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Eigentlich hatte Alexa tatsächlich vermutet, man würde sie überhören. Dem war allerdings leider nicht so, denn schon bald drang die Stimme erneut und dieses Mal deutlich direkter zu ihr hervor. Ob sie kam um ihm zu helfen? Wohl kaum. Die Brünette blieb noch einen Moment stehen wo sie war, dicht an den Baum gelehnt, die Finger nur zaghaft und ganz sachte auf die raue Rinde gelegt, während sie überlegte ob es nun schlauer wäre sich zu zeigen, oder aber eben nicht. Aber da der Achak sie ohnehin schon bemerkt hatte, würde es wohl keinen Unterschied machen, denn die Meisten seiner Spezies konnten nichts sehen. Ob er nun tatsächlich zu diesen zählte oder nicht konnte sie natürlich nicht sagen, aber sie ging nun einfach davon aus, dass er nicht zu den Ausnahmen zählte, die doch mit dem Sinn zu sehen beschenkt worden waren. Noch zusätzlich. Was hätten die Achak denn ansonsten noch einzubüßen? Bessere Sinne, anstatt des Sehsinns. Bessere Sinne und den Sehsinn? Das schien ihr nicht ganz gerecht. Wobei sie sich nun auch nicht so gut mit den Spezies auskannte, was schlicht daran lag, dass es sie nicht unbedingt interessierte. Was brachte es ihr auch schon? Sie entschied sich also dazu sich zu zeigen, so hatte sie zumindest ihn gut im Blick, was nur ein Vorteil sein konnte. Ob damit nun Nachteile einher kamen oder nicht würde sich wohl zeigen.
„In dieser Hinsicht muss ich dich wohl leider enttäuschen.“, entgegnete Alexa mit selbstsicherer, aber ruhiger Stimme, als sie hinter dem breiten Baumstamm hervor trat, dem jungen Mann ihr gegenüber in die – ihrer Meinung nach selbst für einen Achak – ungewöhnlich hellen Augen blickte. Sie schienen nahezu weiß, wurden nur von einem dunkleren Rahmen umfasst. Einen Moment recht fasziniert neigte die Wachiwi den Kopf leicht zur Seite, ließ die Erscheinung auf sich wirken. Wobei seine folgenden Worte ihr ein schmales Lächeln entlockten. Mehr bekam man von ihr zumeist auch nicht zusehen – wenn denn überhaupt. „Eigentlich, so muss ich gestehen, entsprichst du absolut meinem Geschmack.“ Das entsprach der Wahrheit. Achak. Eine Delikatesse. Ob sein Blut anders schmecken würde wie das eines Kailasa oder eines Menschen? Sie konnte es natürlich nicht sagen, immerhin hatte sie noch nie ‚Achak‘ probiert, aber nun schien sich ihr diese vielleicht einmalige Möglichkeit zu bieten. Daraus machte sie keinen Hehl, sie hängte es gewiss nicht an die große Glocke, aber sie hatte auch keine Sekunde daran gedacht, dass sie es vor ihm verheimlichen würde. So war Alexa nicht. Sie war zwar in vielerlei Hinsicht verschwiegen oder auch, wenn man so wollte, verlogen, aber was solche Dinge betraf hatte sie noch nie ein Problem damit gehabt die Wahrheit auszusprechen. Noch allerdings machte die junge Frau keinerlei Anstalten sich ihrem Gegenüber weiter zu nähern. Wieso auch? Sie bezweifelte, dass er die Flucht ergreifen würde. Es bestand höchstens die Gefahr, dass er sich überlegte, wie er sie überlisten konnte. Aber dieses Risiko ging sie ein. War sie bereit einzugehen. Sie wusste, dass Achak geschickt waren, natürlich, aber so wie der junge Mann von dem Dach gesprungen und im weichen, rutschigen Moss gelandet war, so geschmeidig, hatte sie selten eine Person gesehen. Kailasa schon mal gar nicht, diese waren zwar vielleicht ebenfalls geschickt, aber keineswegs leichtfüßig. Zumindest nicht der Großteil von diesen groben, robusten Gestalten. Achak waren flink und schnell, leise... Ja, dessen war sie sich durchaus bewusst und doch hatte sie damit nun gerade einfach nicht in dieser Form gerechnet. Aber wenigstens das konnte er ihr nicht ansehen, zumal Lexi auch keinerlei Anstalten davon zeigte beeindruckt zu sein. Das wäre ja auch noch schöner. „Diese indirekte Einladung nehme ich also liebend gerne an.“, fügte sie ihren Worten noch hinzu, trat nun doch einen recht großen, aber keineswegs übereilten Schritt auf den Achak zu, den sie keine Sekunde aus den Augen ließ.
Er hörte, wie sie ein paar wenige leise Schritte machte. Groß oder schwer konnte sie nicht sein. Und ein Mann schon gar nicht. Da war er sich nun ziemlich sicher. Wenn sie näher heran kommen würde, würde er vielleicht ja ihren Atem hören können, was ihm die Sache doch ein wenig erleichtern würde. Aber sie kam ja nur aus ihrer Deckung hervor. Jedenfalls nahm er das nun mal ganz stark an. Ihr Geruch wurde nun stärker an ihn heran getragen und es bestand wirklich kein Zweifel mehr daran, dass dort eine Frau irgendwo vor ihm stehen musste.
In dieser Hinsicht muss ich dich wohl leider enttäuschen. Das wäre auch zu schön gewesen. Er hätte sich auf die marode Holzbank neben der Türe setzen können und den Tag in Ruhe genießen, während sein Heim wieder Form annahm. Das wäre keine schlechte Aussicht gewesen, auch wenn er solche Dinge eigentlich lieber selbst tat. Wenn er denn mal ehrlich zu sich war, gab er so oder so Aufgaben nicht gern an andere ab. Also sollte er wohl eher froh darum sein, dass nicht einer aus dem Stamm nach ihm sehen kam und ihm womöglich auch noch helfen wollte. Das wäre in einem Dilemma geendet, das wusste er.
Er merkte dennoch, wie sie ihn ansah. Wie der Blick der jungen Frau auf ihm ruhte. Er spürte so etwas eben einfach. Nervös machte ihn das nun nicht. Er wusste was sie war und war eigentlich recht froh darum, sie nicht ansehen zu können. Das hätte die ganze Angelegenheit deutlich erschwert. So hatte er nur diese schöne Stimme im Ohr, der er absolut widerstehen musste. Leichter gesagt als getan, bei solch einem Weib. Er hatte da schon Erfahrungen machen müssen, auf die er gerne verzichtet hätte. Nahtoterfahrungen waren nie sonderlich prickelnd.
Er schob sich die Hände in die Hosentaschen der Jeans, als sie davon sprach, dass er ihrem Geschmack durchaus entsprach. Ein Lächeln begann sein feines Gesicht zu zieren. Natürlich entsprach er ihrem Geschmack. Er war eben auch ein Mann. Jedoch war er auch nicht mehr so jung und naiv, wie er aussah. Solch eine Anspielung konnte er heute durchaus leichter herunter schlucken, als er es damals getan hätte.
Diese indirekte Einladung nehme ich also liebend gerne an. Er begann zu lachen. Er bekam schon mit, dass sie einen Schritt auf ihn zu trat und er wusste genauso sehr, dass man sich sehr leicht die Finger an diesen Frauen verbrennen konnte, dennoch nahm er diese ganze Situation noch mit einem Funken Humor. Denn anscheinend wusste sie nicht so ganz, mit wem sie es hier zu tun hatte. Oder besser gesagt mit was. Er fand den Mut des Mädchens einfach witzig in diesem Moment. Und deshalb lachte er. Er lachte sie nicht aus. Das nun wirklich nicht. Er fand es einfach putzig.
„Du bist niedlich“, sagte er schließlich, als sein Lachen wieder verstummt war. Das Lächeln war in seinem Gesicht zurück geblieben. „Dir ist bewusst, wovon ich mich ernähre, oder? Ich bin zwar eigentlich noch recht satt, aber wer sagt denn schon nein, wenn die Nahrung zu einem nach Hause spaziert?“
Er hätte sich durchaus etwas sicherer gefühlt, wenn eine weibliche Person aus seinem Stamm wenigstens in der Nähe gewesen wäre. Er war sich schon mehr oder weniger sicher, dass er heute nicht sterben würde. Trotzdem waren diese Frauen kleine Biester, denen er nicht allzu gerne begegnete. Schon gar nicht allein und schutzlos ausgeliefert. Und das war er nun mal. Sich als Beute zu fühlen, war eben nicht sehr angenehm. Deshalb hatte er den Spieß wenigstens wieder auf die Mitte zeigen lassen wollen, indem sie sich nun auch als Beute betrachtete. Er würde sich auch gut von ihrer Seele ernähren können. Auch wenn er das eigentlich gar nicht vorhatte. Wie er schon gesagt hatte, hatte er vor kurzem erst gespeist. Und das nicht zu knapp.
