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Im Nachhinein hätte ich mir doch gewünscht, dieses Thema nicht weiter zu vertiefen, da es Elija anscheinend nicht gerade leicht fiel, darüber zu reden. Wie denn auch? Natürlich war es nicht einfach, weil es doch schlicht weg seine Heimat und seine Familie war, die einfach so auseinandergerissen wurde. Ich weiß ganz genau wie es sein muss, jemanden zu verlieren. Und der Stamm war nunmal sein Zuhause. Genau an diesem Punkt konnte ich mich natürlich nicht genau in ihn hineinversetzen. Was weiß ich schon von seinem Leben? Fast niemand weiß Genaueres über die Achak, was eigentlich auch recht üblich ist.. Niemand weiß genau, wo sie lebten, wie sie lebten, welche Sitten sie trugen. Vorurteile gab es immer. Auch bei all den anderen Wesen, also auch unter meiner Rasse. Wenn ich ehrlich bin, habe auch ich damals das von den Achaks gedacht, was herumerzählt wurde. Wie sonst konnte man sich etwas Unbekanntes vorstellen? Manchmal konnte ich auch einfach nicht nachvollziehen, warum die Achak so abgeschottet lebten. In dieser kurzen Zeit, in der ich Elija nun kannte, konnte ich mir aber ein viel besseres Bild über diese Leute machen. Achak waren nicht so blutrünstig, wie man immer dachte. Immerhin bestand sogar ein Brauch, der jedes Leben ehrte, wenn man es denn so nennen konnte. Ich kann jetzt einfach nicht mehr behaupten, dass Achak unbarmherzige Mörder und Geister sein sollen, die andere in Angst und Schrecken verjagen. Nun ja, und jetzt wurde sein Stamm eben aufgelöst un Elija stand ohne alles da. Nur diese eine Achak, die wir vorhin getroffen hatten, war die einzige, bis jetzt überlebende, gewesen.
Sobald er nach meiner Hand griff, verfestigte ich den Griff und blickte in seine grauen Augen, als höre ich ihm genau zu. Zwar konnte er mich nicht sehen, aber die Nähe allein sprach doch schon Bände. Strenge Regeln und Anforderungen.. war das nicht schlimm? Man wurde ständig davon beeinflusst, sich nicht mit anderen Wesen abgeben zu dürfen. Ich persönlich konnte das nicht nachvollziehen und war auch ein wenig geschockt über die folgenden Worte. Ich hätte keinesfalls gewollt, dass er bestraft werden würde. Als ich ihn kennenlernte, war ich mir noch nicht bewusst gewesen, was ich denn hätte verursachen können. Was wäre, wenn der kurze Kontakt aufgeflogen wäre? Sehr naiv von mir... Ich hatte regelrecht gespürt, wie die Anspannung stieg, bis mich seine letzten Worte nun doch nicht mehr davon abhalten konnten, zu lächeln. Sehr wagende Worte, wobei er doch hätte traurig sein müssen, dass eben zu dieser Zeit alles zerbrochen ist. In mir erfüllte sich ein Gefühl der Volkommenheit. Trotz der Verluste.. ''Du darfst so etwas doch nicht sagen..'', fügte ich dem leicht verlegen bei und strich mit der freien Hand kurz über seine Wange. ''Und hey. Wenn etwas ist. Ich bin immer für dich da.'' Der leicht verträumte Ausdruck, der sich in meine Augen geschlichen hatte, wurde wieder fester. Ja, ich meinte es total ernst. Tja und dann küssten wir uns, als wäre es völlig normal.
Auch den Abend, als wir uns eng nebeneiner aufs Sofa gelegt hatten, dachte ich noch viel über die Ereignisse des Tages nach. Die Gespräche, die Küsse... Und auch, obwohl ich nicht mehr als das helle Haar in der Dunkelheit erkennen konnte, lächelte ich ihn an. Mit ebenso diesem Lächeln schlief ich ein. Die Nacht war recht ruhig verlaufen. Ab und zu wurden wir wach, um zu schauen, dass auch niemand hier reinplatzte. Vorsichtshalber eben.
Eine sachte Stimme riss mich vorsichtig aus dem Schlaf, wobei ich doch dachte, dass das alles noch ein Traum war. Wer sollte mich denn schon wecken? Seit Jahren lebte ich alleine. Und dann auch noch eine Männerstimme.. Elija. Zwinkernd öffnete ich die Augen, als ich langsam zur Besinnung kam und mein Kopf wieder zu arbeiten began. Alle Bilder des gestrigen Tages drangen vor mein inneres Auge. Der Sturm, die andern Spezien hier im Gebäude. Und wo ich überhaupt war. ''Oh.. hey..'', entgegnete ich noch mit leicht schläfriger Stimme, als ich direkt in das so mir schon bekannte Gesicht mit den roten Lippen und den grauen Augen schaute. Den zweiten Teil des Satzes realisierte ich aber erst, als ich mich aufgesetzt hatte und mir leicht verwirrt durchs Haar strich, welches mir schon zerzaust in die Stirn hing. ''Der Sturm ist vorbei? Hm..'' Kurz horchte ich in die Stille hinein und stellte tatsächlich nichts, außer ein leises Knistern fest. Mit einem Blick in Richtung Kamin stellte ich fest, dass Elija neues Holz nachgelegt haben muss.
Sie war noch recht verschlafen und reagierte so auch nicht direkt auf meine Worte. Ich hatte es nicht anders erwartet.. wobei, als Talutah Wachiwi lief sie ja die meiste Zeit alleine rum, hatte keine Kontaktpersonen oder so und musste dann doch einen sehr leichten Schlaf haben. Sobald ich erstmal in meinem Zimmer im Dorf gewesen war, hatte ich mich in Sicherheit fühlen können. Es gab immer Nachtwächter und Wachen – keine Gefahr beim Schlafen, aber bei ihr? Ich konnte mir das nicht richtig vorstellen, aber irgendwie wusste ich, dass sich das ziemlich schnell ändern würde. Ich war jetzt auch allein, ohne meinen Stamm auf mich gestellt. Ich sollte nach der anderen Achak sehen, mit ihr sprechen und … und was tun? , ging es mir durch den Kopf, während Renesmee sich langsam aufsetzte. Noch immer kniete ich vor ihr, eine Hand auf die Sofakante gestützt. „Ja, es scheint so. Wobei das glaube ich nicht direkt heißt, dass wir in Sicherheit sind.. wenn ich mir überlege, wie sehr es zwischenzeitlich gestürmt hat, muss da draußen immer noch Chaos herrschen“, meinte ich dann etwas nachdenklich. Mein Verständnis von Chaos war ein völlig anderes, als das einer sehenden Person. Für mich waren es die Dinge, die im Weg lagen, an denen der Wind abprallte. Unsichere Passagen, wo man bröckelnden Stein hören konnte, der kurze Zeit später auf dem Boden – oder dem eigenen Kopf – landen würde. Ich hatte deshalb ja keine Vorstellung davon, wie dieses Gestein aussah oder was mir da grade wirklich den Weg versperrte. Materialien zu unterscheiden war schwieriger, als man vielleicht dachte. Ein glatter, lackierter Holztisch, den man vor einem Jahrzehnt gekauft hatte, der aber noch gut in Schuss war, wirkte auf mich nicht sonderlich anders, als eine etwas rissige, dicke Glasplatte. Der Geruch unterschied sich erst dann, wenn das Holz durch die Lackschicht trat oder ein Stück der Glasplatte abbrach. Aber es machte doch auch keinen Unterschied. Natürlich wäre es eine schlechte Idee mich auf eine Glasplatte zu stellen, um irgendeine entstandene Lücke zu überqueren – aber für solche Situationen habe ich Renesmee. Sie ist mein Augenlicht, dachte ich und fand mich direkt selbst etwas kitschig. Also erhob ich mich wieder und räusperte mich leicht in der Hoffnung, dass ich keinen verträumten Ausdruck angenommen hatte, als ich kurz in Gedanken versunken war. Gedanken an die wunderschöne junge Frau, die da vor mir saß, verschlafen roch und die ich nun schon mehrere Male geküsst hatte. Die Frau, die die letzte Nacht in meinen Armen geschlafen hatte. Mein Herz machte einen kleinen Sprung, was mir schon wieder etwas unangenehm war. All diese Gefühle waren neu für mich, unbekannt und ein wenig erschreckend, aber doch einfach unglaublich schön. Ich sollte mich wohl nicht dagegen sträuben, aber ich wusste ebenso, dass das gefährlich werden konnte. Ich durfte nicht anfangen mich auf sie zu verlassen. Sie konnte nicht mein Augenlicht ersetzen, denn ich hatte keins. Ich glich dieses fehlende Sinnesorgan anders aus und das war auch gut so. Keine kitschigen Überlegungen mehr, trotz stärker werdender Gefühlte. Ich war ein Achak und ich sollte wohl aufpassen, dass ich mich auch weiterhin wie ein solcher verhielt.
