall über drei Ebenen: die verbale, die nonverbale und die vokale. Wenn man der Sehkraft beraubt wurde, dann fiel da schon so einiges weg und man hatte es nicht mehr so leicht alle versteckten Inhalte einer Nachricht zu verstehen, wenn man es nicht gewohnt war. Minimale Gesten im Gesicht waren nur mit sehr viel Übung und Kenntnis über den Menschen gegenüber zu erahnen und dennoch nie sicher einzuschätzen, da waren Handbewegungen schon durch das Bewegen der Luft um einen herum einfacher einzuordnen. Dennoch lebten hier mehr als 75% des Stammes in ewiger Dunkelheit und konnten sich daher wie normale Lebewesen verständigen, obwohl ich meine Rasse niemals als abnormal einstufen würde. Wir waren nur durch das Fehlen des Hauptsinnes eines Menschen eingeschränkt und mussten daher neue Wege finden, um eine fehlerlose Vermittlung von Informationen zu ermöglichen. Keine schwere Sache, aber verlangte wie erwähnt viel Geduld und Ausdauer, ebenso wie Feingefühl und Menschenverständnis. Demnach konnte ich seine positive Einstellung am Klang der Worte identifizieren, was durchaus meine Mundwinkel zu den Ansätzen eins Lächelns noch oben zog. Wie erwartet war auf Elija Verlass. „Natürlich, wir treffen uns in sieben Minuten wieder hier, bis dahin sollten jegliche Erledigungen getan sein“ wies ich den jungen Krieger an und ging gar nicht weiter auf die offen gelassene Frage ein, ob ich überhaupt ihn an meiner Seite wollte, schließlich war mir seine seit der Geburt vorhandene Blindheit kein Geheimnis. Es hatte seine Vorteile, wenn man noch funktionierende Augen hatte, aber dennoch bevorzugte ich persönlich ebenfalls blinde Achak mehr, weshalb ich eher deren Unterstützung anforderte.
Mit meinen kurz gehaltenen Anweisungen entließ ich das andere Stammesmitglied wieder, drehte mich selber um und trat den Weg zurück in mein stark in Mitleidenschaft gezogenes Häuschen an, damit ich mich ebenfalls vorbereiten konnte. Während ich meine Schritte wie selbstverständlich leise und beinahe unscheinbar im Hinterkopf mitzählte – ein Vorgang, der über die Jahre einstudiert worden war und deshalb wie von selbst ablief – erinnerte ich mich an die Zeit zurück, in der ich mit den anderen Mitgliedern wie Gelichgestellte umgegangen war. Ich hatte keine Befehle erteilt, auch keinen Gefallen verlangt, sondern eher darum gebeten. Unser Oberhaupt hatte mir schnell klar gemacht, dass ich nun über ihnen stand und fester in meinem Vorgehen zu sein hatte, damit man mir Respekt entgegen brachte. Ich bemühte mich darum, aber wenn sie alle nett waren, dann fielen mir die barschen Worte nie ein, sodass ich weiterhin schwammige Befehle erteilte und damit gerne auch mal ein wenig Verwirrung stiftete. Keine Neuigkeiten mehr, aber mein Verhalten dürfte sich verbessert haben, schließlich hatte mich der Stammesführer nie mehr darauf aufmerksam machen müssen.
Es war jedes Mal ein unangenehmes Gefühl, wenn ich ein Haus betrat und vorher noch im Wind gestanden war. Es fühlte sich an, als würde die Umgebung auf einmal verstummt sein, obwohl ich genau wusste, dass draußen nach wie vor alles beim Alten war. Ohne lange suchen zu müssen, hatte ich meinen Rucksack von seinem Platz genommen und mir einen weiteren Apfel geholt, selbst wenn mein Organismus nach etwas ganz anderem verlangte – etwas, das ich ihm jetzt noch nicht geben konnte, aber die Zeit würde kommen. Davon war ich überzeugt. Vielleicht sprang ja sogar bei diesem Ausflug ein wehrloses Kind für mich heraus, das nicht aufmerksam genug auf sein kleines Leben geachtet hatte. So verlockend die Gedanken, die aufkommenden Empfindungen waren, musste ich diese Wünsche nach hinten stellen und einen klaren Verstand behalten, egal wie lange ich nun schon fasten musste. Missmutig biss ich in die Frucht hinein, die ebenso sauer wie das andere Stück Obst war und verließ wieder das windgeschützte Haus, um mich an genau derselben Stelle einzufinden, an der ich vorhin ebenfalls gestanden war. Mein eingebautes Zeitgefühl sagte mir, dass noch ein wenig Zeit war, weshalb ich in aller Ruhe den Apfel aß, die Reste dann achtlos nach hinten in die Richtung des Waldes warf, immerhin war dieser ja nahe genug an dem Dorf dran. Mit ganz viel Glück, würde der leere Magen eines Tieres sogar jede Vorsicht überschreien und den Waldbewohner so nahe an mein Häuschen locken, dass ich ihn mir schnappen konnte. Gedanken über Gedanken, aber dennoch brachten sie nichts, denn zu dem Zeitpunkt wäre ich dann bestimmt nicht zur Stelle.
