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Samira
Ich saß auf einen Baumstamm, oder etwas, was vielleicht mal vor Jahren ein Baumstamm war. Ein kühler aber durchaus angenehmer Wind blies mir leicht ins Gesicht. Ich hatte seit fast einer Woche kein Blut mehr zu mir genommen. Ganz schlecht. Meine Verführungskünste waren demnach schwächer als sonst. Aber etwas singen konnte ich trotzdem. Vielleicht würde ja einer dieser Menschen mich hören und würde herkommen. Menschen Männer waren so einfach zu verführen. Sie wollten ja sowieso immer nur das eine. Viele Männer mochten zwar blonde Frauen mehr, aber spätestes nach einem Blick in meine Augen änderte sich diese Tatsache. Ich war nicht wirklich arrogant, aber ich wusste eben, dass ich hübsch war. Eine Talutah Wachiwi eben. Meine weichen, seidigen, Ebenholzfärbigen Haare ergossen sich wie Wellen über meine Schultern bis hin zu meinem Ellenbogen. Es machte mir Spaß zu verführen und ich fand es viel interessanter mit meinem 'Futter' zu spielen, ehe ich es tötete. Für was waren Menschen sonst da? Obwohl ich es liebte zu spielen, ließ ich mich von keinem dieser Kreaturen angreifen. Oder zumindest nur von wenigen auserwählten. Von den ganzen Männern, die mir erlegen sind, hatte ich mit keinen 3 geschlafen, oder mich auch nur berühren lassen. Ich war eben wie eine Prinzessin. Ein Wüstenkind und um ehrlich zu sein, deshalb mochte ich das Wetter hier im Norden nicht. Es war zu kalt und es gab Schnee. Ich war geboren und aufgewachsen in der Wüste. Meine Haut hatte die Farbe von dem goldigen Sand und meine Haare die Farbe der Nächte, in denen sich die Sterne im Wasser widerspiegelten. Aber ich wollte nicht enden wie meine Eltern, als musste ich in den Norden fliehen.
Ich war stolz darauf eine Talutah Wachiwi zu sein und machte dem Namen alle Ehre. Zugegeben, ich hatte auch schon von einigen anderen Spezies gehört, aber noch nie eine getroffen. Ich wollte unbedingt mal einen dieser Liwanu Kailasa treffen, oder zumindest einmal sehen. Ich hatte gehört, dass sie zu den stärksten Männer gehören und viele von ihnen sollen auch ganz ansehnlich sein. Ich stellte sie mir groß und sehr trainiert vor, mit dunklen Haaren und einem leichte 3-5 Tagesbart. Meine Gedanken schweiften zu eben solch einem männlichen Lebewesen ab.
Es war eine meiner liebsten Beschäftigungen, wenn ich mir ein willkürlich ausgewähltes Plätzchen in dem Dorf suchen konnte oder bei einem kurzen Spaziergang durch den Stamm schlendern konnte und dabei das Treiben der Achak beobachtete. Leider fand ich in den vergangenen Tagen immer weniger die Zeit dazu, denn der Winter war wieder einmal besonders hart gewesen und falls sich die Natur erholen sollte, dann tat sie es in ihrem eigenen Tempo und achtete auf keinerlei Lebewesen, die womöglich von ihr leben mussten. So war der Lauf der Dinge, so galt unsere Bestrafung. Wir mussten uns diesem Schicksal fügen, hatten keine anderen Optionen offen. In letzter Zeit spannte mich meine Rolle in der Hierarchie dieses Stammes immer mehr ein, weshalb dieser Ausflug die Distanz zu meinen Verpflichtungen herstellte, obwohl ich dennoch nur im Namen dieser stolzen Rasse unterwegs war. Niemand sollte es wagen, dieses Unterfangen als Flucht vor meinen Aufgaben zu sehen, aber dennoch konnte ich allein bei dem Gedanken wenigstens für ein paar Stunden aus der mehr oder weniger verfallenen Siedlung zu verschwinden entspannter werden und mich besser auf die Tatsachen konzentrieren. Abstand und Distanzierung waren zwei Worte, die einen äußerst bitteren Nachgeschmack im Mund hinterließen, wenn man sie falsch aussprach, dabei war es wichtig auch die positiven Seiten dieser Abgrenzung zu erkennen. Man wurde offener für andere Dinge, die ebenso unabdinglich waren.
Ich stand noch nicht einmal eine volle Minute auf demselben Platz wie vorher, als ich dieses Mal von der anderen Richtung diese nun eindeutig einzuordnenden Schritte vernehmen konnte. Der Boden war von der kalten Witterung noch immer fest, ließ beinahe kein Rascheln oder Knacksen zu, aber dennoch waren es Kleinigkeiten, die das Herannahen verrieten. Schwere Schritte, Elija musste nun mehr Gebäck als vorhin mit sich tragen, kamen schließlich zum Stillstand und kurz darauf war seine angenehme Stimme zu hören. Wenn man sich hauptsächlich auf das feine Gehör verließ, konnten laute Stimmen sehr schnell unangenehm, unsympathisch werden, weil man ja genauso gut leise Vokale vernehmen konnte. Demnach war es überflüssige Energieverschwendung laut zu sprechen, was sich ein paar Achak endlich merken konnten, aber die meisten von diesen speziellen Stammesmitgliedern waren auch noch fähig zu sehen, was aber in meinem Sinne dennoch keine Entschuldigung war. „Ich habe nichts anderes erwartet“ eröffnete ich dem jungen Krieger und nickte als Bestätigung erneut, obwohl das zum Teil vollkommen unnötige Gesten waren, jedoch gewisse Angewohnheiten bekam man nicht so einfach weg. Immerhin hatte ich meiner Familie über lange Zeit hinweg immer mit diesem Nicken mein Einverständnis gegeben… Erinnerungen, mit denen ich mich aber nicht aufhalten lassen wollte.
Mein Ziel war eine nahe Stadt, welche schon über einen langen Zeitraum unter unserer Beobachtung stand, da sie sich alle paar Jahre ein wenig verschob, teilweise unserer Siedlung näher kam und das konnten wir natürlich nicht einfach unbeaufsichtigt geschehen lassen. „Wir werden zu unseren westlichen Nachbarn schauen, ihnen haben wir lange keinen Besuch mehr abgestattet.“ Viel zu lange. Mit diesen Worten machte ich Elija mit meinem Plan vertraut, nähere Informationen gab es nicht, schließlich war es mir verwehrt in die Zukunft zu sehen und demnach beschreiben zu können, was uns zwischen den verfallenen Häusern empfangen würde. Selbst wüsste ich nichts, das dem noch hinzu gefügt werden konnte, weshalb ich mich von dem dunklen Abbild Elijas abwandte und meine grauen Augen in die vorgesehene Richtung blicken ließ. Wir sollten keine Zeit verlieren, weshalb ich mich leichtfüßig von der Stelle bewegte und wie von selbst meinen fast lautlosen Weg über den Boden fand.