Also trat ich noch einen Schritt vom Sofa zurück und blickte dann auf Renesmee hinab. „Vielleicht sollten wir mal schauen, wie es draußen aussieht. Ich vermute, dass sich in diesem Gebäude noch immer viele andere Wesen aufhalten und ich will eigentlich nicht riskieren, dass einer davon uns angreift“, – was so gesehen eine echt schlechte Idee wäre, da wir ja zu zweit sind, aber vor allem einem Kailasa könnte ich das zutrauen , ergänzte ich dann noch und hielt ihr meine Hand entgegen, um sie auf die Beine zu ziehen.
Ach genau. Warum habe ich da nicht gleich dran gedacht? Zwar war es schön und gut, dass dieser gefährliche und angsteinflößende Sturm nun endlich vorbei war, worüber ich mich für einen Moment echt gefreut hatte - endlich keine Blitze mehr sehen und kein Donner hören müssen - und echt erleichtert war, aber.. Da waren dann ja noch die Schäden, die das wilde Wetter bestimmt in der ganzen Stadt hinterlassen hatte. Und nicht nur in der Stadt, sondern auch im Wald. Elijas Heimat, und auch meine. Zwar lebte ich nicht durchgehen im Wald, doch stand da mein Haus, in welchem ich mich sehr gerne aufhielt. Außerdem bot es mir die vielen Jahre lang schon Schutz, da es ziemlich versteckt lag und bisher niemand die kleine Hütte gefunden hatte. Während ich Elija betrachtete, überkam mich ein Gefühl des Schmerzes. Nicht wegen mir, nein. Es war, weil ich realisierte, dass seine gesamte Heimat nun wahrscheinlich in Schutt und Asche lag. Es war bestimmt nicht nur ein Baum, der vom Blitz getroffen wurde und nun zerstört und verletzt am Boden lag. Und die armen Tiere, die im Wald lebten. Wo waren sie hin? Ich konnte nur unmerklich den Kopf schütteln. Du bist zu gut für diese Welt., ertönten die Worte eines Kailasa, den ich einmal getroffen hatte. Nun gut, es war gar nicht so lange her. War ich wirklich zu gut? Ich machte mir hier Gedanken um die armen Tiere.. sonst kümmerte sich niemand darum. Aber für mich war es nunmal normal, an die Wesen in meinem Umfeld zu denken, auch wenn man sich in dieser Welt alleine und ohne Gefühle herumschlagen musste - so ist es jedenfalls am besten. Wesen, die nicht hart genug durchgreifen können, können auch nicht für ihr Überleben sorgen. Apropos überleben. Was für ein Glück, dass ich mich erst letztens vom Blut ernärht hatte. In diesem Zustand, der sich draußen abspielte, fände ich nicht so schnell wieder frisches Blut. Leise gähnend verfolgte ich Elijas Schritte, als er sich wieder aufrecht hinstellte und einen Schritt rückwärts ging. Auf seinen Vorschlag, sich einmal umzuschauen, konnte ich nur zustimmen. ''Ja, das wäre wohl das Beste. Wir sollten am besten so schnell wie möglich hier raus, um nicht noch auf andere Wesen zu treffen.'' Dafür hatte ich sicherlich keinen Nerv so früh am Morgen. Wenn es denn überhaupt morgens war. In einem Raum ohne Licht hatte ich kaum Orientierung, wie spät es ungefähr sein konnte. Uhren gingen sowieso nicht mehr. Aber hell war es draußen bestimmt. Also erhob ich mich schwungvoll und legte den Kopf leicht in den Nacken, um mir das Haar ein wenig locker zu schütteln. Noch einmal fuhr ich mir durch die lange Mähne, ehe ich meinen Rucksack, der in der Nähe des Kamins lag und nun komplett trocken war, schulterte und mich dem Achak zuwandte. ''Ach und... Echt mal was anderes, neben jemandem zu schlafen. Hätte echt nicht gedacht, dass das so bequem sein kann.'', meinte ich noch schnell mit einem leichten Grinsen auf den Lippen.
Nachdem ich mich noch ein Weilchen an dem Feuer gewärmt hatte und noch ein paar Nüsse gegessen hatte, die sich noch in meinenTaschen finden ließen, war ich doch recht schnell eingeschlafen. Tief in meine Jacke eingewickelt, wachte ich schließlich am nächsten Tag auf. Ich spähte hinter die Vorhänge, die die eingeschlagegen Fenster abdeckten und zog erstaunt die Augenbrauen in die Höhe. Es war beinahe Mittag, dem Tageslicht nach zu urteilen, und es hatte doch tatsächlich aufgehört zu stürmen und sogar auch zu regnen. Die Sonne schien strahlend hell herunter und es wäre doch mal ausnahmsweise etwas wirklich gutes gewesen, wenn sie nicht von so vielen Pfützen und breiten Bächen reflektiert würde, die sich ihren Weg durch die komplette Landschaft suchten. Auch wenn ich die Gegend hier nicht bei gutem Wetter kannte, konnte ich mir nicht vorstellen, dass es sonst hier auch so aussah. Scheiße. Wie sollte ich hier wegkommen? An die Achak von gestern, der ich ja eigentlich noch ein Treffen schuldete, oder die anderen Wesen dachte ich nicht. Warum auch? Ich war frisch gestärkt, da konnte ich getrost auf Gesellschaft verzichten. Vorsichtig untersuchte ich die Bruchkante des Fensterglases und holte schließlich mein Buschmesser aus meinem Rucksack. Das Loch war noch nicht groß genug. Ich hatte keine Lust durch die Eingangstür zu gehen, wobei ich ja noch nicht mal wusste, wie es wassertechnisch da draußen aussah. Hier war unter dem Fenster wenigstens ein recht großer, recht glatter Stein, auf dem ich landen konnte. Direkt in die Fluten stürzen, war selbst für einen Kailasa wie mich zu unklug. Wer wusste, was unter den schlammigen Strömungen verborgen war? Ich hatte keine Lust, mit voller Kraft auf einen harten Dornenbusch oder Baumstamm zu springen, nur um mich dann daran zu verletzen. Selbst umknicken war in dieser Zeit schon beinahe ein Todesurteil. So also griff ich das Messer vorsichtig verkehrt herum und schlug mit dem Griff das restliche Glas aus dem Rahmen. Schließlich schnallte ich mir das Messer wieder an den Gürtel und stieg auf die Fensterbank. Mit einem Satz sprang ich herunter und landete etwas unsanft auf dem Stein.