Kurz wanderte mein Blick in Richtung des tristen, grauen Himmels. Ich konnte auf Grund der dunklen Wolken nicht einschätzen ob es erst Nachmittag oder doch schon früher Abend war. Es schien leicht zu dämmern, aber das konnte auch wirklich nur ein Trugbild des Wetters sein. Ein leises Seufzen entrang meiner Kehle, bevor ich mir die Haare aus dem Gesicht strich und mit einem ausgeleierten Haargummi, welcher sich um mein Handgelenk befand, zusammen band, damit sie mir nicht weiterhin in die Augen wehten, mich störten. Was ich nun tun würde? Mich weiter umsehen. Ich war noch nicht allzu lange hier, mein letzter Stop, die letzte Stadt in der ich gewesen war, war zwar nicht weit entfernt von hier, aber was hatte mich schon dort gehalten? Und was würde mich hier halten? Nichts vermutlich. So wie mich nirgends etwas hielt. Ich war vor einer kleinen Ewigkeit das letzte Mal ehrlichen Menschen begegnet, bei denen es sich doch tatsächlich gelohnt hätte zu bleiben, hätten sie nicht so schon zu wenig zum Leben gehabt. Ich war es gewohnt umher zu streifen und im hier und jetzt zu leben. Ich war es gewohnt in fremden, alleinstehenden Häusern zu schlafen, auf der Hut zu sein und Stundenlang durch die Gegend zu laufen, ohne ein einziges Ziel vor Augen zu haben.
Natürlich wünschte ich mir irgendwo Begleiter, vielleicht sogar Freunde. Jemand, der mir die Einsamkeit vertrieb, sodass ich nicht mit mir selbst sprechen musste, wenn es wirklich sterbenslangweilig wurde. Aber das war heutzutage schwerer als etwas Essbares zu finden. Es war nahezu unmöglich jemanden zu finden dem man vertrauen konnte, weil doch jeder nur auf sein eigenes Wohl aus war. Ich zumindest war dieser Meinung das schon seit gut drei Jahren. Drei Jahre in denen ich Menschen und Wesen kennen gelernt hatte, gute und schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Drei Jahre die mehr oder weniger schwer gewesen waren in denen es Höhen und Tiefs gegeben hatte und in denen ich mich mit dem Alleine sein wahnsinnig hatte auseinander setzen müssen.
Seit mein Bruder gestorben – umgebracht – worden war, hatte ich niemanden mehr wirklich an mich heran gelassen und wie man sah schien es etwas zu nützen: Ich lebte noch. Ich lebte noch, mir ging es den Umständen entsprechend sogar gut. Und es war auch nicht so als würde ich Fremden ablehnend gegenübertreten. Vielleicht ein wenig misstrauisch, aber dennoch freundlich und recht offen, insofern sie ebenfalls freundlich waren. Dennoch war ich darauf vorbereitet enttäuscht zu werden, ich war darauf vorbereitet angegriffen zu werden.. Ich war auf so gut wie alles vorbereitet. Nur nicht darauf wirklich aufrichtig und ehrlich mit offenen Armen empfangen zu werden, weil ich es aufgegeben hatte zu glauben, dass so etwas noch existieren könnte. Der wo noch lebte, der wo sich etwas aufgebaut hatte, etwas hatte, der war misstrauisch. So wie ich. Der teilte nicht gerne, weil es nichts mehr gab das man teilen konnte ohne selbst Abstriche daraus machen zu müssen. Es war normal. Ja es war normal allem und jedem gegenüber misstrauisch zu sein, weil man auch niemals genau wissen konnte ob dieser Jemand einem nicht haushoch überlegen war. Ob dieser Jemand wirklich der war, der er vorgab zu sein. Meine Gedanken hatten mich gefesselt, weswegen ich unachtsam wurde, nicht auf meine Umgebung achtete und auf den Boden vor mir starrte, während ich einen Fuß vor den anderen setzte. So lange, bis mir ein Schatten entgegen kam, den ich aus den Augenwinkeln wahrnahm, bevor ich auch schon die dazugehörige, raue aber durchaus angenehme Stimme vernahm.