„Du musst ziemlich ausgehungert sein?“ Wenn sie sich schon an ihn heran wagte, dann musste der Hunger sie treiben. Anders konnte er sich das nicht erklären, denn so naiv schätzte er sie nun wirklich nicht ein. Außerdem war sie allein hier. Wenn sie zu mehreren gekommen wären. Da wäre ihm tatsächlich nur die Flucht geblieben und sein Heim hätte er ohne einen Kampf nicht verlassen. Das wäre durchaus böse ausgegangen.
Lachte er sie gerade aus? Alexa zog die schmalen Augenbrauen ein klein wenig in die Höhe. Nein, das gefiel ihr natürlich nicht. Wieso sollte es auch und wem gefiel es schon, wenn über einen gelacht wurde? Oder es zumindest so schien? Wobei sie es ihm dennoch ließ sich auszulassen, wenn er denn der Meinung war dies tun zu müssen – ihm würde das Lachen schon noch vergehen. Noch hatte sie sich nicht einmal darum bemüht ihn um den Finger zu wickeln, kein Stück. Noch war sie aber auch gar nicht unbedingt auf den Gedanken gekommen, zu fasziniert von seiner Entscheidung und seinen Bewegungen. Eigentlich kam es ihr gar nicht so vor, als wäre er blind. Lediglich die Tatsache, dass kein wirklicher Ausdruck in diesen faszinierenden Augen lag ließ darauf schließen, dass sie keine Bilder an sein Gehirn übermittelten, er nichts als Dunkelheit sehen konnte. Wobei sehen in dem Sinne wohl ein falscher Ausdruck war.
Seine folgenden Worte allerdings, dass sie niedlich sei, provozierte die Brünette doch nochmal ein wenig mehr. Niedlich? Niedlich. Er machte sich ganz offensichtlich lustig über sie, zu dem Entschluss kam sie nun nur noch überzeugter als zuvor ohnehin schon. Was darauf folgte, lenkte sie allerdings von eben jenen Worten und dem Lachen ab, sodass sie gar nicht weiter dazu kam darauf etwas Anständiges zu erwidern, geschweige denn sich etwas darauf zu überlegen. Dazu nahmen die folgenden Worte sie eigentlich schon wieder viel zu sehr ein. Eigentlich ließ Alexa sich nun wirklich nicht sonderlich schnell provozieren, aber ihr Hunger, die letzte, unruhige und schlaflose Nacht und die Wassermassen die ihr in der Stadt zu schaffen gemacht hatten sorgten selbst bei der Brünetten dafür, dass sie einfach nicht mehr ganz so ruhig und scheinbar ausgeglichen war, wie sie sich sonst die meiste Zeit gab. „Natürlich.“, versuchte sie sich zu aller erst mit dieser knappen, dennoch sanft klingenden Antwort selbst zu beruhigen, dazu zu ermahnen sich nicht herausfordern zu lassen, sondern einfach ihr Ding durchzuziehen: „Aber... du solltest dich nicht überschätzen – oder mich nicht unterschätzen.“ Das war von vielen ein Fehler, vor allem Kailasa taten das wahnsinnig gerne. Die starken, prachtvollen Kerle, die sich für die Stärksten hielten und im Endeffekt ja auch waren. Aber diese Stärke ließ sie unvorsichtig werden, zu viel Risiko eingehen, sie Fehler machen.
Er sollte nur versuchen sich ihre... Seele – wie konnte man eine Seele eigentlich essen? Eine Frage, die sie ihm gerade nur zu gerne gestellt hätte. Alexa wirkte zwar meist recht desinteressiert, eigentlich war sie allerdings jemand, der großes Interesse an ihrer Umgebung zeigte, dies nur gut zu unterdrücken und überspielen wusste – zu nehmen. So einfach würde sie es ihm auf jeden Fall nicht machen. Nein, ganz gewiss nicht.
Auf seine Frage hin trat dann allerdings doch wieder ein leichtes Lächeln auf die roten Lippen der jungen Frau, die die Arme nun locker unter der Brust verschränkte und sich wieder ein wenig entspannte. Wie richtig er doch lag. Sie hatte großen Hunger, ansonsten wäre sie nun wohl nicht hier. Natürlich hätte sie auch in der Stadt nach geeigneter Nahrung suchen können, aber ihr hatte es gerade nach Wald, irgendwo nach Achak verlangt und außerdem war die Stadt noch zerstörter wie ohnehin schon, sie konnte sich nicht vorstellen, dass es mehr Verrückte wie sie gab, die sich nun schon auf die Straßen gewagt hatten. „Ein Grund mehr mich nicht zu unterschätzen, findest du nicht?“
Es war, als läge die Spannung in der Luft. Nifano gefiel das wirklich nicht. Das hier würde auch nicht mehr gut enden. Dessen war er sich langsam fast sicher. Wahrscheinlich würden sie beide mit gewissen Verletzungen aus der Sache heraus gehen und darauf hatte er absolut keine Lust. Wenn er verletzt war, war es doch noch viel schwieriger, das alles hier zu reparieren und die Nahrungssuche würde sich auch als schwieriger darstellen. Das passte ihm gerade wirklich überhaupt nicht. Auch weil er sich eben nicht so sicher war, ob er ihr wirklich so überlegen war. Wahrscheinlich nämlich nicht. Er würde es tunlichst vermeiden eine dieser Frauen noch einmal zu unterschätzen. Das war dieses eine Mal schrecklich schief gegangen und das würde es auch wieder. Aus Fehlern lernt man. Und er hatte gewiss schon einige Zeit gehabt, um Fehler zu machen. Trotzdem konnte man gegen seine Triebe nun mal nichts tun. Und sie fand das alles gerade nicht ansatzweise so witzig wie er. Jetzt allerdings fand er es auch nicht mehr lustig. Immerhin stand sie praktisch in seinem Vorgarten und prophezeite ihm, ihn zu essen. Das war nicht gerade höflich. Dieser ganze Tag hatte ihn schon genervt. Und jetzt würde es auch nicht besser werden.
Aber… du solltest dich nicht überschätzen – oder mich unterschätzen, gab sie beinahe bedrohlich zurück. Die Drohung lag nicht deutlich in ihrer Stimme. Wenn er ehrlich sein sollte, klang sie sogar recht freundlich. Immer noch. Ihre Worte kamen dennoch einer Drohung ziemlich nahe.
„Tue ich gewiss nicht, Schätzchen“, antwortete er und drehte sich um. In ihrem Fall würde das sicherlich nicht zu seinem Verhängnis werden. „Kommst du mit rein und trinkst eine Tasse Tee mit mir?“
Wenn sie schon mal hier war und die Absicht hatte, ihn zu verspeisen, dann könnte er auch ein vorbildlicher Gastgeber sein. Sie würde so oder so versuchen, ihn zu umgarnen. Da konnte er ihr auch eine Tasse Tee anbieten. Er trat auf den Eingang der Hütte zu. Die Tür stand noch offen. Wahrscheinlich würde sie ohne weiteres eh nicht wieder geschlossen werden können.
„Dort drin sieht es momentan etwas schlimm aus, der Sturm hat ziemlich gewütet“, merkte er an und betrat leichtfüßig seine Hütte, in der es wesentlich schummriger war. Immerhin fiel gerade mal durch die Tür etwas Licht hinein. Ihm machte das nichts aus. Immerhin konnte er sowieso nichts sehen. Dass er sie in einen Hinterhalt locken wollte, stimmte so jedoch auch nicht ganz. Jedenfalls würde er diesen Vorwurf, erbost von sich weisen. Dennoch war es Taktik. Anders konnte man es nicht sagen. Die Hütte bestand eigentlich aus einem Raum. Ein hinterer Teil war durch eine kleine Mauer abgegrenzt. Dort hinter befand sich sein Schlafplatz. Ansonsten hatte er eben diese kleine Kochniesche, den Tisch mit den zwei Bänken und das Regal. Der Tisch stand nun voll mit Kram, Kreuter, Eimer, Schalen. Alles Mögliche sammelte sich da. Er hatte es schließlich vor dem Wasser retten müssen.