Aufmerksam sah ich mich um, und überlegte, wie ich von diesem Grundstück herunter kommen würde. Und wohin ich überhaupt wollte. Ja, ich würde in den Wald gehen. Das Ausmaß der Zerstörung begutachten. Und vielleicht gucken, ob noch eines der Häuser stand und ob sich in einem davon noch was Brauchbares finden ließ. Zu meiner alten Unterkunft, einer kleinen Hütte, brauchte ich gar nicht hinzugehen. Dort lagen keine Sachen mehr von mir - ich hatte alles, was ich besaß, bei mir - und mit Sicherheit stand sie auch nicht mehr. Ich sollte mich um einen neuen Unterschlupf kümmern. War nicht irgendwo im Wald ein See gewesen? Vielleicht sollte ich mich da in der Nähe niederlassen, dort kamen mit Sicherheit öfter mal Wesen vorbei, die sich für meine Nahrung eigneten.
Wieder streifte mein Blick über die Wassermassen, die mich umgaben. Da gab es wohl keinen anderen Weg als hindurchzuschwimmen. Und immerhin hatte ich nichts bei mir, dem etwas Wasser etwas schaden konnte. Einmal noch überprügte ich, ob mein Rucksack zu war und ob mein Messer gut befestigt war und schwang mich dann in einer Bewegung von dem Stein herunter. Fast wäre ich auf dem glitschigen Boden ausgerutscht, konnte ich dann doch noch gut fangen. Das Wasser ging selbst mir fast bis zur Hüfte und war bitterkalt. Tief und leicht zittrig atmete ich durch, während sich auf meinem ganzen Körper eine Gänsehaut ausbreitete. Hoffentlich würde nachher die Sonne noch scheinen. Ich würde mich trocknen müssen und trockenes Feuerholz zu finden, würde schwierig werden. Langsam watete ich durch das Wasser auf das Tor des hohen Zaunes zu. Hin und wieder stieß ich auf Pflanzen, die mir den Weg versperrten, oder auch die vorbeitreibenden Kadaver kleiner und größerer Waldtiere, aber schließlich erreichte ich den Zaun. Außerhalb des Geländes sah es nicht besser aus. Die Straße, die eigentlich direkt zwischen dem Zaun und dem Waldrand verlief, war nicht mehr zu erkennen, und auch der Wald sah ein wenig aus, wie der verrupfte Pelz eines verwundeten Tieres. Überall konnte ich Lücken erkennen und es trieben auch einige recht große, abgesplitterte Baumstämme vorbei. Ich musste wirklich aufpassen, dass ich in keine größere Strömung geriet, wenn ich hier her wollte.
Meine Hand sank langsam wieder herunter, als sie sich selbst hoch drückte und sogleich an mir vorbei zu ihrem Rucksack ging. Ich griff dann auch nach meinem eigenen und blickte wieder in die Richtung von ihr. Ein Lächeln glitt auf meine Lippen. „Da kann ich nur zustimmen. So oft habe ich das in letzter Zeit auch nicht mehr gemacht“, erwiderte ich dann, griff einfach nach ihrer Hand und zog sie mit mir zur Zimmertür. Den Stuhl, der als kleiner – eigentlich recht unnötiger – Schutz noch vor der Tür stand und die Türklinke etwas versperrte, nahm ich zur Seite und ließ Renesmee dafür wieder los. Dann blieb ich noch kurz stehen und lauschte einfach. Ob da ein Geräusch war, ob etwas vor der Tür auf uns warten würde, aber es blieb still. Also umfasste ich den Türgriff und zog die Tür, die sich nach innen öffnete, langsam auf. Ich war ziemlich angespannt im Augenblick und wusste, dass ich jedes noch so kleine Geräusch sofort wahrnehmen würde, so wie den leisen Atem der Wachi in meinem Rücken. Und dann trat ich einen vorsichtigen Schritt in den Flur, sog die abgestandene Luft ein und musste feststellen, dass ziemlich viel Staub aufgewirbelt worden war, aber in der ganz direkten Umgebung niemand war. Das hieß nicht, dass im Raum nebenan oder um die Ecke rum nicht jemand sitzen konnte, sondern lediglich, dass der Weg auf den Flur hinaus für uns im Moment frei war. Ich drehte mich also halb nach hinten und hielt Renesmee wieder meine Hand hin. Ob sie danach greifen wollte oder nicht, war ihre Sache. Ich war mir auch gar nicht sicher, ob es überhaupt klug war hier jetzt wieder Hand in Hand herum zu laufen oder ob wir nicht etwas flexibler sein würden, wenn wir getrennt liefen. Weniger Aufmerksamkeit bekamen wir eh nicht, denn wenn uns jemand sah, würde er sich über die Zusammensetzung so oder so wundern – eine Wachi und ein Achak. Das sah man nicht jeden Tag zusammen. Und da es mehr Bewegungsfreiheit bot, wollte ich meine Hand schon wieder zurück ziehen, als mir allerdings noch ein Gedanke kam. Wenn hier gleich Chaos ausbrechen würde, weil sicherlich noch anderen Anwesenden auffallen würde, dass das Unwetter vorbei war, würde ich zu viele Sinneseindrücke auf einmal verarbeiten müssen, um wirklich aufmerksam darauf zu achten, wo Renesmee war. Was, wenn ich sie verlor? Wenn wir gleich getrennt wurden oder – was noch schlimmer wäre – ich ihr zu spät helfen würde, falls man sie angriff. Ja, so gesehen war ich schon ein bisschen pessimistisch, aber im Augenblick ersetzte Renesmee mein gesamtes Volk, jegliche Bezugsperson und war somit alles, was mir noch blieb. Wie sollte ich denn da nicht unglaublich vorsichtig sein in Bezug auf sie? Also blieb meine Hand wo sie war und ich hoffte ein wenig, dass die Wachi auch danach greifen würde.
Er hatte sie noch eine ganze Weile festgehalten und ein wenig ausgelacht für ihre Dummheit keine Waffe direkt griffbereit zu haben. Ihren Schlagring hatte er wohl scheinbar nicht bemerkt, wobei der auch nicht ganz als richtige Waffe durchging. Es war mehr ein Modeaccessoire, was im Notfall hilfreich seien konnte, aber eine richtige vollwertige Waffe? Eher nicht. Es war nicht so, dass sie sich damit nicht auch verteidigen konnte – klar, aber wer würde schon von ihr ablassen nur, weil sie ihm einmal das Ding in den Körper gerammt hatte? Nicht sonderlich effektiv also. Das Messer, was dieser Kerl an Phias Hals hielt, war da deutlich sinnvoller und bedrohlicher, aber es kam nicht zum Einsatz. Er hielt sie noch einige Minuten fest, ließ sich dann aber doch überzeugen sie laufen zu lassen und verschwand keine drei Sekunden später aus dem Sichtfeld der jungen Wachi. Was eine Erleichterung! , schoss es ihr durch den Kopf, während sie erstmal die eigene Hand an ihren Hals legte und den Schaden betastete. Er hatte sie nicht sehr verletzt, bloß durch die Reibung und Bewegung ein minimaler Schnitt, der maximal einen einzigen Tropfen Blut verlor – sehr gut. Dann brauchte sie sich um diese Angelegenheit keine großen Sorgen machen. Wäre ja auch schlimm, wenn sie jetzt anfangen müsste sich über starken Blutverlust zu sorgen und Panik haben müsste, ob sie nicht vielleicht jeden Moment verblutete. Nicht heute und nicht bei diesem Wetter.. und ganz bestimmt nicht wegen so einem doofen Kerl.