Eine Stimme, die zu einem jungen, attraktiven Mann gehörte, wie mir sogleich bewusst wurde, als ich den Kopf anhob um ihn anzusehen. Aus aufmerksamen, blauen Augen heraus blickte ich ihn an. Offen und eigentlich freundlich. So wie auch er mich freundlich anzublicken schien. Mein Kopf neigte sich – eine dumme Angewohnheit – minimal zur linken Seite, während ich im Bruchteil einer Sekunde über meine Antwortmöglichkeiten nachdachte. „Du irrst dich. Nur ein paar Häuser weiter wartet meine Familie auf mich.“, entgegnete ich mit ruhiger Stimme. Eine glatte Lüge. Was sollte es auch sonst sein? Gerade hatte ich noch darüber philosophiert wie das allein sein so war und jetzt teilte ich einem Fremden mit, dass meine Familie auf mich wartete. Wieso? Weil er so vielleicht nicht auf die Idee kommen würde mir mein Hab und Gut abzunehmen, mich in irgendeiner anderen Art und Weise anzugehen, weil sie mich hören würden wenn ich schrie, weil sie kommen würden. Oder aber er würde die Lüge in meinen Augen lesen. An sich war ich keine schlechte Lügnerin. Ich konnte selbstsicher und mit überragend ruhiger und der Situation angepassten Stimme auftreten, aber meine Augen hatte ich dabei nicht unter Kontrolle. Das Sprichwort, die Augen seien der Schlüssel zur Seele, traf auf mich perfekt zu. Hatte man ein wenig Menschenkenntnis und war aufmerksam, so konnte man mir nahezu alles aus meinen Augen ablesen, ob es mir gefiel oder aber nicht.
Kaum ein Tier war zu entdecken. Keine Vögel am Himmel. Sie mussten sich alle bei diesem Wind weiter in das kleine, kaum mehr lebendige Waldstück verkrochen haben. Ein leises seufzten entfuhr mir. Langsam ließ ich den Bogen sinken und verstaute den Pfeil in meinem Köcher. Ich entspannt mich wieder etwas, lockerte meine Muskeln. Ich sah hoch zum Himmel. Durch die grauen Wolken die dort oben waren, konnte ich kaum das leichte Blau sehen.
Der Wind zerrte an meinen Haaren, an meinen Klamotten. Es machte keinen Sinn, jetzt zu Jagen. Noch einmal drang ein tiefes Seufzen aus meiner Kehle, ehe ich mich umdrehte und langsam, mit großen Schritten zurück ging. Ich war zirca eine Stunde von meinem Zuhause, auch wenn ich es nicht als das ansehen konnte, entfernt. Es war dumm gewesen, mich bei dem Wind soweit zu entfernen. Ich hätte es lassen sollen.
Während des Gehens blickte ich auf den Boden. Eigentlich bestand er nur noch aus Erde, kaum Gras wuchs hier. Es war schon traurig, wie weit wir es geschafft haben. Doch darüber wollte ich nicht dachdenken. Schnell hob ich meinen Blick und suchte irgendwo nach Tieren. Vergeblichst. Ich fuhr mir mit einer Hand durchs schwarze, zerzauste Haar und seufzte abermals. So setzte ich also meinen Weg fort.
Natürlich wäre es schön, nicht alleine zu laufen. Aber wenn ich mich hier so umschaute, gab es nun wirklich kaum eine Chance.
Die Zeit verging nicht wirklich schnell. Ich blieb stehen und sah mich um. Ein paar Meter rechts neben mir stand ein großer Baum. Auch er sah mitgenommen aus. Aber stabil genug, um bei diesem Wind nicht um zu fallen.