Nach Westen also. In dieser Stadt war ich bisher erst ein mal gewesen und das war einige Zeit her, aber ich erinnerte mich dennoch ohne jegliche Probleme an den Weg und folgte Nerea nach einem kurzen, zustimmenden Nicken meinerseits. All diese Gesten waren eigentlich absolut sinnlos, aber ich konnte vieles nicht ablegen. Mein Vater war einer der Sehenden gewesen und hatte mich deshalb in dieser Weise geprägt.
Ich lief ebenso lautlos, wie sie selbst, nur wenige Schritte hinter meiner Begleiterin her und hörte auf den Wind, auf jedes noch so geringe, unpassende Geräusch. Nicht erst, wenn wir die Stadt erreichten, würden wir in Gefahr sein, sondern durchaus auch schon auf dem Weg dorthin. Ich verspürte keine Angst oder eine andere Art von Unwohlsein, so etwas hatte ich mir schon lange abgewöhnt, aber eine andauernde Angespanntheit und Vorsicht war durchaus von Vorteil. Ich wusste auch nicht genau einzuschätzen, wie lang unser Weg sein würde, aber er führte an einem Teil des Waldes vorbei – durch gehen wäre durchaus auch möglich, würde den Weg aber vermutlich nur verlängern, obwohl es unsere Chancen erhöhen könnte doch noch auf ein verirrtes Reh oder ein anderes Tier zu stoßen. Auf einen Menschen oder jemanden einer anderen Spezies setzte ich eher weniger. Klar, in der Stadt schon, aber vor allem Menschen mieden den Wald oft. Sie wussten die tiefe Sicherheit nicht zu schätzen, hielten ihn für gruselig und gefährlich, obwohl der Wald an sich oft ein viel sicherer Ort war, als eine enge Straße mitten in der Stadt. Das war aber eben auch ein Nachteil. Wer sich von ihnen wirklich in die Mitte der grünen Bäume wagte, wusste, wie er sich verteidigen musste. Wusste, auf was er sich einließ. Ob den Menschen wohl klar ist, dass unser Volk sich vermehrt dort aufhält? Ich kann mich an keine Siedlung erinnern, in der wir geblieben sind, bei der man keinen Wald in der Nähe finden konnte. Vielleicht fürchten sie den Wald auch deshalb. Wegen uns. Wegen den Achak. Ich grübelte ein wenig und konnte dann schon die Veränderungen spüren. Die Luft verlor an ihrer Frische, der Wind stieß gegen starke, große Widerstände und der Boden war abgelaufener. Hier hatten sich schon mehr Lebewesen bewegt, hatten den leicht überfrosteten Boden aus Gras zertreten und an einigen Stellen war er sogar leicht matschig. Eindeutig waren vor nicht all zu langer Zeit Menschen hier vorbei gekommen, vermutlich alle auf der Suche nach Nahrung, einem Unterschlupf und anderen lebenswichtigen Dingen. „Meinst du, dass wir heute auf Menschen treffen?“, fragte ich Nerea mit einer so leisen Stimme, wie der Wind selbst. Ich wusste, dass sie es hören würde, aber sonst niemand. Die Menschen wären wohl in der Lage es zu hören und doch waren sie zu taub, um auf diese feinen Geräusche zu achten. Sie waren selbst daran Schuld unterlegen zu sein und ich hatte keinerlei Probleme damit dies zu akzeptieren. Ich empfand kein Mitleid für sie – sie waren die Spezies, die die meiste Schuld daran trug, wie unsere Welt heute war. Sie hatten sie zerstört und für mich war es nur gerecht, dass sie es nun waren, die von uns gejagt wurden. Sie hatten sich ihr eigenes Grab geschaufelt und die wenigen, die es noch immer gab, würden bald ebenfalls vollständig von den Achak, den Wachi und den Kailasa ersetzt werden. Vielleicht gab es ja sogar noch weitere Wesen, menschähnliche Kreaturen, wie uns, die sich erst langsam durchsetzten und ich war darauf vorbereitet, dass es irgendwann zu einem Kampf kommen konnte. Die Menschen hatten ihn verloren, hatten meiner Meinung nach ihr Recht auf eine Existenz hier verloren, aber ich konnte mir gut vorstellen, dass die anderen Spezies irgendwann versuchen würden zu herrschen und uns auch zu verdrängen – absoluter Müll, wenn man mich fragt. Natürlich würden wir uns irgendwann alle gegenseitig jagen, aber wozu eine herrschende Spezies? Wir alle hatten uns durch die Zeit und die Veränderungen angepasst, entwickelt und konnten überleben. Vielleicht war es ja sogar möglich nebeneinander zu existieren, gemeinsam zu bestehen. In meinen Träumen sah ich ab und an – und ja, das klang auch für mich total albern und kindisch – wie wir gemeinsam eine Welt erschaffen, eine neue Erde, bei der es sich zu leben lohnt. Ich fand, dass es doch möglich sein sollte, die Natur wieder zu retten, alles irgendwie rückgängig zu machen… und ja, ich war mir vom Verstand her absolut bewusst, dass es niemals zu so was kommen würde, aber in meiner Fantasie, im Traum, war all das möglich.
So ganz schien der Fremde mir nicht abzukaufen was ich sagte. Wieso sollte er sonst anbieten oder gar ‚befehlen‘, dass er mich bis zu eben jenem Haus begleitete in dem meine angebliche Familie wartete. Ich konnte ablehnen, aber er konnte mir auch einfach so folgen. Ich hätte wohl kaum eine Chance gegen ihn, wenn es zu einer körperlichen Auseinandersetzung kommen würde. Er war stattlich groß, durchtrainiert und besaß sicherlich sehr viel Kraft. Wobei ich ihn in dem Moment keinesfalls mit einem Kailasa in Verbindung brachte. Wer ging auch immer direkt vom Schlimmsten aus?
Aber was sollte ich nun erwidern um ihm weder die Lüge zu gestehen, noch ihn mitzunehmen? Es war nicht so, dass ich ihn zwangsweise los haben wollte, da war nur keinerlei Vertrauen ihm gegenüber was wohl auch logisch war. Ich kannte ihn nicht und er konnte mich noch so Freundlich aus seinen grünen Augen ansehen.. Heute waren Menschen Einzelkämpfer, hielten zu niemandem um selbst zu überleben. Ich hatte mich doch selbst schon mit dem Gedanken auseinander gesetzt was ich tun würde, wenn ich jemandem begegnete, dem ich klar überlegen war und der ganz offensichtlich etwas hatte, das ich gebrauchen könnte. Natürlich spielte man mit dem Gedanken sich dies einfach zu nehmen um selbst sein Überleben zu sichern und andererseits war es so... gewissenlos, so unmoralisch. Aber wenn man die Entscheidung treffen musste sich selbst oder das Leben eines Fremden zu retten.. dann fiel die Wahl bei dem Großteil der Menschheit doch auf sich selbst. Das war normal und im Endeffekt auch niemandem zu verübeln. Dennoch war es gleichermaßen auch wirklich grausam.