Sophia stand noch einige Minuten im Schutze des Baumes und überdachte die gerade passierte Situation, als es einen lauten Knall gab und direkt neben ihr ein dicker Ast zu Boden fiel. Der jungen Frau entfuhr ein leiser Aufschrei, gefolgt von einem panischen Sprung zur Seite – nur weg von dem Ast. Dann fasste sie sich reflexartig mit einer Hand auf das schnell schlagende Herz und beschloss den unsicheren Wald möglichst bald zu verlassen. Sie war eben doch nicht für die freie Natur gemacht – hatte schon so seine Gründe, warum sie ihr Haus zuvor noch nie verlassen hatte. Naja, fast nie.
Achtsam und sehr vorsichtig setzte Sophia ihren Weg zu dem Gebäude fort und fand tatsächlich ein offenes Fenster, das in erreichbarer Höhe war. Zunächst hatte sie hinein gespäht, war dann aber ziemlich schnell ins Innere geklettert, um erstmal wieder trocken zu werden. Was bei dem Sturm wirklich schwer werden konnte. Okay, Suchaktion Lucas – wie finde ich ihn denn hier drinnen nur? Möglichst ohne jemand anderem zu begegnen…, überlegte sie, während sie vor der Zimmertür, vor die ein Schrank gefallen war, Schritte wahrnehmen konnte. Also lief da auf jeden Fall jemand, aber ob das Lucas war oder noch so ein kranker Kerl, wie der im Wald gerade, konnte sie nicht ausmachen. Also verhielt sie sich ganz still, auch, als an ihrer Zimmertür gerüttelt wurde. Guter Schrank , dachte sie zunächst, bis ihr auffiel, dass sie wegen dem Ding vermutlich hier fest sitzen würde. Es war doch recht unwahrscheinlich, dass sie es schaffte das Ding zu verschieben – er war bestimmt doppelt so groß, wie die zarte Wachi! Also wieder raus in den Sturm? Oder im sicheren Zimmer bleiben und auf das Ende des Unwetters warten? Es gab ein wenig Feuerholz hier drinnen, einen staubigen Kamin und eine kleine Sitzgruppe um einen Tisch. Vielleicht war es ja sogar klug von ihr, dass sie sich fürs Bleiben entschied und erstmal ein Feuer entzündete, um sich zu wärmen. Sobald der Sturm vorbei war, war es ja auch viel wahrscheinlicher, dass sie Lucas finden würde, oder? Sie würde einfach versuchen die Nacht zu überleben und ihn morgen weiter suchen. Wenn er noch lebte – und davon ging sie einfach mal aus, musste sie einfach – dann würde er sicherlich versuchen wieder zu ihrem alten Haus zu kommen. Er konnte ja nicht wissen, dass es verlassen worden war.. und da wollte Sophia ihn dann empfangen und mit ihm zusammen weiter sehen. Er war wie ihr Bruder und sie konnte ihn nicht aufgeben, obwohl ihr Verstand ihr bereits zuschrie, dass es sinnlos war und sie ihn niemals mehr wiedersehen würde, ganz gleich, ob er lebte oder nicht. Aber das gestand sie sich noch nicht ein und so genoss sie die Wärme des Feuers und ruhte sich ein wenig aus.
Als sie wieder wach wurde, war nur noch Glut im Kamin vor ihr, die schon fast ganz zu Asche verglüht war, aber ihre Kleidung war getrocknet und das Unwetter hatte aufgehört. Jetzt musste sie sich nur noch zurück zu ihrem früheren Haus durchschlagen und da Lucas finden, gar kein großes Problem oder? Sophia stand auf und ging mit dem Rucksack auf dem Rücken und ihrem Schlagring an den Fingern zum Fenster. Eigentlich hatte sie vor sofort raus zu gehen und sich wieder in die Stadt zu begeben, nur waren da Wassermengen, die sie nicht so leicht überqueren konnte. Es war eine richtige Strömung entstanden und wenn an einer Stelle kein flussähnlicher Zustand war, stand der Matsch ziemlich hoch. Da würde sie niemals sicher durchkommen. Nicht alleine auf jeden Fall und vermutlich war das der Moment, wo die Wachi in ihr erwachte. Ihr Überlebensinstinkt und der dieses Monsters in ihr vereinten sich mit dem Wunsch ihren besten Freund zu finden. Sie musste nur einen Kerl suchen, der ihr helfen würde zurück in die Stadt zu kommen und durch ihre übermenschlichen Möglichkeiten sollte das doch nicht so schwierig werden, oder? Tief atmete Phia durch, bevor sie wieder aus dem Fenster kletterte und zunächst auf der Fensterbank sitzen blieb, die Füße nur wenige Zentimeter über dickem Matsch, der den Boden direkt hier überlagerte. Die Waldseite des Gebäudes zu wählen war wohl doch keine so gute Idee gewesen und Sophia verfluchte sich selbst ein wenig dafür. Dann sah sie sich um und konnte eine schmale Erhöhung entdecken, die sich einmal rund um das Gebäude zog. Sie war teilweise vom Matsch überschwemmt, aber an anderen Stellen noch deutlich zu sehen – so würde sie immerhin nicht ganz durch den Dreck waten müssen.
Als sie dann recht langsam und mit viel Mühe die andere Seite des Gebäudes fast erreicht hatte, nahm sie ein Geräusch war. Sie war noch an einer Seitenwand und wollte gerade um die Ecke biegen, als jemand sprang…? Genau konnte sie nicht sagen, aber es klang nach einem Aufprall und als sie um die Ecke spähte, entdeckte sie einen gut gebauten, relativ großen Kerl, der soeben aus einem Fenster auf einen Stein gesprungen war. Und noch bevor sie ihn sich richtig angesehen hatte, hatte sie schon beschlossen, dass sie an ihm üben wollte ihre Wachi-Magie zu verwenden. Klar, wenn es fehl schlug, würde er sie auf der Stelle töten können, aber so viel Auswahl hatte Sophia im Augenblick einfach nicht, dass sie hätte wählerisch sein können. Sie drückte sich also auf dem schmalen Vorsprung, der vermutlich eine Schmuckverzierung des Gebäudes darstellen sollte, um die Ecke herum, aber sie war zu langsam. Der Kerl bemerkte sie nicht und sprang beherzt in das Wasser, was hier floss, um in schnellen, kräftigen Zügen zum Zaun zu schwimmen. Ein Schnauben entfuhr der Wachi, während sie sich bis zu dem Stein vorkämpfte, auf den er soeben gesprungen war. Und dann schaltete sie ihren Verstand aus und erhob die Stimme: „Ey du! Ich glaube nicht, dass das eine so gute Idee ist.“ Mit verschränkten Armen und möglichst überlegen wirkendem Blick stand sie da und sah zu dem kräftigen Kerl.