„Musst dich nach dem Sturm vielleicht ein wenig aufwärmen, was?“ Er war nicht blöd. So wie das gegossen hatte und so wie die Geräusche es vermuten ließen, musste sie ziemlich nass sein. Und Nässe war meistens kalt. Ihm war schon bewusst, dass es ihm eigentlich nichts brachte, wenn er jetzt nett war. Besonders, weil er sonst keines Falls annähernd so nett war. Er hatte nur eben keine Lust sich jetzt gegenseitig an die Gurgel zu gehen. Er befüllte beinahe routiniert einen Bottich mit Wasser und stellte diesen auf seine zusammengebastelte Herdplatte. Es kam dieser jedenfalls ziemlich nahe. Er konnte über dem Feuer so Dinge erhitzen und das reichte vollkommen.
Schätzchen. Das hatte er sich nun natürlich nicht kneifen können. Dieses kleine Wörtchen nahm Alexa nur noch einmal mehr als Provokation wahr, die sie nun doch dazu veranlasste einen Moment die Augen zu schließen und die frische, abgekühlte Luft langsam ein- und letztlich auch wieder auszuatmen. Was dann allerdings folgte verwirrte die Brünette tatsächlich sehr. Ob sie mit ihm hinein kam, um einen Tee zu trinken? Das konnte doch wohl kaum sein Ernst sein, oder etwa doch? Nein. Das war eine miese Masche, irgendeine Nummer, die er bringen wollte um sie aus der Bahn zu werfen und dann zu überwältigen. Sie ihrer Seele zu berauben. Es gab einen gravierenden Unterschied zwischen der Ernährung der jungen Wachi und der Ernährung des Achak. Er ernährte sich von ihrer Seele, sie bezweifelte, dass man ohne Seele leben konnte, ebenso wie sie bezweifelte, dass er ihr nur einen Teil der Seele nehmen konnte. Zumindest konnte sie sich das nicht vorstellen. Lexi hingegen konnte entscheiden – wenn sie sich denn unter Kontrolle hatte – wie viel Blut sie nahm, sprich: Sie konnte über Leben und Tod ihrer... Nahrungsquelle entscheiden. Meist war es einfach am einfachsten zu nehmen, bis nichts mehr zu holen war. Danach gab es keine Probleme, sie war mehr als Satt, was für die nächsten Stunden oder gar Tage reichte – und das war schon mehr als Grund genug sich Meist erst gar keine Gedanken darüber zu machen, ob sie ihren Auserwählten nun leben ließ oder aber nicht.
Da kehrte er ihr auch schon den Rücken, noch bevor sie eine wirkliche Reaktion zeigen konnte – was schlicht weg darauf beruhte, dass er wohl erreicht hatte, was sie glaubte, das er haben wollte: Sie war verwirrt, teilweise wohl auch verunsichert. „Mir ist es nicht nach Tee.“, natürlich war es das nicht. Wie sollte es auch? Ihr sehnte es lediglich nach seinem Blut, dessen Geruch sich schon in ihrer Nase festgesetzt hatte, auch wenn sie nicht unbedingt so gierig darauf wirkte, sich gut beherrschte, schrie doch mittlerweile sehr viel mehr in ihr danach nun einfach zuzuschlagen, als ihm einfach zu folgen, so wie sie es gerade tatsächlich tat. Dabei dachte sie nicht einmal wirklich nach, sie tat es einfach. So als würde sie an einem unsichtbaren Seil hinter ihm hergezogen werden.
Im Rahmen der Tür – konnte man diese überhaupt als solche bezeichnen? – blieb sie allerdings stehen, wagte keinen Schritt weiter hinein in die dunkle Hütte. Zu viel Risiko, ihre Alarmglocken läuteten. Viel zu laut. Sie sollte auf der Hut sein. Das würde böse enden, wirklich böse. „Wie wäre es, wenn wir das Alles einfach schnell hinter uns bringen, ich dich deine dämliche Hütte weiter zusammenflicken lasse, sobald... ich bekommen habe was ich möchte und wir dieses ganze Drumherum ein wenig verkürzen?“ Das klang in ihren Ohren gerade deutlich verlockender, als ein Tee.
Sie wusste ja, dass die Achak aufmerksam waren, das mussten sie auch sein, immerhin hatten sie ein Sinnesorgan weniger, als der Großteil der restlichen Lebewesen auf dieser verkümmerten Erde. Aber das ihm selbst aufgefallen zu sein schien, wie durchnässt und dadurch kalt sie war, das setzte ihr nur noch mehr zu. War es doch ein Fehler gewesen? Sollte sie einfach umdrehen und gehen? Einfach verschwinden und sich einen Kailasa oder einen Menschen suchen? Aber wie stand sie denn dann da? Eins war wirklich unbestreitbar; Alexa hatte mindestens ein genauso großes Ego wie ein Kailasa, vielleicht nicht in jeglicher Hinsicht, dafür aber auch in anderen Richtungen als die imposanten, muskulösen Männer mit dem Drachentattoo. „Mir fehlt es nur an einer Sache...“ und das war Blut. Aufwärmen hin oder her, wenn erst einmal sein warmes Blut durch ihre Adern fließen würde, würde ihr von ganz Alleine wieder warm werden, dessen war sich die junge Wachiwi sicher. „Mach´s uns Beiden doch nicht so schwer...“, mittlerweile klang ihre Stimme eher wie ein sanftes, weiches Schnurren, was eher unbewusst geschehen war. Aber die Ungeduldig in der Brünetten stieg. Sie hatte Hunger.
Ihr war nicht nach Tee. Na, ach wie schade. Nun war er hier drinnen und kochte Wasser auf. Er war nun mal nicht annähernd so motiviert wie sie, dem ganzen hier ein Ende zu bereiten. Er hätte sie auch in den Schlaf gesungen, wenn das irgendetwas gebracht hätte. Doch würde das sein Problem auch nicht in Luft auflösen. Aber der Tee könnte es ein wenig verzögern. Außerdem hätte er hier in der dunklen Hütte sowieso ein wenig bessere Chancen. Jedenfalls wenn es zu einem Kampf kommen würde. Was so oder so wahrscheinlich nicht so schnell geschehen würde, da ihre Art sich deren Opfern anders bemächtigte. Da würde ihm auch die Dunkelheit keinen Vorteil verschaffen.
Sie war in der Tür stehen geblieben. Das hatte er gehört. Er wusste immerhin, wie sich Schritte im Moos und Schritte in seiner Hütte anhörten. Auch wenn das Wasser darin immer noch ein wenig stand. Es war schlimm. Aber daran sollte er jetzt nicht denken, sonst könnte er sich auch gleich ein Grab schaufeln. Vielleicht sollte er sie darum bitten? Aber das wäre wohl wirklich mehr als nur merkwürdig, also ließ er es bleiben.
Wie wäre es, wenn wir das Alles einfach schnell hinter uns bringen, ich dich deine dämliche Hütte weiter zusammenflicken lasse, sobald... ich bekommen habe was ich möchte und wir dieses ganze Drumherum ein wenig verkürzen?
Er hätte geknurrt, als sie sein Heim als dämlich beschrieb. Er lebte wenigstens nicht wie ein abscheulicher Nomade. Sie waren doch wie Ungeziefer, nisteten sich einfach irgendwo ein, bis es dort verwahrlost und tot war und zogen weiter. Das war kein Leben. Er verkniff sich gerade so einiges, schaute nun bloß etwas grimmig dein. Na, wie wäre es denn?
„Für dich wahrscheinlich schön“, antwortete er. Ihm war schon bewusst, dass sie ein Ja oder ein Nein hatte hören wollen. Doch sie hatte ja gefragt, wie es wäre. Und er nahm so etwas eben ziemlich genau. Ein Grund, wieso die meisten ihn für unheimlich und schrullig hielten. „Für mich wäre es wahrscheinlich bei weitem weniger schön.“
Als wenn er danach noch in der Lage wäre, seine Hütte zu reparieren. Wahrscheinlich wäre er dann mausetot. Und anscheinend war sie sich vor ihm auch noch zu stolz, um zuzugeben, dass ein wenig Wärme wohl nicht schlecht wäre. Er seufzte. Blut wollte sie. Das war ihm schon bewusst. Und mit einem Becher wäre es wahrscheinlich auch nicht getan. Aber er hatte auch keine Lust, jetzt ewig zu diskutieren. Das führte doch sowieso zu nichts.