Aber genau das war der Grund, weshalb ich dem jungen Mann mein Vertrauen nicht sofort in die Hände legte. Ich wäre dumm. Dumm und naiv würde ich das tun. „Sie sind sehr misstrauisch und würden es vermutlich nicht begrüßen, wenn mich jemand zu unserem momentanen Versteck begleitet. Also doch, es würde mir sehr wohl etwas ausmachen.“, teilte ich ihm mit, schob die Hände in die Taschen meines Cardigans, bevor ich ihm einen kurzen Blick zuwarf, ihn dann aber wieder nach vorne richtete, in der Hoffnung er würde jetzt einfach so schnell wie möglich das Interesse daran verlieren mir die Ohren vollzusülzen oder irgendetwas tun, das mein Vertrauen eben doch ein wenig erweckte und mich diese.. Anspannung ablegen ließ.
„Mal hier, mal da. – Mit so vielen Köpfen lohnt es sich nicht lange an einem Ort zu bleiben, die.. Ressourcen sind schnell aufgebraucht.“, was schwafelte ich hier? Ich lehnte mich viel, viel zu weit aus dem Fenster. Dessen war ich mir durchaus bewusst und dennoch hatte ich nicht die Wahl es Rückgängig zu machen. Wie denn auch? Selbst wenn er eigentlich wirklich der nette Kerl war und mir nichts tun wollte.. dann hatte ich ebenso das Problem, dass ich ihn gerade anlog und.. keine Ahnung, er würde es dann schon nachvollziehen können. Heutzutage wusste man immerhin nie wem man begegnete. So einfach war das. Und ansonsten... war ich es eben doch gewöhnt alleine zu sein, dann sollte er eben wieder gehen. Ich wusste nicht mal, ob ich es auf Dauer mit jemandem an meiner Seite aushalten würde, so ungewohnt wie das mittlerweile sein musste, war.
Eine Gegenfrage stellte ich erst einmal ganz bewusst nicht. Wirkte abweisend, vielleicht störte ihn das. Vielleicht ließ er sich davon aber auch gar nicht weiter abschrecken..
Summend überquerte ich die Straße. Ich sang oft, wenn ich allein war, aber nie vor anderen. Irgendwie bin ich dafür zu schüchtern. Nun gut, schüchtern kann man das nicht nennen. Ich singe einfach nicht gerne vor anderen. Vielleicht, weil ich nicht möchte, dass mich jemand deswegen auslachen könnte. Meine Mom sagte immer, ich habe eine schöne Stimme, aber das ändert trotzdem nichts an meiner Entscheidung. Mir ist es meistens unangenehm solche Komplimente zu bekommen. Ich stehe eben nicht immer gerne im Mittelpunkt - so bin ich nicht. Schließlich pfiff ich einmal die Töne eines Feuertölpels. Diese Vögel faszinierten mich schon immer. Jedoch wusste ich, dass es kaum noch welche von ihnen gab. ich kann mich sogar gar nicht mehr daran erinnern, wann ich zuletzt einen gesehen hatte. Zu meinem Erstaunen bekam ich genau die gleiche Melodie zurückgesungen. Zwar kam das Zwitschern von sehr weit weg, aber es war da. Ein Lächeln stahl sich auf meine vollen Lippen. Ja, ich hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, so einen Vogel noch einmal zu sehen, aber wie es aussieht, hat sich dies ausgezahlt. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Nachdem die Melodie verklungen war, setzte ich meinen Weg fort. Ich war nämlich einen kurzen Augenblick stehengeblieben und hatte in die Ferne geschaut, als würde ich den Vogel, der mir zugesungen hatte, sehen. Der Wind nahm ein wenig zu, weswegen erneut eine Haarsträhne in mein Gesicht wehte. Vielleicht hätte ich mir doch einen Zopf machen sollen. Mit so langen Haaren, die für uns Tawuni üblich waren, war es bei schlechtem Wetter eben nicht ganz so einfach. Jetzt schlug der Wind um, sodass mein Haar nach hinten geweht wurde, was ziemlich praktisch war. Naja, das Wetter war schon komisch. Mittlerweile konnte es von einer auf die andere Sekunde so heftig umschlagen, dass es frostete oder sogar noch schlimmer. Deswegen war ich froh, dass das Wetter momentan recht angenehm war. Die Stadt kam immer näher und die Gebäude wurden immer größer, während ich am linken Rand entlang der Straße runterlief. Wenn man nach rechts schaute, breitete der Wald sich noch sehr viele Meter nach vorne aus. Wie groß er tatsächlich war, wusste ich nicht. Ich habe als Tawuni nicht die perfektesten Augen, aber in der Ferne nahm ich auf einmal zwei Personen wahr. Es sah aus, als wären sie auf irgendeiner Mission. Sie waren vorsichtig, leise und kaum zu bemerken. Unwillkürlich blieb ich stehen, blickte mich um, schaute ob jemand hinter mir stand. Merkwürdig. Ich runzelte leicht die Stirn und kniff meine Augen leicht zusammen, während ich hoffte, sie hatten mein Pfeifen nicht gehört. Wer weiß, wer die überhaupt waren. Waren das Menschen? Ach quatsch, sie wollen bestimmt nur irgendwo hin oder spazieren. Erst dann, als ich einige, leise Schritte weiter gegangen war, fiel mir das beinahe schneeweiße Haar auf. Entweder es war ein Zufall, oder diese beiden Personen, also die junge Frau und der junge Mann, waren wirklich die, für die ich sie hielt. Diesen, meistens blinden, Wesen war ich in meinem bisher noch recht kurzem Leben, noch nie wirklich begegnet. Ich hatte viel über sie gehört, Geschichten erzählt bekommen, aber sie noch nie aus so einer Nähe gesehen. Höchstens aus sehr, sehr weiter Entfernung, aber mehr auch nicht. Die Geschichten, die meine Mom über sie erzählt hatte, sagten, sie seien gefährlich. Manchmal sogar sehr gefährlich. Meine Neugier trieb mich voran, den beiden zu folgen und mein Essen auf später zu verschieben, aber meine Vernunft sagte, ich sollte den eigentlichen Weg nehmen. Aber was passierte, wenn sie mich schon gehört hatten?