Ebenso unsicher wie Elija wagte ich den ersten Schritt auf den Flur, um einen Blick auf die Umgebung werfen zu können. Hier im Gang sah alles so aus wie gestern, als wir uns einen Raum zum Alleinsein und Schlafen gesucht hatten. Keine Gegenstände lagen herum. Zu meiner Überraschung war bis jetzt aber auch niemand hier zu erblicken. Kein anderes Wesen. Niemand von denen, die wir gestern bei der Ankunft in diesem Gebäude erblickt hatten, wobei das schon ganz schön viele gewesen waren. Aber die hatten sich sicherlich auch einen geschützten Platz gesucht. Auf dem dunklen und knarzigen Flur war gelegentlich nur mehr Staub, der von der Decke gerieselt war, zu erkennen. Ein Blick auf die Decke verriet mir, dass es nicht so schien, als würden wir im nächsten Moment von einer schweren Betonschicht zerquetscht werden. Sah alles noch recht stabil aus, wobei einige Risse die weiße Decke zierten. So war das nunmal nach ner Zeit im Altbau, eben nicht zu verhindern, weshalb ich mir auch keine weiteren Sorgen mehr machte, dass diese Umgebung gefährlich sein könnte. Stattdessen trat ich nun einen viel sicheren Schritt hinaus. Elija schien ebenfalls alle Sinne zu schärfen, sich umzuhören, ob hier irgendwas war. Jedes Mal, wenn ich irgendwo etwas knarzen hörte, zuckte ich sichtlich zusammen, atmete aber sogleich erleichtert aus. Hoffentlich kommen wir hier so schnell es geht raus.. Als Elija mir nun seine Hand hin hielt, griff ich innerlich dankend und leicht lächelnd nach ihr, als wäre es eine Selbstverständlichkeit unter uns. Schon komisch, weil wir uns erst wenige Tage kannten, aber schon eine gewisse Nähe zwischen uns herrschte. Ein wenig als.. würden wir uns schon länger kennen. Ich ließ meine Finger zwischen seine gleiten und trat nun in die Richtung, die uns hinaus aus diesem Gebäude führen musste. Meine Schritte waren zügig und schnell, gleichzeitig aber auch gesittet, sodass ich aufmerksam die Umgebung betrachten konnte. Im Inneren des Hauses sah alles aus wie immer. Der Gedanke daran, wie es draußen aussehen könnte, barchte mir aber ein mulmiges Gefühl im Magen. Ich hoffte inständig, dass meine Hütte, mitten im Wald, nicht komplett zerstört war. Sie war mein einziger Zufluchtsort, der bis jetzt unentdeckt geblieben war. Mit schlechtem Gefühl strich ich mir eine Strähne aus dem Gesicht, ehe ich kurz zu meiner linken, zu Elija, schaute. ''Was hast du jetzt vor?'', fragte ich ihn direkt. Wollte er nach seinen Stammesmitglieder suchen? Oder kehrte er zurück Nachhause?
Ich hatte gerade den Zaun erreicht, als ich auf einmal eine menschliche Stimme hinter mir vernahm. Ruckartig drehte ich mich, sodass die Bewegung einige größere Wellen durch die schmutzigen Fluten schickte. Zu meinem Glück war ich so groß, jemand kleineres hätte hier schon Probleme zu stehen gehabt. So ging mir das eisige Wasser wenigstens nur bis zur Brust. Aufmerksam sah ich mich nach der Quelle der Stimme um. Ich glaube nicht, dass das so eine gute Idee ist. Die Stimme war hell und klar gewesen und eindeutig weiblich. Also musste ich entweder mit einem Menschen, einer Wachi oder einer Achak rechnen. Ein Mensch oder eine Achak wäre mir da noch am liebste, solange letztere nicht allzu hungrig war. Die würde ich dann wenigstens einfach ignorieren und meinen Weg fortsetzen können. Ich hatte absolut keine Lust auf Gesellschaft. Wirklich nicht. Ich wollte einfach nur aus diesem Wasser heraus, dessen Kälte sich immer tiefer in meine Knochen fraß. Und mir einen Unterschlupf im Wald suchen, bevor das Wetter wieder umschlug. So einen Sonnenschein musste man doch ausnutzen.
Wenn dagegen eine Wachi mich angesprochen hatte, würde ich wirklich aufpassen müssen. Mir war es schon viel zu oft passiert, dass ich auf die zarte Schönheit dieser Wesen reingefallen war. Ich war halt ein Mann. Und ein Kailasa. Da wurden hübsche, gefährliche Mädchen schon mal mein Verhängnis. Schließlich entdeckte ich aber doch das Mädchen, das gesprochen haben musste. Sie stand auf dem Stein, auf dem ich vorhin noch gewesen war und sah mich mit vor Nässe triefenden Kleidern an. Sie war also wahrscheinlich nicht aus demselben Fenster geklettert, durch das ich rausgelangt war. Mit den verschränkten Armen und der überheblichen Mimik wirkte sie sich ihrer Sache schon recht sicher. Was mich wiederum neugierig machte. Warum sollte das keine gute Idee sein, hier lang zu gehen? Das zum Einen, und zum Anderen: Was meinte sie sich da einzumischen? Es war mehr als ungewöhnlich, dass so ein - im Vergleich zu mir eh - ziemlich zierliches Mädchen von sich aus einen auf den ersten Blick zu erkennenden Kailasa ansprach. Ich meine, meine Spezies war jetzt nicht gerade schwer zu erraten, oder? Fast hätte ich geflucht. Die Kleine war mit Sicherheit eine Wachi. Und schon allein diesen Gedanken auszuformulieren, fesselte meine Aufmerksamkeit noch mehr an sie. Scheiße. Ich musste jetzt wirklich aufmerksam bleiben. Unwillkürlich wanderte mein Blick über ihren Körper. Wenn man es anders betrachtete, konnte ich vielleicht noch etwas für mich rausspringen lassen. Die Kleine machte mir Appetit. Wenn ich auch keinen wirklichen Hunger auf ihr Leid hatte, erwachte mit einem Mal der Wunsch, ihren zarten, makellosen Körper zu verletzen. Das machte immer noch am meisten Spaß. Je schöner und unschuldiger das Opfer war - bzw wirkte, die Kleine war mit Sicherheit nicht unschuldig. Das war heutzutage kaum noch jemand -, desto größere Genugtuung brachten ihre Schmerzen. Natürlich war ich ein Sadist. Ein selbstsüchtiger Sadist. Aber wenigstens stand ich da im Gegensatz zu den meisten weicheren meiner Kailasabrüder zu.
"Warum sollte es das denn nicht?", fragte ich sie mit fester Stimme und erwiderte ihren Blick gelassen.
Ich war froh, als sie nach meiner Hand griff und spürte ein leichtes, warmes Kribbeln, als sich unsere Finger so verschlossen. Es war merkwürdig, aber ich hatte es bereits akzeptiert – ich mochte sie und dass wir uns erst so kurz kannten hatte da keine Auswirkungen drauf. Wieso also ständig hinterfragen, wenn man es doch einfach genießen konnte? In unserer Welt konnte man ja eh nie wissen, ob jemand lange in der Nähe blieb und einem bald verloren ging. So wie es ja auch mit meinem Stamm war. Ich hatte gedacht, dass er ewig halten würde, alles überdauerte und ich mir zumindest in diesem Punkt niemals Sorgen machen musste. Aber ich hatte mich geirrt und sicherlich würde ich vorerst nicht mehr so naiv handeln und etwas als selbstverständlich und beständig ansehen. Leicht drückte ich Renesmees Hand und folgte ihr beinahe lautlos, aber ebenso schnell durch den Flur. Es hatte schon so seine Vorteile Achak zu sein – unter Anderem eben dieses Talent, natürlich durch viel Übung verursacht, dass wir uns so leise fortbewegen konnten.