Also setzte ich mich unter die große Weide, lehnte mich an den Stamm. Ich ließ den Kopf in den Nacken fallen und schloss für einen Moment die Augen.
Ih dachte daran, wie es hier wohl früher ausgesehen hatte. Als die Erde nicht an Leben verlor. Doch ich konnte es mir nicht wirklich vorstellen, denn immer wenn ich meine Augen öffnete, sah ich nur diese verfallende, graue Welt. Nein, ein Schöner Anblick war es nicht.
Müde ließ ich mich noch mehr gegen den Stamm sinken, winkelte ein Bein an, stemmte es in den Boden um diese Positions bei behalten zu können. Schon seit vielen tagen hatte ich nicht mehr richtig schlafen können... Langsam schloss ich die Augen.
Vor mir sah ich meine Mutter. Wie sie mich anlächelte. Ein warmes, wunderschönes Lächeln. Neben ihr stand mein Vater. Er lächelte nicht. Meine Mutter versuchte mir damit Mut zu machen, und mein Vater ließ mich einfach die Wahrheit in seinen Augen lesen. Einen Moment lang geschah nichts. Sie standen nur da, sahen mich an. Und plötzlich ertönten Schüsse... Bild für Bild sah ich wieder, wie die Kugel durch das Herz meiner Mutter schoss, wie mein Vater aufschrie und sie auf fing. Wie er sich hoch hob und zu mir lief, mit einem Nicken machte er mir klar, zu laufen.
Blitzartig öffnete ich die Augen und saß wieder Kerzengrade da. Ich atmete tief durch und starrte einfach gerade aus...
Du irrst dich. Tatsächlich? Irren ist menschlich. Und menschlich war ich nicht mehr so ganz. Also konnte ich mich auch nicht irren. War doch ganz einfach oder? Konnte ich ihr jetzt aber auch nicht gleich einfach mal so gegen den Kopf werfen, weil sie sonst gleich Verdacht schöpfen würde. Nur ein paar Häuser weiter wartet meine Familie auf mich. Oh bitte.. Wer hatte heutzutage denn schon noch eine intakte Familie? Zumal die junge Frau eh eher aussah, als ob sie nicht wirklich einen festen Wohnsitz hatte.. Nicht, dass sie schäbig herumlief oder gleich mit massenhaft Tüten ihr Hab und Gut umherschleppte.. Trotzdem war ich mir gerade nicht zu hundert Prozent sicher, ob sie log oder eben nicht. Wenn ihre Familie wirklich in der Nähe war.. und sie dann auch noch anfangen würde zu schreien.. andererseits hätte ich sie dann alle. Jede einzelne Person ihrer Familie, jedes einzelne Mitglied. Einen Moment lang musterte ich die junge Frau, ließ meinen Blick von ihren Schuhen, ihrer schwarzen Jeans bis hin zu ihrem Parka schweifen und fixierte anschließend ihre blauen Augen in ihrem hübschen Gesicht. Alleine. Der Wind trug ihren Duft zu mir herüber und ich sog ihn geradezu ein, er stachelte mich geradezu an, mit ihr zu spielen. Alleine.. ich war alleine und sie war es auch. Ihre Familie wartete nicht ein paar Häuser weiter auf sie. Entweder sie waren auf einem völlig anderen Flecken dieser Erde oder sie waren tot. Und sie stand hier, mutterseelenalleine. Da sollte man einer so hübschen Frau doch Gesellschaft leisten, oder etwa nicht? Eben so, wie es sich für einen Gentleman gehörte. Ohja, dieser Gedanke schien meine Laune schon wieder deutlich anzuheben. Ob sie wusste, mit wem sie es gerade zu tun hatte? Ich verzog keine Miene, schaute sie leicht und freundlich lächelnd an. Nur was, wenn sie doch eine Familie ein paar Häuser weiter hatte? Die Menschen kannten die Ausgeburten der Hölle. So, wie sie uns nannten. Sie wussten, wie sie uns entgegentreten mussten. Und so wie ich momentan drauf war, ausgehungert, hatte ich nicht die Kraft dazu mich einer Familie zur Wehr zu setzen, wenn sie alle so aufmerksam waren wie die junge Frau hier. Der unersättliche Hunger nach Schmerz und Leid lähmte mich. Lähmte meine Bewegungen, meine Kraft, meine Gedanken. Ich lief sozusagen gerade noch so auf Reserve. Auf dem Level, wo ich auf das Minimalste heruntergefahren war. Ich konnte, nein, ich durfte nicht länger warten. "Dann macht es dir sicherlich nichts aus, wenn ich dich bis dahin begleite.." erwiderte ich und zog mir die Kapuze meines schwarzen Kapuzenpullis vom Kopf, während ich auf sie zulief. Sie saß in der Klemme. Zumindest tat sie das aus meiner Sichtweise- denn wenn sie eine Familie hatte, würde sie wohl schlau genug sein und zielstrebig zu dieser nach Hause gehen und keine fünftausend Umwege machen. Und wenn sie log dann hatte ich sie. Tja und ob sie wollte oder nicht.. jetzt hatte sie mich an der Backe und so leicht würde ich mich jetzt garantiert nicht mehr abschütteln lassen. "Du scheinst viel unterwegs zu sein.." stellte ich nach einigen Sekunden fest, musterte sie von der Seite. Mein Herz hüpfte schon vor Freude und selbst diese Nähe zu ihr reichte schon aus, um die Bestie in mir zum Leben zu erwecken..