Ich saß nun schon einige Zeit nachdenklich da. Machte nichts. Der Wind hatte etwas nach gelassen und ich hörte ein paar Vögel zwitschern. Ich atmete einmal durch und stand dann auf. Schnell packte ich mir den Köcher mit den Pfeilen und meinen Bogen. Diesmal würde ich den näher gelegenden Wald nehmen. Also schlug ich den Weg nach links ein und kam schon bald zu einem kleinem Waldstück. Viele Bäume waren schon tot.
Leise ging ich durch die Sträucher. Ab und zu sah ich auf den Boden, suchte nach Spuren. Und tatsächlich fand ich welche. ich tippte auf einen Fuchs. Also folgte ich den Spuren und hoffte, das ich der Fuchs finden würde.
Und tatsächlich. Dort saß ein Fuchs, bemerkte mich nicht. Tut mir leid Kumpel.... Ich legte den pfeil an. Zielte. Und schoss. Er taumelte leicht und sah zu mir. ich glaubte fasst, trauer in seinen Augen zu sehen. ich schüttelte schnell den Kopf und ging langsam auf das noch lebende Tier zu.
Der Fuchs fiebte ein letztes mal, ehe er umfiel und leblos da lag. Grob zog ich den pfeil aus dem schlaffen Körper des Tieres und steckte in zurück in den Köcher.
Ich lehnte mich an den Baum. Vieleicht würde des Geruch von Blut noch andere Tiere anlocken, das wäre recht praktisch. Ich verschränkte locker die Arme und starrte in den Wald hinein. Leise vernahm ich einen gesang war. Ich versuchte ihn zu ignorieren und sah nun starr gerade aus auf den Fuchs.
Es dauerte nicht lange, bis wir die Siedlung verließen und dem Wind vollkommen ausgeliefert waren, der nun von keinen halb verfallenen Gebäuden aufgehalten wurde. Es stimmte mich traurig zu wissen, dass unser kleines Dorf weiterhin schrumpfen würde, wenn wir nicht bald eine sichere Nahrungsquelle finden würde, aber was war in diesen Zeiten schon noch sicher? Die Menschen vielleicht? Das ich nicht lachte, schließlich verschwanden gerade diese Wesen meist auf unerklärliche Weise, wobei es nur ein Rätsel blieb, wenn man nicht um die Existenz der anderen zwei Rassen Bescheide wusste. Sie waren mir nicht gerade die liebsten Arten, jedoch um das um das Hundertfache besser als diese mickrige Gattung der übrig gebliebenen Menschen. Sie hatten es alle nicht verdient zuzusehen, wie sich die Welt versuchte zu regenerieren, nur um diese zweite Chance erneut mit Füßen zu treten. Wut sammelte sich in mir an, als meine Gedanken zu dem immer kleiner werdenden Stamm wanderten, weil viele dem Hunger nicht standhalten konnten, ihr Glück auf eigene Faust versuchen wollten und damit aus dem Schutz des Oberhauptes verbannt wurden. Mit schweren Herzen mussten Zurückkehrende ihrem eigenen Schicksal überlassen werden, denn wer Verrat an dem Achak beging, musste mit einem hohen Preis für dieses Vergehen rechnen.
Meine Füße führten mich nicht direkt in das Unterholz des Waldes, wo wir womöglich auf andere Lebewesen – Nahrung, Opfer oder wie man es nennen wollte – treffen würden, sondern daran vorbei, dennoch wollte ich das Flüstern der Baumkronen nicht missen müssen, weshalb ich die Route so wählte, dass wir jederzeit auch im Schutz des Waldes untertauchen konnten, wo wir überlegen waren. In einem Wald entstanden mehr Geräusche pro Schritt als man sich als Mensch oder anderes Wesen mit nur halb so ausgereiftem Gehörsinn vorstellen konnte. Der Fußmarsch verlief ruhig, ich ließ mich von den Gerüchen und Lauten der Umgebung lenken, die bald wechselten und somit eindeutig für eine Stadt standen. Es roch nicht mehr so unberührt, sondern verdreckt und heruntergekommen. Der Wind konnte nicht mehr ungehindert über Baumwipfel und Lichtungen hinweg streicheln, sondern musste sich einen anderen Weg, um die hohen Gebäude herum suchen. Bald war es aber so weit. Bald würden die Naturgewalten aber selbst das letzte Haus zum Einsturz bringen und in Grund und Boden stampfen. Frohe Voraussichten, wenn man sich sicher wiegen könnte, dass man es selbst auch noch erleben wird. Der junge Krieger an meiner Seite lenkte meine Konzentration auf sich, als er seine Frage laut aussprach „Ich habe keine sonderlich hohen Erwartungen darauf, aber dennoch würde ich es mir wünschen. Viel zu lange mussten wir enthaltsam sein und irgendwann ist eine Grenze erreicht“ gab ich ihm zur Antwort und konnte fremde Worte in meinem Kopf widerhallen hören. “Wir müssen ihr Verlangen nach Menschen stillen, sonst wird alles aus den Fugen geraten. Es ist unsere Aufgabe dafür zu sorgen, dass wir eine Einheit bleiben und nicht durch den Hunger geschwächt werden. Ich will keine überstürzten Mission übereifriger Krieger in meinem Stamm sehen, die sich auf eigene Hand in die Städte aufmachen, um Seelen zu rauben.“ Die Worte des Oberhauptes klangen unheilverkündend; noch ein Grund, der mich dazu antrieb in die Stadt zu gehen. Jedoch mussten diese Hintergründe nicht an die Ohren eines Kriegers gelangen, sie gingen niemanden etwas an, der sich nicht aus dem Mund unseres Stammesführers gehört hatte.
Ein singender Vogel riss mich aus meinen Gedanken heraus, ließ mich abrupt stehen bleiben und lauschen. Ich kannte diese hellen Stimmen, das Zwitschern kam mir bekannt vor, obwohl ich es schon viel zu lange nicht mehr vernommen hatte. In dem an unser Dorf grenzenden Wald gab es nur mehr sehr wenige Exemplare, die sich gut versteckt hielten und ihre Singstimmen im Verborgenen hielten, um nicht Opfer eines Jägers zu werden. Ihr Markenzeichen war es jedoch Stimmen zu imitieren, Gehörtes nachzuahmen und diese Melodie kam mir alles andere als ein natürlicher Laut eines Vogels vor. Meine blinden Augen suchten Elija, meine gesamte Haltung deutete die Lauer an und meine Konzentration erstreckte sich in die Umgebung um uns herum. Nun wusste ich wieder, warum ich die Stadt nicht mochte: viel zu viele Gefahren lauerten an jeder Ecke, selbst am Rande der Stadt konnte man sich nicht in Sicherheit wissen.