Mach´s uns Beiden doch nicht so schwer... Mit so einer Frau konnte man so oder so nicht diskutieren. Ihm huschte eine Gänsehaut den Rückenhinunter.
„Nehmen wir an, ich gebe dir etwas von meinem Blut, was bekomme ich dann als Gegenleistung?“, fragte er und kramte einen Becher aus seinem Regal. Ein bisschen Blut könnte er schon entbehren, aber er sah es eben nicht ein, sein Blut für nichts und wieder nichts an jemand wildfremdes zu verschenken. Wenn er es darauf ankommen lassen würde, würde er doch sehr wahrscheinlich auch nicht sterben. War er bei seinen letzten Begegnungen dieser Rasse auch nicht. Und er wollte nicht komplett den Spielverderber nach solch einen Sturm spielen. Wenn der Stamm es allerdings herausfinden würde, wäre er sicherlich am Arsch. Zu einem Wesen annähernd nett zu sein, das kein Achak war, stand ihm nun mal eigentlich nicht zu. Schon gar nicht, dass er solch ein Wesen durchfütterte. Er kramte etwas Stoff hervor, riss einen Streifen ab und legte ihn neben den Becher. Dann griff er nach dem Messer, welches dort herum lag.
„Ich kann mir schließlich schlecht nur einen Teil deiner Seele einverleiben“, merkte er an und wandte sich wieder ihr zu. „Und verschenken tue ich hier nichts.“
Vielleicht sollte er erwachsen werden und es lassen, mit dem Feuer zu spielen. Jedoch machte es ihm gerade beinahe sogar Spaß. Wenn die Situation im Grunde nicht so ernst wäre.
Da konnte sie ihm nur zustimmen, was war aber, wenn sie ihm versprach, es ihm so angenehm wie möglich zu machen? Vermutlich würde er ihr keinen Glauben schenken, was ihm auch nicht zu verdenken war. Natürlich war es nicht unbedingt das schönste Gefühl, dessen war sie sich bewusst und ziemlich sicher, aber sie musste sich ja irgendwo auch ernähren, nicht wahr? Sie konnte diese Aussage also nicht verneinen und das tat sie auch nicht, wie bereits erwähnt, war sie in dieser Hinsicht doch ein sehr ehrlicher und direkter Mensch – oder eben eine sehr ehrliche und direkte Wachi.
Er schien allerdings zumindest mit dem Gedanken zu spielen, was denn wäre wenn. Natürlich hieß das noch lange nicht, dass er auf ihr Bedürfnis eingehen würde, aber war ein Anfang. „Das kannst du wohl nicht...“, widerholte sie seine Worte, als er ihr sagte, dass er ihr wohl nicht nur einen Teil ihrer Seele nehmen konnte, womit zumindest schon einmal eine ihrer Fragen beantwortet war. Vielleicht würde es so weiter gehen, dann lernte sie gleich noch etwas dazu, während sie Essen bekam und im halbwegs Trockenen saß. Naja, noch stand sie im Türrahmen und Lexi hatte momentan auch noch nicht vor dies zu ändern. Überhaupt wusste sie nicht, ob sie das jemals vorhaben würde. Aber das spielte in diesem Augenblick wohl wirklich keine Rolle. „Angenommen...“, langsam folgte die Brünette jeder einzelnen Bewegung des weißhaarigen Blinden, ließ ihn für keine einzige Sekunde aus den Augen „...du würdest mir tatsächlich etwas von deinem Blut geben – und mit Etwas meine ich keinen so lächerlichen Becher voll – wäre ich bereit...“ Tja, zu was wäre die Brünette denn bereit? Sicherlich nicht zum Sterben, indem sie ihm ihre Seele vermachte. Ob sie es tun würde, wenn sie ohne ihre Seele leben könnte? Alexa konnte es nicht sagen, denn einem Seelenlosen war sie schließlich noch nie begegnet und konnte daher auch nicht sagen, ob sie damit leben könnte so zu sein oder nicht – obwohl es einen Seelenlosen sicherlich nicht interessierte wie er war. Aber nun gut, sie verlor gerade den Halt ihrer Gedanken und sollte sich wohl auf das Hier und Jetzt, diese kleine... Verhandlung konzentrieren.
„...mit was würdest du dich denn zufrieden geben?“, stellte ich letztlich die Frage, die ihr wohl mehr bringen würde, als wenn sie ihm ein Angebot machte, das letztlich viel zu viel wert war. „Außerdem schmeckt es frisch aus der Quelle deutlich besser, als aus einem solchen Becher. Frisch.... gezapft hin oder her.“ Als spreche sie von Bier. War natürlich nicht so, aber wie sollte sie es denn sonst nennen? Es war nun mal irgendwie damit zu vergleichen, wenn er sich gleich die Hand aufritzte, um ihr ein wenig von seinem kostbaren Blut in den Becher zu träufeln. Zumindest schien er eben das vorzuhaben. Vielleicht wollte er sie aber auch nur scharf darauf machen, ablenken. Und ehrlich? In gewisser Maßen schaffte er es auch.
Es fiel der jungen Wachi durchaus schwer, ihren Blick von seiner Hand, dem Messer zu lösen und zurück in sein Gesicht zu richten. Dabei war sie schlicht weg froh, dass er blind war und es ihm – so hoffte sie zumindest – nicht weiter auffiel, auffallen konnte. Sie hatte Hunger und mittlerweile zog sich ihr Magen schon schmerzhaft zusammen, wo sie nun kaum noch einen anderen Gedanken hegen konnte, als den an sein köstliches Blut, als die Frage, ob Achak nun anders schmeckte als Kailasa oder Mensch. Es wunderte sie ja selbst noch, dass sie hier scheinbar tatsächlich mit ihm um sein Blut verhandelte, als einfach zu reagieren, zu handeln und sich zu nehmen, was sie wollte. Risiko hin oder her.
Klar. Wahnsinnig tolle Gesellschaft.. meine Freude könnte nicht größer sein Ich konnte nicht anders, bei seinen Worten brach wieder ein perlendes Lachen aus mir hervor. So wie die Situation jetzt war, konnte sie erst einmal bleiben. Ich war zufrieden damit. Ich hörte, wie er einige Schritte zur Wand hin machte und sich ruckartig bewegte. Wie schön, er hatte Panik. Immernoch klebte ein amüsiertes Lächeln auf meinen Lippen. Schade nur, dass er nicht so irritiert war, dass ich es mir erlauben konnte, ihn einfach anzufallen. Obwohl ich nichts lieber getan hätte, als ihn einfach möglichst schnell loszuwerden. Ich brauchte ihn immerhin nicht mehr. Die Ablenkung, die er mir geboten hatte, brauchte ich nicht mehr. Ich wollte mich jetzt nur noch in Ruhe mit Nerea unterhalten können. Auch wenn ich es ihm gönnen würde, jetzt noch ein klein wenig abzubekommen. Ich musste Prioriäten setzen. Ich sollte ihm wahrscheinlich am besten noch ein klein wenig Angst - pardon, wir würden ihm Angst machen, mehr als ich es allein je könnte - machen und ihn dann loswerden. In dem Fall wäre es mir sogar fast egal, wenn er fliehen würde. Wahrscheinlich würde das meinem Stolz weniger schaden, als wenn wir ihn überwältigen und am leben lassen würden.
Provokativ langsam stand ich auf und wandte meinen Kopf in seine Richtung. "Ja, das ändert die Situation gewaltig, nicht wahr?", fragte ich ihn mit bedrohlich sanfter Stimme. Selbst wenn Nerea nicht den Anschein machte, als wenn sie im Notfall mich mit ihrer ganzen Kraft würde unterstützen können, pushte schon ihre Anwesenheit mein Selbstvertrauen ausreichend in die Höhe. Und das des Kailasas sank offensichtlich - wenn auch nicht wörtlich gemeint - in die Tiefe. Natürlich. Mit mir hatte er schon mehr als nur Probleme gehabt und wenn gleich zwei meiner Sorte auftauchten, hatte er nichts mehr dagegen zu halten.
An dem sich ständig veränderten Geräusch seines Atems meinte ich zu erkennen, dass er den Kopf durchgängig hin und herdrehte. Zwischen Nerea und mir. Als er ihn gerade wieder von mir wegdrehte, sprang ich auf ihn zu und trat ihm gezielt die Beine unter dem Körper weg. Das hatte ja schon letztens im Wald gut geklappt. Hier müsste es mir nun auch gute Dienste erweisen. Ich trat einen raschen Schritt zurück und lauschte auf den Erfolg meines Angriffs. Theoretisch könnte ich nun mit ihm um meinen Dolch verhandeln, aber auf das Niveau brauchte ich nicht mehr. Ich würde ihn mir einfach gleich nehmen.