Wir erreichten schon bald den Eingangsbereich, als ich die Stimme der Wachi wahrnahm und mich beinahe vor dem doch irgendwie plötzlichen Geräusch erschreckte. Ich verlangsamte meine Schritte und wandte meinen toten Blick in ihre Richtung. „Erstmal rausfinden, wie sehr der Sturm alles verwüstet hat“, meinte ich recht neutral. Ich wusste nicht genau auf was sie mit dieser Frage hinaus wollte. Meinte sie etwa, dass sich unsere Wege wieder trennen würden? Dass sie wo anders hin wollte? An einen Ort, an dem sie mich nicht dabei haben wollte? War ja durchaus möglich.. immerhin hatte sie ja auch ein Leben gehabt und wir kannten uns eben doch erst seit so kurzer Zeit. Meine Mimik blieb bemüht unbeeindruckt und meine Körperhaltung neutral. Wenn sie gehen wollte, würde ich sie nicht aufhalten. Dazu hatte ich kein Recht und … und dann? Dann würde ich mir etwas anderes suchen müssen. Jemand anderen, denn ich wusste, dass ich es auf die Dauer nicht alleine aushalten würde. Da war doch noch die andere Achak. Vielleicht ist sie noch irgendwo im Gebäude.. oder ich finde draußen jemanden von meinem Volk, überlegte ich schon mal, wartete aber erstmal ab, ob Renesmee mich denn überhaupt wegschicken wollte. Ich war zwar etwas pessimistisch, aber sie war mir wichtig… und ich ihr doch auch, oder nicht?
Ganz leicht zitterten ihre Finger, aber durch die verschränkte Haltung fiel das dem Kerl wohl eher nicht auf. Außerdem waren da ja schon ein paar Meter zwischen den Beiden, also konnte Sophia sich vorerst entspannen. Jetzt war es wohl sowieso zu spät, um einen Rückzieher zu machen, also blieb ihr nicht anderes, als den Kerl irgendwie davon zu überzeugen sie – ohne ihr was zu tun, ein Kailasa war er auf jeden Fall – in die Stadt und zu ihrem alten Haus zu begleiten. Die Frage war nur, wie genau sie das anstellen wollte. Sehr geübt war sie nicht. Eigentlich in nichts. Weder der Einsatz ihrer ach so tollen Wachi-Kräfte zum Männer betören war ihr wirklich bekannt, noch generell der Umgang mit fremden Menschen. Sie war ja in einer geschlossenen Gesellschaft aufgewachsen, mit immer gleichen Leuten Tag für Tag. Das war also alles in allem absolutes Neuland für die junge Wachi. Schnell schluckte sie die Bedenken und Ängste herunter und schlug einen lässigen Tonfall an, der zu dem leicht angedeuteten – natürlich aufgesetzten – Lächeln auf ihren Lippen passte: „Wo genau willst du denn hin? Mit dem Schrott der Gebäude durch die Strömungen schwimmen und auf bessere Zeiten hoffen?“, rief sie ihm dann also zu und verlagerte ganz cool das Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass da ja ein offenes Fenster in ihrem Rücken war und dass sie dort bisher noch nicht einmal hinein gesehen hatte. Es war zweifellos ein Zugang zu dem großen, gruseligen Gebäude, in dem sie selbst die Nacht verbracht hatte.. und so wie Sophia ihr eigenes Glück kannte, war da kein Schrank vor der Tür, der anderen Menschen den Weg versperrte. Und wenn doch, dann hat der Kerl da ihn bestimmt zur Seite gestellt.. Kraft genug hat er ja bestimmt , schoss es ihr so durch den Kopf und ein kleiner Kloß bildete sich in ihrem Hals. Vielleicht war das alles doch eine ganz blöde Idee gewesen. Ihre letzte Begegnung mit einem fremden Kerl hatte ihr eine kleine Wunde an der Hauptschlagader am Hals verpasst und was tat Phia jetzt? Den nächstbesten Muskelprotz ansprechen. Den nächstbesten Kailasa sollte man wohl eher sagen. Also Intelligenz konnte man ihr wohl im Augenblick nicht nachsagen. Sorge um ihren besten Freund, ja. Aber ihn zu finden, tatsächlich mal wieder auf Lucas zu treffen… das war schon etwas, von dem Sophia nur noch versuchte auszugehen. Eigentlich hatte sie die Hoffnung schon aufgegeben, aber sie gestand es sich selbst nicht ein, weil sie dann überhaupt kein Ziel mehr vor Augen haben würde. Wo sollte sie denn bitte hin? Allein durch die Gegend ziehen und Männer aussaugen? Keine wirkliche Traumvorstellung. Eigentlich sträubte sie sich da wirklich gegen und noch hatte sie ja ein paar Tage, die sie ohne Blut überleben können würde. Also immer die Ruhe bewahren – vielleicht hatte sie ja doch ein bisschen Glück und dieser Kerl war doch nur ein Mensch. Ein freundlicher Mensch, der nur so eine schlechte Ausstrahlung hatte.. manchmal konnte man es sich ja nicht aussuchen, wie man auf andere wirkte, oder? Sophia räusperte sich noch mal leicht, verlagerte ihr Gewicht erneut auf das andere Bein und sah dem Mann forsch entgegen. Klein bei geben würde sie sicherlich nicht.
Seine Antwort war akzeptabel. Ja, es wäre wohlmöglich gut, zuerst einmal die Lage ausfindig zu machen. Zu gucken, wie die Zustände draußen waren und ob nicht vielleicht allzu viel zerstört worden war. Ich hoffte einfach, dass dem nicht der Fall war. Nur ungern wollte ich in so einer Welt leben müssen. Wer wohnte schon gerne in einem zerstörten Gebiet? Man müsse alles wieder aufbauen, sich davor fürchten, nicht genug Lebensmittel und Dinge, die man eben fürs Leben brauchte, zu finden und zu besitzen. Und wenn meine Hütte komplett eingeäschert wäre, hieße das nichts Gutes für mich. Ja da fühlte ich mich bestimmt sogar richtig unwohl im Wald. Immerhin war die Sicherheit jetzt umso geringer. Wer weiß, ob nicht noch mehr Bäume kurz vorm Unfallen sind, wenn sie schon so belastet worden waren. Schnell schüttelte ich meine kreisenden Gedanken um mögliche Katastrophen ab, um mich wieder Elija zuzuwenden. Sein Blick verdeutlichte keinerlei Wärme, eher Neutralität und Kälte. Oh ja, auch beim ersten Treffen strahlte er so eine gewisse kühle Atmosphäre aus, dass es mich beinahe einschüchterte. So unglaublich kontrolliert.. Aber es war nicht schlimm. Seine andere Seite hatte ich schon kennengelernt. Er konnte fürsorglich und liebevoll sein, was mir doch gleich ein minimales Lächeln auf die Lippen zauberte, bis ich endlich wieder meinen Mund öffnete. ''Ist ne gute Idee. Am besten, wir suchen uns ein Fenster. Oder wir versuchen es gleich beim Ausgang..?'' Die Aussage hatte ein wenig wie eine kleine Frage geklungen, weil ich Elijas Meinung ebenfalls einbeziehen wollte. Was hielt er davon, was hielt er für besser? Wenn ich ihm so gegenüber stand, verspürte ich auf jeden Fall so einen gewissen Respekt und Ehrfurcht, was nicht bei jedem so war. Jedenfalls war ich mir sicher, dass dieser Achak sehr viel Erfahrung hatte. Ich konnte es nicht nachweisen, mein Gefühl sprach eher, dass es so war. Nicht gerne gab ich zu, dass ich schwach sein konnte und gewisserweise sogar meine Schwächen preisgebe, aber so ist es nun mal. In dem Falle fühlte ich mich einfach unterlegen, so eigenständig ich auch sein konnte. Verteidigen konnte ich mich mit allem Möglichen: Stimme, Messer, Notwehr oder sonst was. Was die Nahrungszubereitung und medizinische Dinge angeht, war ich auch schon geübt. Mit der Zeit lernte man eben, welche Kräuter im Wald gegen welche Schmerzen helfen könnten, da es nunmal nicht mehr Unmengen an Medikamenten aus der Apotheke gibt. Die Apotheke existiert meiner Meinung nach schon nicht mehr.