Ich lauschte den Worten der jungen Frau, runzelte dann leicht die Stirn, als sie meinte, dass ihre Familie misstrauisch war und dass sie etwas dagegen hatte, wenn ich sie begleiten würde. Hmm. So lief der Hase also. Mittlerweile war ich mir sogar ziemlich sicher, dass das, was sie sagte, nicht so recht der Wahrheit entsprach. Vermutlich sollte ich dennoch vorsichtiger sein, bevor ich zum Schluss doch noch eine ganze Horde von Menschen am Hals hatte. Aber mein unermüdliches Bedürfnis nach ein paar Spielchen mit dieser Frau trieb mich weiter und letztendlich gab ich doch ziemlich schnell nach. War ja auch nicht so, als würde ich mich im Fall der Fälle jetzt gar nicht mehr verteidigen können. Nein, so war es nicht. Und anstatt nachzugeben, zuckte ich kurz leicht mit den Schultern. „Ich werde euch schon nicht verraten. Ich will dich nur bis hin zu eurem Haus begleiten, mehr nicht. Ist das verboten?“ erwiderte ich und ein leichtes Lächeln stahl sich auf meine Lippen, während ich doch weiter neben ihr herlief. Nein, nein, abschütteln lassen würde ich mich jetzt ganz sicher nicht. Ganz bestimmt nicht. Konnte sie vergessen. Und solange sie nicht wusste, was ich war, konnte ich auch mit ihr umherspringen wie ich wollte, wie es mir gerade passte und wie es meine Laune gerade wollte. So war das nun einmal. So war der Lauf des Lebens.. und hätten die Menschen ein wenig mehr auf ihre Umgebung aufgepasst und sie nicht so verkommen lassen, dann hätten sie jetzt nicht drei neue Spezies am Hals. Dann müssten sie nicht vor den Ausgeburten der Hölle Angst haben. Hatten sie sich doch selbst eingebrockt und wir.. wir gingen eben auch nur unseren Instinkten, unserem Drang nach Leben nach. Mal hier, mal da also. Soso.. Die Ressourcen sind schnell aufgebraucht? Ich warf ihr einen kurzen Seitenblick zu und bevor ich irgendwas Falsches sagte, was mich gleich auffliegen ließ, nickte ich leicht. Wobei sie damit nicht einmal so Unrecht hatte, wenn ich mir das recht überlegte.. die Ressourcen waren tatsächlich schnell aufgebraucht. Immerhin lief man hier nicht mehr tagtäglich einem Menschen über den Weg. Oder eher andersherum, denn normalerweise stürzte ich mich nicht gleich mal eben so in eine Menschenmenge. Hatte ich zwar auch schon getan, ja.. aber das hätte mich doch beinahe einmal das Leben gekostet, weil mir irgendwer auf die Schliche gekommen war und mir geradezu mein Hemd vom Leib gerissen hatte. Und mein Tattoo des Drachen war auch nicht unbedingt.. klein. Aber gut, das tat jetzt hier erstmal nichts zur Sache. Solange sie nicht wusste, wer und was ich war, konnte ich getrost meine Spielchen mit ihr spielen und mich letztendlich vielleicht auch an ihrem Leid ergötzen. Klang wirklich schauderhaft. Für die Menschen. Für mich.. war es Normalität. Ich ließ meinen Blick kurz schweifen, es dämmerte so langsam aber sicher und irgendwie wollte ich auch auf keinen Fall, dass mir hier irgendwer die junge Frau streitig machte. Dass sie mich nicht als Begleitung haben wollte merkte ich schon, aber das störte mich nicht. Wobei ich auch nicht zu aufdringlich wirkte, aber abschütteln lassen würde ich mich nun einmal auch nicht. Ich fuhr mir kurz durch die dunklen Haare und richtete meinen Blick auf die Straße vor mir, bevor ich sie doch wieder kurz aus meinen aufmerksamen Augen musterte.
Ihre Antwort war irgendwie genau das, was ich erwartet hatte. Nichts Eindeutiges, aber doch erstmal relativ positiv gestimmt. So etwa fühlte ich mich in diesem Augenblick auch, vor allem, als ich dann ein merkwürdiges Geräusch vernahm. Ein Vogel, ja, aber etwas störte mich am Klang seines Gesangs. Ich konnte es nicht genau definieren, doch als ich bemerkte, dass Nerea stehen blieb und lauschte, wusste ich, dass ich mich nicht irrte. Etwas daran war einfach grundlegend falsch gewesen und vielleicht hatten wir ja sogar schon hier am Stadtrand Glück und würden einen Menschen oder auch zwei finden. Statt zu ihr zu schauen, wandte ich mich lautlos in die Richtung aus der das Geräusch gekommen war. Natürlich der Wald, aber ein inneres Gefühl sagte mir, dass es nicht der Wald war, wo die Gefahr lauerte. Also blieb ich absolut still und drehte mich mit minimal zusammengekniffenen Augen herum, suchend nach dem wirklichen Ursprung. Ich hoffte, dass der Verursacher sich erschrecken würde, wenn mein Blick auf ihn traf und so dann vielleicht einen ungewollten Laut von sich gab. Nerea und ich waren derart konzentriert, dass das kleinste unüberlegte Geräusch uns aufmerksam machen würde. Weglaufen ist nicht mehr, du gehörst uns.