Klare, deutliche Anweisungen. So war es mir besonders lieb. Ich nickte kurz und wandte mich dann von ihr ab, um noch meinen Rucksack zu holen. Ich konnte hören, wie sie selbst sich auch abwandte und die wenigen Stufen auf die Veranda ging, bevor sie ganz im Haus verschwand. Ich selbst lief behutsam weiter, bog dann nach links ab und erreichte die Tür meiner Unterkunft. Es schien niemand da zu sein, denn als ich das Gebäude betrat, war alles still. Niemand wand sich schlafend in einem der Betten oder wanderte durch die Gänge und Räume. Sicherlich waren alle schon unterwegs, jagen, beobachten, suchen. Unsere Ressourcen wurden knapp und es war wichtig, dass wir möglichst bald möglichst viele neue bekamen. Auch, wenn der Stamm nicht unglaublich groß war, waren wir doch einige Achak, die versorgt werden wollten. Versorgt werden mussten und ich würde sicherlich nicht zulassen, dass auch nur einer hungernd zurückgelassen wurde von meinen Leuten. Aber dafür mussten wir jetzt in eine Stadt. Städte waren gefährlicher, als der Wald oder so ein Dorf, wie unseres. Da waren mehr Menschen und andere Spezies unterwegs, weil es dort oft viel mehr gab. Man konnte tatsächlich – mit etwas Glück – noch immer brauchbare Dinge entdecken, aber eben auch entdeckt werden. Nerea und ich würden sie hören, würden schnell bemerken, wenn da jemand oder etwas war, aber im schlimmsten Fall konnten auch wir zu spät sein und auch, wenn wir keine leichte Beute waren, so waren wir doch durchaus angreifbar – die wenigsten wagten es, da wir zu unberechenbar eingeschätzt wurden und das war auch gut so, aber eine gewisse Gefahr bestand. Sie würden uns eh alle erstmal ausweichen. Kein Mensch legt sich freiwillig mit einem – oder sogar gleich zwei – Achak an. Die einzigen, die vielleicht noch dumm genug sein könnten, wären arrogante Kailasa, aber selbst die.. selten, schoss es mir durch den Kopf. Mit einem selbstzufriedenen Lächeln stieg ich die alte Treppe nach oben, überquerte den Flur und trat in mein Zimmer ein. „Elija“, sagte mein Mitbewohner leise. Scheinbar hatte ich vor lauter Gedanken nicht mehr genug zugehört. „Warst du erfolgreich? Hast du im Wald etwas gefunden?“, fragte er weiter, woraufhin ich sanft den Kopf schüttelte. „Nein, aber ich werde mit Nerea in die Stadt gehen. Ich muss also los, wir sprechen nachher“, gab ich kurz zurück, griff nach dem alten Rucksack neben meinem Bett und verließ ohne weiter zu warten oder etwas zu sagen wieder den Raum. Ich wollte nicht unhöflich zu ihm sein, aber noch weniger wollte ich, dass die rechte Hand des Oberhaupts auf mich warten musste. Sie stand über mir, über uns Kriegern im Ganzen, und das musste respektiert werden. Also zog ich den Rucksack auf den Rücken, checkte noch mal schnell, dass ich meine Waffen bei mir trug und begab mich wieder auf den Weg nach unten. Ich zögerte nicht lange, als ich das Haus verlassen hatte, ließ den Wind nur einen kurzen Augenblick wirken und ging dann erneut auf das Haus von Nerea zu, wo sie mich auch schon erwartete. Ich konnte noch hören, wie etwas nicht weit von ihr auf dem Boden aufschlug, beachtete es aber nicht weiter, sondern blieb wenige Schritte neben ihr stehen. „Ich bin bereit“, teilte ich ihr schlicht mit und sah sie mit den stahlgrauen Augen an. Ich konnte nicht sagen, wie sie aussah, aber in meinem Inneren hatte ich von jedem Achak