Ich drehte mich zu Nerea um, auch wenn meine Ohren immer noch auf den Kailasa konzentriert waren. "Es tut mir leid, dass ich dich nicht anständig begrüßen kann. Aber dir einen 'Guten Tag' zu wünschen, wäre mir dann doch zu heuchlerisch", sagte ich an sie gewandt. Aus dem Tonfall meiner Stimme hörte ich selbst, wie der Schmerz und die Trauer und der Zorn auf dieses verfluchte Unwetter sprach.
Wenigstens versprach sie ihm nicht das goldene vom Ei. Das wäre ja auch noch schöner gewesen. Er konnte es eben einfach nicht leiden, wenn man versuchte ihm irgendetwas vorzumachen. Er wusste, dass das hier nicht gut oder angenehm für ihn enden würde, wenn sie sich von ihm ernähren wollte. Da brauchte sie nicht versuchen, ihm vom Gegenteil zu überzeugen. Tat sie glücklicherweise auch nicht.
Wäre ja auch noch schöner, wenn er nur Teile einer Seele verspeisen könnte. Dann würden jetzt wahrscheinlich ziemlich viele verrückte Leute herum laufen. Was sollte man denn auch bitte mit einer halben Seele anfangen? Natürlich ging das nicht. Das würde diese Welt nun wirklich grausam und schrecklich gestalten. Sie blieb immer noch in dem Türrahmen stehen. Vielleicht traute sie sich nicht. Hatte er nicht aber gesagt, er sei eigentlich noch satt? Wobei er sie auch nicht einfach so gehen lassen konnte. Später prahlte sie noch damit, einen Achak kennengelernt zu haben und dies überlebt zu haben. Das ging nicht. Das würde seinem Ruf und dem des Stammes schaden. Das konnte er nicht zulassen. Selbst wollte er jedoch auch noch nicht sterben. Ihm war gerade einfach nicht danach. Und er bekam mit, dass sie ihn nicht aus den Augen ließ. Er war vielleicht blind, aber nicht doof. Er brauchte nicht mit den Augen zu sehen. Dafür hatte er seine anderen Sinne. Er fühlte einfach, dass er beobachtet wurde. Das bekam er nicht einmal bewusst mit. Er achtete nicht darauf. Er wusste es einfach.
Wenigstens spielte sie dieses Spiel mit und spinnte seinen Gedanken ein wenig weiter. Obwohl er sich ein wenig darüber ärgerte, wie sie über sein Blut redete. Ein Becher war in seinen Augen nicht gerade wenig. Sein Blut war wertvoll und er wollte die nächsten Tage nicht geschwächt im Bett verbringen. Sterben schon mal gar nicht. Also lächerlich fand er das ganz bestimmt nicht. Sie sollte sich glücklich schätzen. Froh darum sein. Immerhin hätte er die Sache auch kurz und knapp gestalten können. Dann wäre sie nun ihre Seele los. Das hätte sie ganz bestimmt auch nicht gewollt. Sie sollte sich also ein wenig zügeln.
...mit was würdest du dich denn zufrieden geben?, fragte sie ihn. In diese Richtung hatte er das Gespräch nicht lenken wollen. Es ging nicht darum, mit was er sich zufrieden geben würde. Sein Blut war verdammt noch mal kostbar. Das sollte sie nicht so leicht nehmen. Sie unterschätzte ihn. Da war er sich ziemlich sicher. Sonst würde sie sich ja wohl nun wirklich nicht in das Heim eines Achak wagen. Allein. Sie musste wirklich schlimmen Hunger erleiden. Und da wollte er nun sicherlich nicht den Blutspender spielen, dem sie versprach, ihn am Leben zu lassen und am Ende vergaß sie über den Hunger hinweg rechtzeitig aufzuhören. Nicht mit ihm.
„Als erstes wäre da mein Leben. Dann würde ich gerne noch so viel zurück behalten, dass ich die Hütte weiter reparieren kann, aber selbst das würde mich nicht zufrieden stellen“, antwortete er. Er sagte die Wahrheit. Er war definitiv kein Freund von Lügen. Er hatte ihr wenigstens einen Anstoß gegeben, den sie wahrscheinlich schon selbst sich hatte denken können. Das Wasser begann zu kochen und er schob, das Gefäß von der Flamme. Hier ging es sowieso nicht um den Tee. „Werkzeuge, könnte ich gebrachen.“
Aber dann wurde es ja noch besser. Denn ihm war es ziemlich scheißegal, wie sie es lieber hatte. Sie waren weder befreundet noch sonst irgendetwas. Ihm ging es an seinem hübschen Hintern vorbei, wie sie sein Blut denn gerne hätte. Sie könnte froh sein, wenn sie überhaupt etwas bekam. Seinen Ärger überdeckte er mit einem Lächeln, trotzdem war dieser noch in seinem Blick zu sehen, auch wenn dieser durch die Blindheit meist recht leer war.
„So hungrig wie du sein musst“, begann er recht ruhig. Er wusste, dass er einen kleinen Vorteil hätte, wenn er sie um den Verstand brachte; wenn man hungrig war, vergaß man irgendwann ziemlich viel, wenn man sein Futter direkt vor einem angerichtet erblickte, „lass ich dich bestimmt nicht an mich heran, Süße. Also entweder du begnügst dich mit dem, was du von mir bekommst, mit Gegenleistung versteht sich, oder…“
In seinem Gesicht breitete sich ein gefährliches Grinsen aus. Das Messer hatte er nicht nur in der Hand, um sich selbst vielleicht zu verletzen, um ein wenig zu bluten. Das Messer könnte er auch gut gegen sie richten. Fragt sich nur, welche Art von Waffen sie gerade bei sich trug und das konnte er nun wirklich schlecht wissen.
Nach wie vor mit allen Sinnen geschärft – so gut es in meiner derzeitigen Lage eben funktionierte – wartete ich ab, was der großgewachsene Mann machen würde, wie er darauf reagierte, dass auf einmal zwei der geheimnisvollen Wesen aus den Geschichten vor ihm standen und ihm den Fluchtweg abgeschnitten hatten. Immerhin war das Machtverhältnis nun eindeutig zum Gunsten der Achak ausgefallen und ich schätzte einmal, dass nicht nur ich zu dieser Erkenntnis gekommen war. Das versetzte atmen des Kailasa wurde einmal leiser und dann wieder lauter, was darauf zu schließen war, dass er sich im Raum umsah oder zumindest immer wieder vergewisserte, dass wir uns nicht von unseren Plätzen bewegten. Bei mir musste er da beim besten Willen keine Sorgen haben, schließlich fühlte ich mich nicht in der körperlichen Verfassung, allzu schnelle Angriffe zu starten. Das würde ich ganz und gar Minire überlassen, die es in dem Fall eh lieber tun würde, als ich. In dem Fall unterschieden wir uns eindeutig. Die junge Frau war viel temperamentvoller, zeigte ihre Schadenfreude offener und wusste, wie sie ihren Gegenüber bis zum Explodieren provozieren konnte – so als hätte sie diese Technik selbst erfunden, was natürlich nicht funktionierte, aber manchmal hatte ich doch das Gefühl, dass sie es perfektioniert hatte, anderen mit spitzen Kommentaren in die Weißglut zu treiben. Ich hingegen blieb ruhiger, ließ mir die Genugtuung seiner Unterlegenheit nicht anmerken und genoss im Stillen das Gefühl der Dominanz, das durch meinen geschundenen Körper floss. Zwar fühlte ich mich dadurch nicht fitter oder ausgeruhter, aber meiner angeschlagenen Moral gab es doch einen Schubs nach oben… ebenso wie die Tatsache Minire mehr oder weniger wohlauf gefunden zu haben.