Vielleicht sollten wir uns ein Stück in den Wald zurück ziehen und von dort aus, von einer geschützteren Position aus, weiter lauschen, aber dafür müssten wir ein paar Schritte gehen, einige Sekunden opfern in denen wir nicht die volle Konzentration auf das Gehör legen konnten. Ich blickte blind umher, um der Person so das Gefühl zu geben, als wäre ich ein Sehender, als würde ich sie jeden Augenblick entdecken, egal, wo sie war. So saßen wir nämlich in der Falle. Ich musste etwas hören, wir beide mussten das, um überhaupt etwas ausrichten zu können und wenn diese Person schlau war, würde sie einfach warten, nicht angreifen. Aber womöglich hatten wir ja auch das Glück und unsere Art war ihr oder ihm unbekannt. Er hielt uns vielleicht für eine Familie, die eben mit dem hellen Haar gesegnet worden war und würde einfach, ahnungslos, zu uns kommen. So Menschen gab es durchaus, da viele kaum von unserer Existenz wussten, geschweige denn tatsächlich daran glaubten. Es gab wohl einige Geschichten, Mythen, aber welcher Mensch gesteht sich schon ein, dass er an ein böses Märchen glaubt und nur wegen einer Erzählung in Angst lebt? Viele schämen sich dafür – noch ein Vorteil für uns Achak. Na los, komm schon. Beweg dich, komm her. Mach etwas. Obwohl nur einige Sekunden vergangen waren, bekam ich das Gefühl, als wären Jahre vergangen, die wir einfach nur da standen, lauschten und in voller Anspannung waren. Ich griff nicht zu meiner Waffe – gerade war ein nur ein kleiner Dolch – weil ich doch noch ein Stück weit hoffte, dass er oder sie einfach zu uns kommen würde. Dass er oder sie es uns so leicht machen würde…
Mein Atem stockte leicht. Meine Augen ruhten auf den beiden Personen. Ja, sie hatten mich tatsächlich gehört und warfen jetzt auch ihre Blicke in meine Richtung. Sie schienen wie normale Menschen, so wie sie sich umschauten. Aber irgendwas an ihnen war anders. War es ihr Haar? Ja, das sowieso. Überlegend biss ich mir leicht auf meine Unterlippe, so wie ich es immer beim Grübeln tat. Irgendwas.. Dann fiel es mir auf. Es war die Art, wie sie sich fortbewegt hatten. Die Art, wie sie durch die Gegend geschlichen waren. Sie handelten ganz anders als Menschen es taten. Menschen gingen ohne zu überlegen durch die Gegend. Schnell, unachtsam. Sie konnten schnell ausweichen und schrecken bei normalen Geräuschen nicht so hoch. Diese zwei mit dem weißen Haar jedoch waren anders als die Menschen. Zu blöd. Wenn sie welche gewesen wären, wär mir mein Essen ja entgegengelaufen., dachte ich, während mein Blick besonders den jungen Mann fixierte. Ich fragte mich auch, warum sie bei dem Geräusch so achsam geworden sind. Normalerweise klang mein Pfeifen sehr ähnlich dem Gesang des Tölpels, so behaupteten viele. Aber die, die dort ungefähr 10 Meter von mir entfernt standen, hatten irgendwie irgendwas bemerkt. Verdammt können die gut hören. Im nächsten Moment überlegte ich jedoch, dass sie sich über den Ruf des Feuertölpels gewundert haben könnten, genauso wie ich. Man hört diese Vögel ja nicht mehr so häufig wie früher. Meine Hand glitt lautlos zu meiner Seitentasche. Als ich den Griff des Dolches umschloss, fühlte ich mich schon um einiges sicherer. Sollte ich weglaufen? Oder stehenbleiben? Etwas sagen? Auf leisen Sohlen, ja für mich klang es beinahe lautlos, trat ich einen Schritt vor. Zögernd und unsicher. Ich wusste, dass ich Männer mit meiner Stimme in meinen Bann ziehen könnte, wollte dieses Risiko aber nicht eingehen, weil diese seltsame Frau an seiner Seite war. Frauen wurden davon zwar auch angezogen, aber ich ließ er vorerst. Ja, jede Tawuni besaß etwas unglaublich schönes an sich, dass jeden in den Bann ziehen konnte. Meine Waffe war meine Stimme. Denke ich zumindestens. Sie scheint auf Männer irgendeine bestimmte Wirkung zu haben. Ich kann jedoch nicht sagen, was an ihr so besonders ist. Der weiche Unterton? Die Stimme an sich? Mein Aussehen war natürlich auch üblich für eine Tawuni, aber es gab ja viele schöne Frauen. Vielleicht auch schöne, weibliche Menschen, die aber nicht die gleiche Wirkung auf Männer haben wie die Tawuni. Die Frau mit dem schneeweißen Haar war ebenfalls hübsch. Ihr weißes Haar war so außergewöhnlich. Und sie hatte so unglaublich rote Lippen. Waren sie so geschminkt? Ruhig wanderte mein Blick von dem Mann bis hin zur Frau. Immer wieder, um mögliche Reaktionen wahrzunehmen, aber sie blieben fast wie versteinert stehen. Nachdem ich noch ein paar leise Schritte vorwärts gegangen war, spürte ich ihre Aura. Sie war so anders.
Elija und ich hatten uns ohne Worte, ohne Blicke ohne Regungen verstanden und schienen beide dasselbe verdächtige Geräusch vernommen zu haben. Blind irrten meine Sinne in alle Richtungen des Waldes, denn der Vogel hatte sich überall über uns befinden können, aber dass der Tölpel nicht für diese sonderbare Melodie verantwortlich war, musste ich hier niemandem erklären. Es musste sich um ein anderes Lebewesen mit einer Stimme handeln, die der seltenen Vogelart imponiert hatte und somit wertvoll genug war, um imitiert zu werden. Nicht viele konnten sich dieser Gabe erfreuen. Meine Konzentration ließ jedoch kein weiteres Abschweifen zu, als ich meinen Kopf langsam hin und her wandte und dadurch nach außen hin zeigte, dass sogar meine Augen nach der Quelle Ausschau hielten. Schließlich sollte niemand wissen, dass ich nicht in der Lage war, meine Gegner wirklich zu sehen. Im Grunde brauchte ich das auch nicht, aber ich persönlich fühlte mich sicherer, wenn ich wusste, mit wem ich es zu tun hatte und das andere Wesen einschätzen konnte. Wir Achak waren immerhin auch einfach zu erkennen: weißes Haar, stahlgraue Augen, blutrot Lippen und eine beinahe durchscheinbar blasse Haut. Ein sehr krankes Erscheinungsbild, als wären wir kurz vorm Auflösen. Es gab verschiedene Sagen, Märchen und Geschichten um unser Volk. Die meisten dienten nur dazu, um die unartigen Kinder am Abend in ihren Betten zu halten, aber viele der Erzählungen hatten einen wahren Kern. Das Geschehen um diese reale Aussage herum war meistens nur erfunden und ausgeschmückt und selbst die richtigen Elemente wiesen Lücken auf, da niemand von den Menschen eine Begegnung unbeschadet überlebt hatte, sodass er die Märchen berichtigen konnte. Dafür sorgten wir schon. Demnach konnten wir dank der Unwissenheit der Menschen unbeachtet neben den anderen Existenzen leben. Unscheinbar und dennoch zum Greifen nahe.
Auf einmal ein Rascheln. Ein minimales Geräusch und dennoch durch den sanften Wind und das feine Gehör verzehnfacht, sodass es ein Leichtes für einen aufmerksamen Achak war dessen Richtung zu ermitteln. Ruckartig huschte mein kalter Blick zu der Ursache dieser wahrscheinlich unabsichtlichen Bewegung des Astwerkes am Boden. Das zarte Kratzen der Äste und das Rascheln der vertrockneten Blätter war wie Musik in meinen Ohren und lockte mich förmlich in die Richtung der Geräuschquelle, doch wozu hetzen? Dieses Wesen schritt versucht vorsichtig direkt auf uns zu, nur wenige Schritte, aber es reichte mir, um feststellen zu können, dass dieses Wesen weiblich und von zarter Statur sein musste. Die Schritte auf dem kalten Boden klangen viel zu weich und leicht – anmutig war das richtige Wort, das ich gesucht hatte. Anmut half dieser Frau jedoch nichts, denn ihre Bewegungen waren weiterhin hörbar, so gut sie sich auch versuchte anzuschleichen. Kurz grübelte ich über ihr Verhalten. Entweder war sie außerordentlich dumm, dass sie weiterhin näher kam oder besonders hinterlistig mit einem Ass im Ärmel. Sie würde keinerlei Chance haben, nur ein gefundenes Fressen abgeben. Meine Gedanken stockten jedoch, als ihre Präsenz spürbar wurde, es war jeden Falls nicht die eines Menschen. Definitiv nicht. „Eine andere Rasse...“ Meine Stimme war so leise, dass sie wie das Flüstern des Windes zu Elija getragen wurde und für diese weibliche Art ein paar Meter entfernt unmöglich zu verstehen war.