eine Vorstellung. Sicherlich nichts, was sich irgendwie beschreiben lässt, weil ich ja nicht einmal verstehen kann, wie ich selbst aussehe. Aber es gab diese verquere Art der Vorstellung, anhand von Stimme und Ausstrahlung. Ich sah sie vor mir ohne sie jemals wirklich zu sehen, sie alle und vielleicht hatte es auch mit dieser inneren Vorstellung zu tun, dass ich kein einziges Opfer tötete. Sie sollten mich sehen, sollten um mich wissen und meine Vorstellung blieb lebendig, wenn das Opfer an sich lebendig blieb… jedenfalls waren sie in dem Moment noch lebendig, in dem ich sie verließ. Wie lange noch, darauf hatte ich keinen Einfluss mehr.
Welcher Tag war heute? Ich wusste es nicht. Man wusste noch nicht einmal, was für eine Jahreszeit es eigentlich war, geschweige denn welche Uhrzeit und Tageszeit. Mittlerweile gewöhnte man sich daran. Nicht zu wissen, wie spät es eigentlich war, meine ich. Anfangs war es schwer gewesen. Mittlerweile ist es nicht mehr so normal, einfach mal auf die Uhr zu schauen und sofort zu wissen, wie spät es ist. Ich könnte wetten, dass jede Uhr eine andere Zeit anzeigt. Ja, auf die Uhren ist kein Verlass mehr. Sie spinnen. Genauso wie alles andere auf dieser Welt. Ich meine.. wer hätte gedacht, dass es einmal so enden würde? Dass die Welt so aussehen würde? Dass es irgendwann ein Wunder sein wird, ein vorbeilaufendes Tier zu sehen? Ich nicht. Jetzt beobachte ich lächelnd die kleinen Tiere, die flink durch die Gegend laufen. Sogar über eine Maus wundere ich mich. Naja, letzendlich ist es für sie genauso schwer wie für uns Menschen, bzw. Wesen, etwas zu essen zu finden. Es wird immer schwieriger zu überleben. Bis jetzt bin ich ganz gut um die Runden gekommen. Mir reicht es zwar aus, einmal in sieben Tagen etwas zu essen. Der Hunger nach normalem Essen ist zwar vorhanden, aber nicht so stark, dass ich behaupten könnte daran zu verhungern. Das einzig richtige, was ich brauche ist eben das Blut. Oh ja, einige Menschen gefriert bestimmt das Blut in den Adern, wenn sie davon erfahren. Bis vor kurzem war unser 'Volk' ja noch weitestgehend geheim. Auch die anderen hatten die Aufmerksamkeit der Menschen nicht so sehr erregt. Aber was soll man machen, wenn die Welt nun nur noch aus einem einzigen Kontinent besteht? Man kann sich nicht so einfach aus dem Weg gehen. Wir Tawuni haben das Glück, nicht so sehr aufzufallen. Schließlich sehen wir wie stinknormale Menschen aus. Nun gut. Das Tatoo ist etwas außergewöhnlich. Meine leicht spitzen Zähne ebenfalls, aber dies fällt weitestgehend nicht so doll auf. Meine wachsamen Augen glitten durch den Wald. Es war ziemlich still. Nur die knackenden Äste und die leicht raschelnden Blätter unter meinen Schuhen machten Geräusche. Es war so still, dass ich sogar meinen eigenen Atem als zu laut empfand und das Gefühl hatte, mich zu laut fortzubewegen. Eigentlich gab es keinen Grund durch die Gegend zu schleichen. Hier war sowieso niemand. Und wenn ja, hätte ich dies schon längst gesehen oder gehört. Ich war auf dem Weg zu einem kleinen Stadtviertel. Dorthin, wo sich eben all die Menschen herumtrieben. Ja, ab und zu vekroch ich mich dorthin, um mal etwas Abwechslung zu bekommen. Oft aber hatte ich eine bestimmte Mission, wenn man das so nennen kann. Wo kriegt man wohl die beste Nahrung? Richtig. Dort, wo sich Männer herumtreiben. Pubs, Bars und