Meine Konzentration wurde aber schnell wieder auf die Situation zurück gelenkt, als ich ein leises verräterisches Scharren am Boden hören konnte, als die zarte Frau ihr Gewicht verlagerte und kurz darauf mit einem gekonnten Sprung nach vorne schoss. Ein großer Nachteil an der Unfähigkeit sehen zu können war, dass man sich gewisse Vorgehensweise von anderen Individuen nur vorstellen konnte, nicht mit eigenen Augen beobachtete und so immer wieder Abweichungen von der eigentlichen Realität entstanden, aber meine Bilder im Kopf waren nun mal meine eigene Wirklichkeit und in denen stürzte sie sich entschieden auf den jungen Mann, indem sie ihm die Füße unter dem Körper wegzog oder ihn sonst irgendwie zu Fall brachte, sonst hätte sie nicht die Zeit, ihr Wort nun an mich zu wenden. So risikobereit schätzte ich sie nicht ein, dass sie sich einfach mal neben ihrem Gegner zu einem Plausch einließ. Für einen Moment lauschte ich noch weiteren Bewegungen, die einen Konterangriff vorhersagten, aber noch passierte nichts dergleichen, weshalb ich die Gelegenheit nutzte. „Wir sprechen hier auch von keinem guten Tag, weshalb es nicht von Nöten ist, sich für eine fehlende Begrüßung zu entschuldigen“ bestätigte ich ihre Annahme, hatte dabei in der leisen Stimme den Unterton von Dominanz versteckt. Die Rangordnung war im Stamm nun zwar aus dem Gleichgewicht geraten, aber dennoch beanspruchte ich weiterhin meinen Platz an zweiter Stelle der Hierarchie, was ich direkt einmal klarstellen brauchte. Zwar vertraute ich der jungen Achak, wie jedem anderem auch aus dem Stamm, aber gewisse Dinge müssen von Anfang an geklärt bleiben. Selbst wenn es mir unbehaglich war, vor einer anderen Wesen über die eigene Rasse zu sprechen, quälte mich die Ungewissheit, sodass ich von innen heraus regelrecht dazu gezwungen wurde, die folgende Frage zu stellen. „Hast du sonst noch jemanden von uns aufgetroffen?“ Ich wollte einen Lagebericht haben. Der eingeengte Kailasa war mir in dem Moment schlichtweg egal geworden, denn sobald er sich bewegen würde, hätte ich es bereits gemerkt und es wäre naiv von ihm zu glauben, dass er gegen uns beide gleichzeitig eine Chance hatte. Dennoch wollte ich ihn nicht unterschätzen und pendelte mit meiner Aufmerksamkeit immer wieder zu ihm zurück.
Es gefiel ihr nicht unbedingt, in welche Richtung das Gespräch hier lief. Der fremde Achak wurde selbstsicherer, ein wenig Großkotziger, wenn man so wollte. Etwas, das bedeutete, dass er genau wusste, wie wenig unterlegen er ihr doch war. Natürlich, er war ein Mann und wenn sie sich viel Mühe gab, würde er wohl letzten Endes – wenn er nicht zu sehr dagegen ankämpfte und nicht unbedingt den größten Willen hatte – ebenso einknicken, wie jeder andere Mann es in Gegenwart einer Wachi auch tun würde. Anders würde sie auch gar nicht gegen die Männer ankommen. Sie hatte keine übermenschlichen Kräfte, sie hatte nur ihre Gabe den Männern den Kopf zu verdrehen, wusste nicht einmal genau wieso das geschah, es passierte einfach – mittlerweile auch immer genau dann, wann sie es haben wollte. Sie konnte sich durchaus kontrollieren, verstand nur nicht unbedingt vollständig, was genau dabei geschah. Es geschah eben.
Natürlich wollte er im Gegenzug sein Leben behalten, das wollten sie doch alle. Zumindest die Meisten. Die momentanen Umstände ließen auch mal Jamerlappen vorbei huschen, die ihrem Leben nicht selbst ein Ende setzen konnten und dabei hofften, dass eine Wachi es für sie tat. Oder, die sich freiwillig in einen Kampf mit einem Kailasa verstrickten – oder eben in den Wald begaben, um sich den Achak regelrecht zum Fraß vorzuwerfen. Mir stand es nicht zu zu urteilen, dass ich mich selbst so verhalten würde, konnte ich allerdings ausschließen. Bevor ich mich dieser Erniedrigung hingab, würde ich meinem Leben lieber selbst ein Ende setzen. Wobei ich bis dato noch keinen Gedanken daran verschwendet hatte und es auch jetzt nicht vorhatte. Natürlich war mir bewusst, in welches Risiko ich mich hier gerade begeben hatte, aber ich war hungrig, sehr hungrig und mit der Suche auf der Straße hätte ich weitaus mehr Zeit verplempert, als mit der Suche im Wald. Das war einfach so ein Gefühl gewesen und wie sich heraus gestellt hatte, war es ja auch nicht verkehrt gewesen. Und dann wollte er natürlich noch so viel Kraft zurückbehalten, damit er seine Hütte reparieren konnte. Natürlich, was blieb ihr denn dann noch über? Nicht mehr viel auf jeden Fall. Sie hatte Hunger, so viel Hunger, dass sie um diesen gänzlich zu stillen sicherlich kein Problem dabei gehabt hätte ihm eine tödliche Menge an seinem Blut aus dem Körper zu saugen. Aber sie wollte ja mal nicht so sein, richtig? Dann gab es eben nicht allzu viel, dafür Achak und zumindest ein Wenig etwas – das war bekanntlich besser als nichts. Aber aus einem Becher? Sie hatte noch nie Blut aus einem Becher getrunken. Wieso sollte sie auch, wenn es aus der Quelle weitaus einfacher war? Sie schleppte schließlich keinen Becher mit sich herum.
Werkzeuge, könnte ich gebrachen. War das ein Scherz? Falls ja, fand Lexi diesen absolut gar nicht witzig. Sie verzog ein wenig genervt das Gesicht. „Und wo soll ich das her bekommen?“, grummelte sie leise, ließ nun das erste Mal ihren Blick langsam durch die Hütte schweifen, nahm somit fürs erste auch ihren Blick von dem jungen Mann, bevor sie ihn wieder aufmerksam anblickte: „Na schön, ich nehm den Becher, aber Werkzeug kann ich dir trotzdem nicht bieten. Dein Leben und die Kraft dein Hüttchen wieder zu reparieren sollte wohl aber auch weit mehr als genug sein, findest du nicht?“ Natürlich entging ihr ganz und gar nicht, dass er ihr hier gerade drohte, doch sie empfand es für das Beste, wenn sie diese schlichte Drohung einfach überging, so tat als hätte sie sie gar nicht für voll befunden.
Ein Kailasa würde sich dadurch wohl provoziert fühlen, wie ein Achak reagierte, konnte sie nicht sicher sagen. Mit diesen hatte sie bis zu diesem Zeitpunkt einfach viel zu wenig Erfahrung gesammelt. Sie neigte den Kopf ein wenig zur Seite, sah ihn fordernd, fragend an. Auch wenn er das wohl nicht sehen konnte. „Also?“
Pandora gewährleistete mir einen kurzen Blick an ihr vorbei, direkt auf die verwüstete Gegend vor diesem Gebäude, in dem wir uns befanden. Nun gut, die Verwüstung, die deutlich aufgrund der umgekippten Bäume, der zerschlagenen Mauern und all den anderen zertrümmerten Dingen zu erkennen war, war nur halb so tragisch. Es war eher das Wasser, dass mir kurz aufseufzen ließ. ''Ziemlich viel Wasser, du sagst es.'' Mein Blick ruhte eine ganze Weile auf dem eklig braunen Wasser, welches durch die Straßen floss, als wäre es alles andere als total komisch. Wie ein Fluss mitten in der Stadt, der eher unsauber war. Ja, noch nie hatte ich so einen braunen Fluss gesehen. Zum Glück, dann wäre wahrscheinlich auch etwas ziemlich schief gelaufen in der Natur - ein weiteres Mal. Hoffentlich kam es nicht irgendwann dazu, dass man sich bald noch nichtmal im Fluss in der Nähe des Waldes waschen konnte, ohne noch schmutziger zu sein als vorher. Langsam zog ich wieder die Hände von der sehr schmalen Fensterbank, an der ich mich ein wenig angelehnt hatte und blickte zu der jungen Frau. Auf ihre nächsten Worte hob ich erstaunt die Augenbrauen. ''Hier raus kommen? Möchtest du schwimmen?'' Meine Worte hatten einen leichten Nachklang von Spaß, wobei ich es aber doch ernst meinte. Wo wollte sie denn heraus, ohne komplett nass zu werden? Der Wasserfluss in den Straßen ging ziemlich hoch. Die Mülltonnen, die sonst so in den anderen Straßen weiter entfernt standen, waren fast komplett unter Wasser getaucht oder schon längst auf Schwimmkurs. Zwar konnte ich mir denken, dass es nicht überall so bewässtert war, aber hier um die Psychatrie sah es schlecht aus. Still beobachtete ich sie bei ihrem Vorhaben, wie sie ihren Rucksack aufhob und sich bereit machte, jetzt weiterzuziehen. Gute Idee eigentlich. Bald würden wahrscheinlich auch die anderen Wesen erwachen und so schnell es ging verschwinden wollen. ''Ich komme mit.'', meinte ich nun. Ob sie meine Anwesenheit doch lieber vermieden hätte, wusste ich natürlich nicht, aber da ich sowieso wieder hier raus wollte, da draußen recht schönes Wetter war, bot es sich doch an, gemeinsam nach einem Ausweg zu suchen. Einen Rucksack oder ähnliches hatte ich nicht bei mir, nur das, was ich an mir trug eben, weil ich mein komplettes Hab und Gut an einen meiner Meinung nach sehr sicheren Ort gebracht hatte. Ja sogar mein Motorrad hatte ich so gut wie möglich verbarrikadiert, damit es keinen Schaden nahm. Ob mir das auch gelungen war, konnte ich erst später erfahren. Mit großen Schritten holte ich die Brünette auf. Im Eingangssaal war es noch ziemlich still. ''Meinst du, auf der anderen Seite des Gebäudes sieht's ein wenig besser aus?'', fragte ich sie und machte somit einen Vorschlag, doch mal nachzuschauen. Notfalls sprangen wir eben durch ein Fenster.