Mit dem Schrott der Gebäude durch die Strömungen schwimmen und auf bessere Zeiten hoffen? Ich lachte auf, behielt die Kleine aber im Blick. "So würde ich es nicht gerade nennen. Ich wollte in den Wald, aber das tut nichts zur Sache. Und du? Du wolltest doch garantiert auch mehr als nur eine Runde plantschen hier draußen, nicht wahr?", fragte ich sie und mein Blick strich wieder über ihren Körper, an dem der nasse Stoff wie eine zweite Haut klebte. Ja, die Kleine war mehr als eindeutig eine Wachi. Natürlich gab es auch hübsche Menschenmädchen, aber die bzw deren Anblick war lang nicht so faszinierend. Unwillkürlich trat ich ein paar Schritte vor und beschloss dann, ganz zu der Kleinen rüberzuwaten. Ich machte mich auf den Weg, auch wenn mir ganz klar war, dass die Kleine mir extrem gefährlich werden konnte. Vielleicht war ich den anderen Spezies gegenüber naiv - ob Wachis gegenüber zu leichtsinnig oder Achaks gegenüber zu ungläubig (gewesen, bis gestern) -, aber das war einfach mein Lebensstil. Ich perfektionierte die Klischees eines Kailasas, wenn ich auch von mir selbst zu behaupten wagte, mehr Intelligenz zu besitzen, als man uns zugestand. Manche würden jetzt zwar allein mit der Selbstüberschätzung eines Kailasas argumentieren, aber mich juckte das nicht. Sollten die Leute doch denken, was sie wollten. Entweder waren sie eh bald tot, ob jetzt durch meinen oder den Verdienst dieser mörderischen Welt, oder sie liefen mir nie wieder über den Weg. Was sollte mich da ihre Meinung interessieren? Es gab keine Person, die auch nur mittelfristig Platz in meinem Leben gefunden hatte. Und wahrscheinlich würde es so eine Person auch nie geben. Ich wüsste nicht, warum sich da irgendetwas ändern sollte.
Schließlich stand ich nur noch knapp einen Meter von dem Stein entfernt, auf dem die Kleine stand, und sah zu ihr hoch. Jetzt musterte ich gründlich ihr Gesicht und fragte sie dann mit neutraler Stimme: "Wohin willst du?" Ja, das klang indirekt wie ein Angebot, sie dort hin zu begleiten und natürlich könnte ich sie auch jetzt gleich vom Felsen zerren und beispielsweise ein wenig untertauchen, aber das würde nicht auf das Ergebnis herauslaufen, das ich haben wollte. Die Kleine war eine Wachi, sie würde mir mehr bieten können als nur Schmerz. Wenn das für mich auch riskant würde. So eine Begegnung mit einer Wachi war mehr als einmal beinahe schlecht ausgegangen. Aber warum sollte ich deshalb darauf verzichten? Es hatte oft genug auch funktioniert, wobei die Wachi in diesen Situationen auch gar nicht so schlecht dabei weggekommen war. Bisschen Blut gegen einen hübschen Körper und - wenn auch gemäßigten - Schmerz, das klang doch nach gar keinem schlechten Deal. Fand ich zumindest. Damit konnte man sich schon einmal den Aufwand der Nahrungsbeschaffung für längere Zeit sparen. Und hatte natürlich auch noch andere Vorteile. Ja, ich war sexistisch und oberflächlich. Störte mich doch nicht - und was die anderen anging, durfte man gerade in dieser Zeit keine Rücksicht nehmen. Wollte ich eh nicht. Warum sollte ich für Fremde zurückstecken? Es revanchierte sich eh nicht.
Änderungen lagen in der Luft. Änderungen, von denen ich noch nicht einschätzen konnte, ob sie zu meinem Vorteil waren oder nicht. Was ich jedoch sehr wohl sagen konnte, war, dass diese Veränderungen mein komplettes Leben auf den Kopf gestellt hatten. Der Stamm war aufgelöst worden, die alte gesellschaftliche Hierarchie schien demnach nicht mehr zu gelten, was ich an dem Trotz in der Stimme der um einiges jüngeren Achak annehmen konnte, und so etwas wie die Gemeinschaft des Dorfes war ebenfalls aufgelöst worden. Was ich eben noch an Verbundenheit verspürt hatte, würde sich nie vollkommen ausschalten lassen, aber mit einem Schlag wurde die geballte Verantwortung für einen gesamten Stamm von meinen Schultern gewischt, sodass lediglich die Erinnerung an das stechende Wissen der Hilflosigkeit und Überforderung in meinen Gedanken blieb. Ich war frei. Frei von jeder Verpflichtung gegenüber dem Wohl der Achak. Frei von allen erdenklichen Aufgaben, zu denen ich durch meiner stellvertretenden Position gezwungen worden war. Aber auch frei, von sämtlichen Privilegien, die ich durch meinen Rang so lange Zeit genießen durfte. Einfach weg. Es war wie ein Schwindel, der mich in diesem Augenblick der Erkenntnis überfiel und beinahe zum Lachen brachte. Minire wusste wohl gar nicht, was sie mit ihrem aufmüpfigen Verhalten gerade in mir ausgelöst hatte – nein, Glückshormone rauschten nicht durch meinen Körper, aber ich konnte mit einem Mal befreiter aufatmen. Sollten sie doch schauen, wo sie blieben. Ich war frei!
Dennoch ließ ich anhand meiner Körperhaltung nichts von der plötzlichen Eingebung zeigen, denn es war ja nicht so, dass ich auf einmal jeden Hauch von Loyalität meiner Rasse gegenüber und den ehemaligen Stammesmitgliedern verloren hatte. Ich fühlte mich einfach nicht mehr verantwortlich für ihre Handlungen und ihr Überleben. Trotzdem konnte ich nicht behaupten, dass es mich kalt ließ, als Minire auf einmal davon begann, dass ein weiterer Achak hier war und noch dazu in Begleitung einer Wachi, der er anscheinend nicht abgeneigt war. Kurz musste ich meine Gedanken über diese Tatsache gleiten lassen, die Information sickern lassen und nickte anschließend nur mit dem Kopf. Es war die oberste Regel, die dieser Achak damit verletzte, aber die junge Frau vor mir war kein Stück besser. Sie übertrat mit ihrer hochnäsigen Art gerade die feine Grenze von Respekt, die man einem höherrangigen Mitglied des Stammes eigentlich entgegen bringen musste. Innerlich ließ es mich keineswegs kalt, in mir brodelte es deshalb sogar ein wenig, denn auf der Nase tanzte mir trotz allem niemand – besonders nicht Minire – aber ich wäre nicht ich, wenn ich meine Gefühle nicht ausgezeichnet hinter einer neutralen Miene verstecken könnte.