solche Sachen. Dort hatte ich immer am meisten Glück. Die Männer trinken, haben Spaß, suchen Frauen, um sie mit nach Haus zu nehmen. Tja, wenn sie es auf mich abgesehen haben, schaffen sie es meistens gar nicht, erst richtig Spaß zu haben. In der Ferne zeichneten sich bereits Shiouletten der Häuser und Gebäude ab. So weit war es also nicht mehr. Mein Gang beschleunigte sich ein wenig und langsam achtete ich auch nicht mehr darauf, leise zu gehen. Mein Blick war auf den Boden gerichtet, um nicht in irgendeiner Wurzel stecken zu bleiben oder die Schuhe zu verschmutzen. Meine grauen Chucks waren nun nicht mehr die neusten und saubersten, aber trotzdem wollte ich nicht wie eine Dahergekommene rüberkommen. Ein Zweig verhang sich an meinem beigen, etwas dickeren Cardigan, weshalb ich leicht seufzend stehen bleiben, und den Zweig herausziehen musste. Das Wetter war vorhin schlagartig kühler geworden, weswegen ich mich doch für etwas dickeres entschieden hatte. Unter dem Cardigan trug ich ein normales, weißes Oberteil, welches eng an meinem Oberkörper anlag. ich trug wie immer eine einfache Jeans. ich war nie so der Fan von Leggins gewesen, Jeans waren am besten. Sie betonten die Figur mehr und saßen besser. Nachdem ich mich von den langen Zweigen befreit hatte, trat ich endlich aus dem kleinen Mischwald heraus. Ich stand direkt auf einer Straße, die jedoch kaum befahren zu sein schien. Besonders tagsüber nicht; falls es denn tagsüber war. Die Leute fuhren eben morgens und abends viel öfter hin un her. Mein Blick wich von links, nach recht, nach links. Obwohl kein Auto zu kommen schien, vertraute ich lieber nochmal auf meinen Sehsinn. Kontrolle ist besser. Ja, ich würde nicht sterben, wenn mich ein Auto anfahren würde, aber.. wozu der ganze Aufwand? ich will schließlich keinen riesen Skandal haben und letzendlich im Krankenhaus landen. In meinem ganzen Leben war ich nur wenige Male auf der Station. Die Ärzte da haben sich schon gefragt, warum es mir so gut ging, obwohl meine Verletzungen ziemlich schlimm waren. Tja, sie wussten eben nicht, dass ich unmenschlich bin. Aber wie wollen sie das denn auch wissen? ich wa bei der nächst besten Gelegenheit abgehauen. Also.. lieber nicht angefahren werden. Ich trat über die Straße und ging weiter auf das Viertel zu. Sogut wie nichts hatte ich dabei. Einen Rucksack trug ich nur bei mir, wenn ich weit reiste. Momentan hatte ich eine kleine Unterkunft im Wald gefunden. War ziemlich abgelegen und somit perfekt. Ich konnte genauso gut im Viertel leben, aber ich hatte es lieber ruhig. Das einzige, was ich bei mir trug, war der Dolch. Er war in einer bestimmten Doclhtasche an meiner Jeans, versteckt unter meinem langen Cardigan. Naja, niemand kann ahnen, dass ich bewaffnet bin, was auch gut so ist. Mein offenes Haar wurde von einer Windböe direkt in mein Gesicht geweht, woraufhin ich dieses mit meiner Hand zur Seite strich. Während ich durch die Stille lief fragte ich mich, ob ich denn heute Glück habenwürde. Zuletzt hatte ich vor fünf Tagen gegessen. Ich könnte noch einige Tage warten, aber falls ich in diesem Tagen zu wenig Glück hätte, wäre ich noch geschwächter. Also gehe ich lieber frisch genährt und stark auf die Suche, als im letzten Moment verzweifelt durch die Gegend zu rennen und letzendlich zu verhungern.
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