Ein leichtes Schulterzucken, was mir schon deutete, dass er meine Antwort, meinen Versuch seine Begleitung abzuwimmeln nicht einfach hinnehmen, akzeptieren und verschwinden würde. Aber was hatte ich im Endeffekt auch anderes erwartet? Wieso sollte er das auch tun? Vielleicht war er wirklich auch nur Einsam, vielleicht hatte er doch andere Hintergedanken, wollte herausfinden ob ich wirklich alleine war, vielleicht nicht doch einfach ein einfaches Opfer war. Ich konnte es sowohl positiv, als auch negativ sehen.. beides brachte mich zu nichts und vielleicht zu einem falschen Ergebnis, weswegen ich beschloss das ganze neutral anzugehen. Einfach sehen was weiter geschah, ändern würde ich es wohl ohnehin nicht können, er ließ sich – wie mir seine Worte dann auch noch zeigten – einfach nicht abschütteln. Außerdem konnte ich Gesellschaft durchaus mal wieder gut gebrauchen. Wer weiß, vielleicht war er wirklich schon bald wieder weg und hatte tatsächlich keine bösen Absichten, sondern war selbst nur ein wenig auf Gesellschaft aus. Es würde mir wohl gut tun mich mit jemandem zu unterhalten. Also nickte ich nun doch langsam, gab nach. „Also schön, wenn du nichts anderes zu tun hast..“, murrte ich leise, erwiderte sein Lächeln dann allerdings kurz um die etwas karge Antwort wieder ein wenig damit wett zu machen. Ich wollte ja auch nicht völlig abweisend sein. Wie gesagt; Vielleicht war er wirklich ganz nett und wollte mir gar nichts Böses. Vielleicht tat er mir gut. Hätte ich allerdings gewusst wer, oder eher was, er tatsächlich war, hätte ich wohl alles daran gesetzt ihn los zu werden oder gar... meinen Bruder zu rächen. Den Tod meines Bruders zu rächen. Ich war normalerweise wirklich kein rachsüchtiger Mensch und kein Freund von Gewalt.. aber was das betraf.. ließ ich all meine guten Vorsätze gerne fallen. Mein Bruder war das einzige gewesen, was ich gehabt hatte.. das aller Einzige. Das wichtigste in meinem Leben und ein Kailasa hatte ihn mir einfach genommen. Ihm sein Leben ausgehaucht als wäre es nichts wert gewesen, als bräuchte ihn niemand auf dieser Welt und als wäre es normal. Aber da hatte er sich getäuscht. Ich brauchte ihn, ich hatte ihn gebraucht.. ich war gerade 16 Jahre jung gewesen und hatte meine einzige Bezugsperson verloren.. alles was von meiner Familie noch übrig gewesen war. Mit einem einfachen.. hieb hatte er ihn nach unzähligen, grauenvollen Schlägen getötet. Mit dem Wissen, dass er gehen würde und mit dem Wissen, dass er jemanden zurück lassen würde. Das beängstigendste allerdings war gewesen, dass er dabei so zufrieden, so glücklich gewirkt hatte. Jeder Schlag hatte ihn wachsen lassen – nicht körperlich, aber ich hatte es ihm ansehen können. Jeder Funken Schmerz den er meinem Bruder zugefügt hatte, hatte ihm Kraft geschenkt, hatte ihn zufriedener gestellt.. hatte mir mehr und mehr Tränen in die Augen getrieben, Schreie entlockt, mich betteln und flehen lassen. Aber es hatte ihn nicht interessiert.. kein bisschen. Er hatte weiter gemacht und ihn umgebracht. Ohne jegliche Spur von Reue. Aber zurück ins Hier und Jetzt. Ich schüttelte meine Gedanken mit einer imaginären Handbewegung ab und konzentrierte mich auf meinen „Begleiter“, warf ihm einen kurzen Blick zur Seite zu, bevor ich ihn wieder auf den Weg vor uns richtete.. dabei hatte ich nicht einmal ein Ziel vor Augen. „Wieso das Interesse mich bis zu meinem Unterschlupf zu begleiten? Auf was bist du aus?“ Direkt, ja.. aber so war ich nun mal. Zumindest in den meisten Fällen. Vielleicht fühlte er sich ertappt, reagierte auf irgendeine Weise die ich deuten konnte. Wenn nicht, dann eben nicht. Ich würde es ja gleich erfahren. Das hoffte ich zumindest.
Heute wachte ich später auf, als sonst. Warum wusste ich nicht. Aber das war ja auch nicht wichtig.
Einen Moment lang blieb ich noch in meinem warmen, weichen Bett liegen und ließ den neuen Tag auf mich wirken. Das Kissen drückte gegen meine Wange und die schwere Decke schien mich davon abhalten zu wollen, aufzustehen. Durch die geöffneten Fenster wehten vertraute Düfte des Dorfes und des Waldes hinein und versuchten mich wieder in den tiefen Schlaf zu hüllen.
Warum sollte ich auch aufstehen? Ich hatte keine Aufgaben. In unserem Stamm waren die Frauen nicht fürs Jagen noch fürs Kämpfen zuständig und wenn frau dann auch noch unverheiratet war, musste sie sich schon anstrengen, um Aufgaben zu finden. Meist wurden sie dann doch für das Finden von Nahrung eingesetzt, ob das Sammeln von Früchten, fürs Fischen oder ähnliches. Ja, das würde ich heute tun. Fischen. Auch ohne sehen zu können, war das so leicht. Zumindest mit den uns Achak eigenen scharfen Sinnen.
Ich streckte mich noch einmal ausführlich, dass meine Gelenke knackten und die Bettwäsche raschelte, dann schlug ich die schwere Decke auf und stand schwungvoll auf. Auch ohne zu sehen, fand ich mich problemlos zurecht. Erst recht in meinem kleinen Haus. Ich atmete tief durch die Nase ein, und nahm gleich die verschiedenen Gerüche aller Möbel im Raum und der Umgebung vorm Fenster auf. Zielstrebig steuerte ich den großen Holzschrank an und nahm Kleidungsstücke heraus. Unterwäsche, eine Hose aus robustem Stoff, ein weiches, anschmiegsames Oberteil und legte die Sachen auf meinem ungemachten Bett ab. Warum sollte ich es machen? Sah doch eh keiner, selbst wenn jemand in mein Haus käme. Ich verließ das Zimmer und wusch mich in meinem Bad, bevor ich zurückging und mich anzog.