Auf einmal fühlte ich mich noch müder, als ich es nicht eh schon war. Zwar reagierte ich noch, konnte die Klingen hören, wie sie die Luft vor mir durchschnitt und nahm auch wahr, wie die Achak auf einmal zusammenzuckte und ihre letzten Nerven zu verlieren schien. Selber stieß ich ein leises, drohendes Fauchen aus, als Signal, dass mich der Gegner in Ruhe lassen sollte, aber die Aufmerksamkeit schien wohl nicht auf einer schwach aussehenden Weißhaarigen zu liegen, denn Blicke konnte ich nicht auf mir spüren. Die Gelegenheit nutzend, denn Minire würde alleine klar kommen – ich war ihrer Gesundheit nicht mehr verpflichtet – schob ich mich rückwärts aus dem Raum, wünschte der jungen Frau in Gedanken alles Gute und sah dann, dass ich weiter kam. Ich musste mich ausruhen, ein wenig wärmen und zu neuen Kräften kommen. Mit wachsamem Gehör schlich ich den Gang entlang, mit einer Hand an der Wand und zitternden Beinen, bis ich an einem Seitengang entlangkam, an dem ich etwas wie Feuer riechen konnte. Ein vertrauter Geruch kitzelte meine Nase, dem ich folgte. Ich gelangte an eine Tür, die nur angelehnt war und die sich beinahe geräuschlos aufdrücken ließ, sodass mir das wohlige Prasseln eines wärmenden Feuers entgegenkam. Eine schabende Bewegung direkt davor, ließ mich erahnen, dass sich eine Person um die Flamme kümmerte. Es handelte es sich nicht um den unschuldigen Geruch eines Menschen, auch nicht um den herben Geruch eines Kailasa… es war viel lockender, anziehender. Wachi.
Automatisch verfiel ich mit einer fließende Bewegung in eine lauernde Haltung, studierte den Raum kurz, fixierte dann aber schnell mein eben ernanntes Opfer, dem ich mich auf leisen Sohlen näherte. Meine Erschöpfung und Konzentrationsschwäche ließen mich aber unvorsichtig werden, sodass die junge Frau meine Anwesenheit mitzubekommen schien und herumwirbelte, aber da war ich bereits zu nahe an ihr dran, um durch eine übernatürlich schnelle Bewegung meine Hände um ihren Hals zu legen und zuzudrücken, wodurch ihre Verteidigung nach und nach schwächer wurde, nur mehr erstickte Laute aus ihrer Kehle entsprangen und es ein Leichtes war, sie auf den Boden zu ringen, wo ich mich ihrer Seele bedienen konnte. Die Energie floss nicht direkt in mich über, aber meine Gedanken klärten sich langsam und das Zittern durch meine überstrapazierten Nerven stellte sich ein, sodass ich allgemein ruhiger wurde. Die Wärme des Feuers trocknete meine Kleidung und verscheuchte die Kälte aus den Knochen, sodass ich, nachdem der Körper, besser gesagt die Seele, der Wachi keinen Nutzen mehr für mich hatte, mehr oder weniger gesättigt einschlafen konnte. Die Gedanken wirbelten zwar mit neuer Kraft durch meinen Kopf, aber die Aufregungen und Verletzungen des Tages forderten ihren Tribut, sodass ich schnell in einen tiefen Schlaf sank, in eine klebrige Finsternis eintauchte, die Erholung und Entspannung versprach.
Eine kurze Weile stand ich noch bewegungslos vor dem Kailasa, dann jedoch drehte ich mich blitzartig um und sprintete aus dem Zimmer, das Nerea anscheinend kurz vorher auch schon verlassen hatte. Jedenfalls nahm ich sie im Raum nicht mehr wahr und auch im Flur war sie nirgends zu entdecken. In Gedanken stieß ich einen kurzen Fluch aus. Wahrscheinlich hatte ich gute Arbeit geleistet mit den Bemerkungen ihr gegenüber und damit eine wichtige Verbündete verloren. Denn auch wenn ich mit einem übergeordneten Achak momentan nicht klarkommen würde, wäre irgendein Achak doch besser gewesen als gar keiner. Um vollkommen auf mich gestellt zu sein, dafür war ich doch noch zu sehr Stammesmitglied. Ehemaliges Stammesmitglied. Auch wenn ich alleine klarkam - ansonsten hätte ich diesen Sturm bestimmt nicht überlebt -, für den Rest meines Lebens allein zu sein, den Gedanken konnte ich nicht ertragen. Nein. Aber wie sollte ich jemals jemandem so weit vertrauen können, dass ich mit demjenigen zusammen lebte? Selbst wenn es ein Achak war - und natürlich wenn, dann würde es einer sein - hatte ich doch gerade erst miterlebt, dass auch die Bunde innerhalb meiner eigenen Art weitaus empfindlicher waren, als ich gedacht hätte.
Mittlerweile war ich lautlos den Flur entlang gehuscht und trat gerade in eines der anderen leeren Zimmer. Leise schloss ich die Tür hinter mir, während ich den Raum untersuchte. Zum Glück war er leer. Ich wollte keine Gesellschaft mehr. Nicht jetzt. Langsam tastete ich mich zu einem schmalen Bett vor, das in einer Ecke des Zimmers stand und ließ mich erschöpft darauf sinken. Den Rucksack neben mir und den Dolch am Gürtel schlief ich schließlich ein.
Ich überlegte einen Moment, dachte ernsthaft darüber nach, was Renesmee soeben gefragt hatte. Ein Fenster als Ausstieg? Machte das überhaupt Sinn, wenn wir in eine ungewisse Außenwelt kletterten und sprangen? Nein, also für mich war das sicherlich die gefährliche Variante. Natürlich, Renesmee würde abschätzen können, ob da draußen ein guter Ort war oder nicht. Besser abschätzen als ich, da sie alles mit nur einem Blick erfassen würde, was mir ja fehlte. Aber als Nachteil sah ich das nicht. Ich würde es in der Luft riechen, ob wir sicher waren oder nicht und falls das Wasser Kerben in die Erde gegraben hatte und nun kleine Flüsse zu sehen waren, würde ich es hören. So wie ich im Augenblick noch etwas hörte, leise Stimmen. Nein, gar nicht all zu leise. Es war vermutlich am anderen Ende des Gebäudes und auf jeden Fall nicht hier drinnen. Dafür war der Schall einfach zu offen, wenn man das so sagen konnte. Außerhalb von dem Gebäude war auf jeden Fall jemand, aber da es nicht in direkter Nähe zu sein schien, weil es nicht nach Flüstern sondern nach lauten Gesprächen klang von der Tonlage her, machte ich mir keine Sorgen. Trotzdem wandte ich mich kurz an Renesmee: „Draußen sind andere Wesen. Ein Mädchen und..“, ich strengte mein überentwickeltes Gehör kurz an, „ich glaube ein Mann.“ Nur ungern gab ich zu, wenn ich ein Geräusch nicht ganz genau zuordnen konnte, aber es war zu undeutlich. Diese zweite Person war auf jeden Fall ein Stück von uns entfernt – dass es sich um eine junge Wachi und einen Kailasa handelte, der schon durch die Wassermengen watete, konnte ich ja nicht erahnen. „Aber sie sind weit genug weg“, fügte ich noch hinzu, bevor ich meinen vorherigen Gedankengang zu Ende brachte und schließlich recht entschlossen durch den Eingangsbereich schritt, auf dem Weg zu der Tür, die uns auch als Eingang gedient hatte. Dass ich also für die Tür war, sollte Renesmee wohl auffallen ohne, dass ich es noch extra erwähnen musste. Es war für mich eben einfach die bessere Option, weil es mir einen besseren Überblick über die Außenwelt versprach. Ich würde mich schneller zurecht finden und Veränderungen feststellen können, weil ich diese Stelle schon kannte. Wir waren dort schon mal gewesen und somit war es mir zumindest ein kleines bisschen vertraut. Ich drückte Renesmees Hand ein wenig und lief weiter mit meiner neutralen, konzentrierten Miene auf die Tür zu. Was uns draußen erwarten würde, ahnte ich allerdings nicht.
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