Nach Renesmees Frage hatte ich eine Weile geschwiegen. Wie sollte ich etwas erklären, was ich ja selbst kaum begriffen hatte? Also aß ich zunächst das bisschen Fleisch auf und seufzte dann leise. „So genau kann ich das gar nicht sagen“, wisperte ich anschließend, mit leerem Blick ins Nichts sehend, „die andere Achak hat es mir eben gesagt.. scheinbar hat unser Anführer beschlossen, dass sich jeder unserer Art allein durch den Sturm kämpfen muss und für sich selbst überleben – der Stamm wurde also.. aufgelöst.“ Bei dem letzten Wort wurde ich noch mal ein wenig leiser, weil es irgendwie weh tat diese Worte auszusprechen, obwohl es doch eigentlich nur einfache Worte waren. Mit meinen blinden Augen suchte ich den Blick der Wachi und wusste nichts weiter zu sagen. Mein Leben würde sich jetzt wohl wirklich ganz und gar ändern – aber so schlimm war das auch nicht, oder? Nicht noch mal und nicht jetzt, das habe ich doch eben alles schon durchgekaut , ermahnte ich mich dann selbst und rückte lieber ein bisschen näher an Renesmee heran. Meine Hand umgriff sanft ihre. „Weißt du, bei uns gibt es strenge Regeln und Anforderungen. Der Kontakt zu Wesen der anderen Arten ist untersagt und wird zum Teil schwer bestraft… so gesehen ist unser Stamm genau zur richtigen Zeit zerbrochen“, meinte ich dann leise, wobei es mir wieder einen kleinen Stich verpasste, als ich von dem Verlust des Stammes sprach. Das würde wohl noch eine Weile so bleiben. Ein schwaches Lächeln legte sich dennoch auf meine Lippen, denn ich meinte, was ich sagte. Es war der perfekte Zeitpunkt dafür – andernfalls hätte ich mich wohl niemals getraut der Wachi so nah zu kommen. Und dann beugte ich mich erneut vor und küsste sie. Einfach so, als wäre es schon ganz normal… und trotzdem einfach unglaublich schön.
Wir hatten eng beieinander gelegen und tatsächlich ein wenig geschlafen – abwechselnd und aufmerksam natürlich, falls jemand in den Raum hier kommen wollte, aber auch mit einem Stuhl als kleine Barriere vor der Tür. Das würde im ersten Moment jemanden aufhalten und vielleicht auch wirklich vom Eintreten abhalten. Als ich nun, mit halbwegs getrockneten Sachen und vor schwacher Glut des Feuers, einen Arm noch um Renesmee geschlungen, wach wurde, lag ein Lächeln auf meinen rauen, blutroten Lippen. Für einen Augenblick dachte ich nicht an den schlimmen Sturm, an das Ende meines Stammes, an all die Menschen und Wesen, die in der letzten Nacht gestorben waren. Für diesen einen Augenblick nahm ich nur sie wahr. Ihr Geruch hing schwer in der Luft und ging tief in meinen Körper. Ihre warme Haut spürte ich unter meinen blassen Fingern und ihr leiser, gleichmäßiger Atem war das einzige Geräusch, das ich wahrnehmen konnte. Ein Lächeln lag auf meinen Lippen und dieses war eines von purem Glück. Wie konnte irgendjemand nur verbieten, dass eine solche Verbindung eingegangen wurde? Und dann brach alles wieder über mir ein. Die schlechten Dinge erfüllten meinen Geist und das Lächeln erstarb. Ich atmete einmal tief durch und zog meinen Arm von Renesmee weg, stand auf und machte noch etwas Holz in den Kamin. Das Holz zu finden war kein Meisterwerk – es lag ja direkt daneben und stank fast schon nach trockenem, totem Baum. Kein sehr schöner Geruch, nicht für mich auf jeden Fall, da mir der frische und leuchtende Wald ja so lieb war. Ich stand gerade wieder auf, als mir bewusst wurde, dass es tatsächlich nur das eine Geräusch im Raum gab. Das Atmen von der Wachi – und natürlich meine leisen Bewegungen, aber die zählte ich nicht wirklich. Der Sturm musste aufgehört haben, denn ich konnte keinen Regen, kein Gewitter mehr wahrnehmen. Es knackte ab und an draußen, was aber vermutlich nur die letzten, geschwächten Äste oder Häuserbrocken waren, die nach dieser letzten Nacht zu Boden fielen. Und für einen Augenblick stand ich still, lauschte nur der Stille und ein winziges Lächeln breitete sich nun doch wieder auf meinen Lippen aus. Dann huschte ich lautlos nach vorne zu dem Sofa, auf dem Renesmee noch lag und wir beide geschlafen hatten. „Renesmee“, wisperte ich vor ihr kniend, „hey, aufwachen. Der Sturm ist vorbei.“
Dieses Lachen.. also wenn ich etwas mehr hasste als die bloße Anwesenheit dieser Achak, dann war es ihr schallendes Gelächter. Nein, eigentlich waren ihre plötzlichen Stimmungswechsel, die mich nicht nur völlig auf die Palme brachten, sondern auch noch verwirrten. Mit so einer Wesensart kam ich echt gar nicht klar. Ich wusste einfach nicht so recht, wie ich reagieren sollte und was wohl die beste Möglichkeit wäre, um ihr eine auf den Deckel zu geben. Aber hatte ich scheinbar eine Möglichkeit gefunden sie auszustechen, dann machte sie das mit ihrer wechselnden Persönlichkeit wieder zunichte. Und so langsam aber sicher riss mir auch ganz genau deshalb der Geduldsfaden. Ich war eh noch nie die Ruhe in Person gewesen. Ich war nun einmal ein Kailasa, da war es doch auch irgendwo normal, dass mit mir irgendwann die Pferde durchgingen. Es zählte einfach so gar nicht zu meinen Stärken, Ruhe zu bewahren und sich dabei dermaßen provozieren zu lassen. Das ging einfach nicht. Wenn mich jemand so wie diese Frau provozierte, dann dauerte es normalerweise überhaupt nicht lange, bis ich so richtig explodierte. Zugegebenermaßen fand ich es toll andere aus der Ruhe zu bringen und irgendwo gehörte es auch ein wenig zu meinem Nervenkitzel dazu, dass ich auf Risiko ging und mich somit auch ein wenig provozieren ließ, um den anderen dann aus einem Grund heraus angreifen zu können oder mit ihm ein Spielchen treiben zu können. Aber bei der Achak.. so jemandem wie ihr war ich echt noch nie begegnet. Sie brachte mich so sehr an meine eigenen inneren Grenzen und dennoch schaffte sie es mich im Zaum zu halten mit ihrer ständig wechselnden Laune.
Und was für eine verdammte Frage war das denn bitte? Natürlich änderte das die Situation- die zweite Achak schien zwar körperlich ein wenig demoliert worden zu sein, was aber nicht hieß, dass ich jetzt tatsächlich auch noch zwei von diesen nervigen weißhaarigen Weisheit-mit-dem-Löffel-Fressern an der Backe hatte. Besser konnte es doch gar nicht mehr werden. Wirklich. Fehlte nur noch, dass der männliche Achak hier auftauchen würde.