Essen tat ich nichts, bevor ich mir die Jacke aus dünnem Leder und hohe Stiefel anzog und mit einer Hand an der Wand entlangfahrend das Haus verließ, einen kleinen handlichen, aber tödlich scharfen Dolch am Gürtel. Ich würde mir nachher einfach einige Fische rösten.
Wie auch Nerea nahm ich das minimale Rascheln sofort wahr und wandte meinen Blick in diese Richtung. Sie – es war definitiv eine Frau, relativ jung und zierlich – schien sich auf uns zu zu bewegen. Machte sie es uns tatsächlich so einfach, war sie so unwissend oder vielleicht etwas naiv und neugierig? Wir waren zu zweit unterwegs, also würde es wohl keine Überlebende geben, nicht so, wie ich die Situation gerade einschätzte, aber eigentlich sollten wir sie vielleicht mit ins Lager nehmen, damit sich noch mehr von ihr nähren konnten. Ich kann verzichten, redete ich mir selbst ein, obwohl ich in meinem Inneren eine gewisse Vorfreude, ein Verlangen verspürte, das mir so ziemlich das Gegenteil sagte. Ich kann verzichten, wiederholte ich in meinen Gedanken und schritt mit gut gewählten, langsamen Schritten auf die junge Frau zu. Ohne es zu wollen, kam mir der Gedanke, wie sie wohl aussah. Allein anhand der wenigen Schritte konnte ich mir noch kein Bild von ihr machen, hatte keine Vorstellung im Kopf, aber falls wir sie fangen mussten, falls sie weglaufen wollte und sich wehren würde, würde dieses Bild schon noch kommen. Es mag etwas merkwürdig klingen, aber es war mir wichtig meine Nahrung einschätzen zu können, gefühlt zu haben, weshalb ich mir gerne etwas mehr Zeit ließ, um den menschlichen Körper des Opfers vollständig wirken zu lassen.
Ich war einen Schritt hinter Nerea und nahm ihre Ausstrahlung, diese Präsenz, erst einen Augenblick später wahr. Oh ja, eine andere Rasse war sie auf jeden Fall. Kein Achak, so viel stand fest. Und auch kein Mensch. Menschen waren alle auf eine Weise gleich und unbedeutend, aber diese hier, diese Frau strahlte etwas tieferes, mächtigeres aus, was um einiges faszinierender war. Eine Talutah Wachiwi. Sie musste eine von ihnen sein und somit hatte sie uns sicherlich auch erkannt, wieso bewegte sie sich dann also? Wieso hatte sie unsere Aufmerksamkeit auf sich gezogen? Womöglich nahm sie ja an, dass sie eine Chance gegen uns hatte, aber selbst wenn ich alleine unterwegs gewesen wäre.. oder Nerea. Ich rechnete ihr keine allzu großen Chancen an, wobei ich es doch ziemlich faszinierend fand. Einmal in meinem Leben war ich einer Wachi begegnet und damals war ich noch ein Kind. Ich fragte mich, wie sie wohl wirkte. Was für eine Ausstrahlung ihr Schmerz haben würde, wie sie schmeckte. Ich tat einen etwas größeren Schritt – unvorsichtig – und hielt dann eine Sekunde inne. Ich wusste um ihre Kraft, um die Ausstrahlung auf Männer und ein Stück weit fürchtete ich mich davor. Ich musste standhaft bleiben, durfte mich nicht verleiten lassen. Sie war der Gegner, die Nahrung und Nerea würde es sicherlich nicht mögen, wenn ich mich dieser Wachi hingab. Das durfte ich einfach nicht.
Als Wachi war ich ziemlich aufmerksam. Jede Wachiwi war das. Das war eine weitere Stärke von uns. Nachdem ich einige Schritte vorgegangen war, war mir irgendwie schon klar gewesen, dass die beiden nun wirklich auf mich aufmerksam wurden. An dem Verhalten des Mannes erkannte ich, dass er hoffte, ich sei etwas für ihn wert. Wahrscheinlich dachte er im ersten Moment, ich sei ein Mensch. Nahrung für die beiden. Dann bin ich wohl nicht die einzige, die heute auf Nahrungssuche ist. Er kam auf mich zu. Ziemlich selbstsicher sogar. Und dann stoppte er. Als hätte er jetzt bemerkt, wer ich war. Wahrscheinlich war es meine Präsenz. Genauso wie diese beiden vor mir eine ganz außergewöhnliche, mächtige hatten. Meine Hand schloss sich fest um den Dolch und im nächsen Moment zog ich diesen aus der Lasche. Leicht, zaghaft, als wäre es so schnell zerstörbar, aber gleichzeitig auch schnell und selbstsicher. Oh ja, sie hatten dieses Geräusch, das Aneinanderreiben der Klingt und des Lederstoffes, bestimmt wahrgenommen. Ich war mit meinen siebzehn Jahren schon recht gekonnt im Umgang mit diesem scharfen Stück. Ich benutzte es nicht zum ersten Mal. Es war mein Schutz und gleichzeitig meine Waffe. Wenn sie mich angreifen würden, wäre ich wenigstens gewappnet. Während ich den Mann mit dem weißen Mann beobachtete, überlegte ich, ob mich sein Blut nähren würde, ob ich davon nicht mehr so hungrig und durstig wäre. Nein, mir kam noch nie im Leben die Gelegenheit dazu, Achakblut zu trinken, geschweige denn einen echten Achak zu treffen. Es waren nun nicht mehr als sechs Meter, die mich von diesem Mann trennten und irgendwie faszinierten mich seine Augen. Meine Gedanken schwirrten wie wild durch meinen Kopf, doch öußerlich stand ich seelenruhig da und betrachtete die Wesen. Ich strich mein vom Winde verwehtes Haar mit der freien Hand zurück. Was würde geschehen, wenn ich sprechen würde? Was hatten die Blinden für ein Bild von mir? Ja, in den vielen Märchen waren alle Achak blind, weswegen ich darauf schloss, dass die beiden es auch waren. Besonders die Augen des jungen Mannes, die ich aus der Nähe besser erkennen konnte als die der Frau, sahen so unmenschlich aus. Und ich hatte noch nie so rote Lippen bei so blassen Menschen gesehen. Und das weiße Haar.. es war schön. Es ließ die Wesen so edel scheinen. Meine Neugier trieb mich noch einen Schritt näher heran. Ich war so neugierig, dass ich die mögliche Gefahr einfach ignorierte. Aus aufmerksamen Augen betrachtete ich den Achak, während mein Blick immer wieder zurück, zu seiner Begleitung, wich.
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