Tja und Sekunden später legte ich dann wohl eine wahnsinnig geniale Bruchlandung hin- verschuldet durch die nervtötende Achak. Aber was mich dann echt noch meinen letzten Nerv kostete, war, dass die beiden Achak sich dann unterhielten als wäre ich Luft. Als wäre ich gar nicht anwesend. So als ob sie mich eh schon erledigt hätten und alles andere jetzt nur noch ein Kinderspiel war. Da hatten sie sich aber echt getäuscht. Kochend vor Wut rappelte ich mich langsam und so leise wie nur irgendwie möglich auf, um die Aufmerksamkeit der beiden Achak erst einmal noch nicht direkt auf mich zu ziehen. Ich spürte mein Blut vor Wut und Ärger in meinen Adern, meinen Venen pulsieren, wie es sich einen Weg durch meinen gesamten Körper bahnte. Ich umschloss den Griff des Dolches der Achak fester mit meiner einen Hand, dann hob ich sie leicht an und fixierte ihren Arm, bevor ich zielte und beinahe lautlos warf: ich hatte jetzt nicht vor, sie irgendwie abzustechen oder so. Nein, das gönnte ich ihr nicht. Wenn dann sollte sie leiden. Und zwar sowas von jämmerlich. Der Dolch segelte mit rasender Geschwindigkeit durch den Raum und auf die ahnungslose Achak zu, bevor er mit einem unangenehmen ratschenden Geräusch an ihrem Oberarm entlang streifte, ihr dort eine Schnittwunde verpasste..
Überrascht hob ich die Augenbrauen. Das konnte Nerea eh nicht sehen, von daher war es auch egal. Ich wusste nicht, wieso, aber mich störte gerade wirklich dieser autoritäre Klang in ihrer Stimme. Natürlich war sie im Stamm höher, viel höher gestellt gewesen, als ich. Ich hatte das - ebenso wie bei jedem anderen - auch immer akzeptiert. Warum auch nicht. Es gehörte zum Leben in so einer Gemeinschaft, dass man sich unterordnen musste. Aber der Stamm existierte nicht mehr. Da war ich mir so sicher, wie man es nur sein konnte. Wie sollte er auch weiterbestehen können. Mit nur noch wenigen Dutzend Achaks, die über die Region verstreut waren und von denen der Großteil wahrscheinlich nicht einmal mehr lebte. Bei dem Gedanken bildete sich wieder einmal ein Kloß in meinem Hals. Ob das irgendwann weggehen würde? Darauf konnte ich in näherer Zukunft wahrscheinlich vergeblich hoffen. Dafür ging der Schmerz viel zu tief. Aber es war nun einmal so. Der Stamm existierte nicht mehr. Und damit existierte auch Nereas Rang nicht mehr und ich war ihr damit in jeder Hinsicht gleichberechtigt. Warum sollte sie weiter eine hohe Position inne haben, wenn es nicht einmal mehr eine Gesellschaft gab, in der sie diese inne haben konnte? Deshalb - so leid es mir doch tatsächlich tat und so sehr ich mich von ihrer bloßen Anwesenheit trösten ließ - erwachte mit einem Mal mein Trotzgefühl Nerea gegenüber und ich vergaß den Kailasa vollkommen.
Sie wollte also einen Lagebericht haben? Gerne. "Ich bin bis jetzt nur einem einzigen Achak begegnet", erwiderte ich ihr kühl. Einen solch arroganten Ton hätte ich einem Höherrangigen gegenüber im Dorf niemals angeschlagen. Erst recht keinem stellvertretenden Oberhaupt. Aber wir waren nun einmal nicht mehr im Dorf. "Er befindet sich in einem anderen dieser Zimmer." Und ich konnte es mir nicht verkneifen, hinzuzufügen: "Mit einer Wachiwi und nicht der leisesten Absicht, diese zu töten." Nerea sollte die gleiche Fassungslosigkeit zu spüren bekommen, die ich dabei empfunden hatte. "Die alten Regeln scheinen außer Kraft gesetzt zu sein." Bei den letzten Worten schlich sich ein stolzes Lächeln auf meine Lippen. Ich brauchte nicht mehr zu kuschen. Vor niemandem. Und wenn ich irgendwann dem Oberhaupt begegnen sollte, ich würde ihn persönlich ins ewige Licht schicken. Und wenn er schon tot war - ich würde auf seinen Leichnam spucken. Wieso hatte ich nie bemerkt, wie ungeeignet dieser Mann als Anführer gewesen war? Das hier war die erste wirkliche Katastrophe, die der Stamm während meiner ganzen Zeit dort erleben musste, und er sorgte gleich für seinen Untergang.
Mit einem kratzenden Reißen fuhr ein brennender Schmerz durch meinen Oberarm und zuckte in Sekundentruchteilen den gesamten Arm entlang. Erschrocken schrie ich leise auf und berührte mit der bebenden anderen Hand die lange Wunde. Die dichte Jacke und der Pullover waren beide sauber zertrennt und mit ihnen meine Haut. Ich zuckte zusammen, als ich genau in die pulsierende, blutende Wunde fasste. Es fühlte sich an wie ein Messerschnitt - mein Dolch. Ich wirbelte immernoch heftig atmend zu dem Kailasa herum und hielt meinen Arm. Schnell lauschte ich auf alles, was ihn verraten könnte und erkannte tatsächlich - aber leider viel zu spät - dass er wieder aufgestanden war und anscheinend wirklich meinen Dolch geworfen hatte. Nein! Wie konnte ich mich nur so ablenken und in das Dominanzgehabe mit Nerea vertiefen, während ein Gegner noch mitten im Raum und nicht gerade ungefährlich gemacht worden war? In mir kochte eine Wut hoch, die sich ebenso auf mich, wie auch auf Nerea und das Oberhaupt, aber am meisten immer noch auf den Kailasa richtete. Es war einfach zu viel. Ich konnte nicht mehr. Wie konnte er es wagen, mich anzugreifen? Blitzschnell ließ ich mich in die Hocke nieder, und fuhr mit den Fingern vorsichtig, aber flink über den Boden. Hier irgendwo musste doch der Dolch liegen. Nach einigen Sekunden stieß ich mit den Fingerspitzen gegen die Klinge und ein scharfer Schmerz durchzuckte meine Hand. Egal, ich hatte den Dolch. Ich hob ihn auf und stand in einer geschmeidigen Bewegung auf und sah zum Kailasa. "Du bist auch genauso lebensmüde, wie man es von so einem dummen Kailasa erwarten würde, oder?", fragte ich zischend. Immer noch stand er da. Und jetzt vergaß ich allmählich auch schon Nerea. Vielleicht sollte ich mal meine Multitaskingfähigkeit trainieren. Oder heute war einfach nicht mein Tag. Wie hatte ich so taub gewesen sein können, dass ich das Sirren des fliegenden Dolchs nicht gehört hatte? Oder die sicherlich nicht gerade elegante Bewegung des Kailasas? Das durfte mir nie mehr passieren. Das konnte mich mein Leben kosten. Es würde mich irgendwann das Leben kosten. Ich richtete den Dolch mit ausgestrecktem Arm auf das pulsierende Herz des Kailasas. Ein schneller Wurf und ich hätte es durchbohrt, bevor er überhaupt kommen gesehen hätte. Aber ich wollte den Dolch nicht wieder verlieren. Wenn ich doch bloß noch andere Waffen bei mir hätte! Mein Arm brannte wie Hölle und ich spürte, wie das Blut den Stoff drumherum durchnässte. Selbst meine toten Augen bekamen fast einen lebendigen Glanz vor Wut. Bevor ich auch nur einen weiteren Gedanken daran verschwendet hatte, was ich nun tun sollte, sprintete ich schon vorwärts und sprang gute anderthalb Meter vor dem Kailasa vom Boden ab. Mein Fuß traf ihn mitten vor die Brust und prallte wieder von ihr ab, sodass ich bei der Landung zwar hinfiel, jedoch schnell wieder aufstand. Ich hatte genau getroffen, und so sicher jemand auch stand, das brachte selbst den stärksten Typen ins Wanken. Der Dolch lag immer noch in meiner Hand, auch wenn aus meinen Fingerspitzen etwas Blut austrat und den Griff rutschig machte.
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