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Also sind hier alle Spezies vohanden? Genau so war es, er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Aber was erwartete er denn auch? Dass sich hier niemand aufhielt? Das schien die einzig sichere Unterkunft für den Sturm gewesen zu sein. Zumindest hatten sie und Jareth nichts anderes gesehen auf ihrem Weg hierher und sie hatten doch einen großen Teil der Stadt durchquert. Aber gut, andererseits war es natürlich auch sehr dunkel gewesen und der enorme Regen hatte sie ebenfalls daran gehindert etwas mehr als nur ein paar Meter weit zu sehen. Und eigentlich hatten sie vor gehabt ins Industriegebiet zu gehen und sich in einer der Lagerhallen zu verschanzen, da die Psychiatrie allerdings ihren eg gekreuzt hatte und Jareth der Meinung gewesen war, in diese gehen zu müssen, waren sie hier gelandet. Und das hatte sie jetzt davon; sie war so panisch geworden vor lauter Menschen - oder menschenähnlicher Lebewesen - in ihrer Umgebung, dass sie geflüchtet war und ihn einfach hatte stehen lassen. Das war nicht ganz fair, wie ihr gerade bewusst wurde, aber sie hatte einfach weg müssen. Sie hatte einfach da raus müssen. Kopfschüttelnd vertrieb Pandora wieder diese Gedanken, konzentrierte sich auf das Hier und Jetzt, weil sie nicht unbedingt darauf aus war nun dennoch unachtsam und unaufmerksam zu werden, das musste nun wirklich nicht sein. "Hm, scheint so. Ich glaube es zumindest.", teilte ich ihm also mit. Ja, doch. Menschen, Kailasa, Wachi und Achak. Alle vier Rassen waren vertreten - ganz zu ihrem Leidwesen, aber das musste sie ja nun nicht auch noch anhängen. Seufzend strich sie sich durch die dunklen, braunen Haare, die noch immer feucht vom Regen vorhin waren, sich mittlerweile aber wieder in die großen, groben Locken - oder Wellen - kräuselten, die sie nun mal von Natur aus hatte. "Und du? Was bist du denn jetzt?" hakte sie nochmal nach. Vielleicht gab er ihr ja bei einer direkteren Frage zum Thema eine glaubwürdige, ehrliche Antwort. Wobei sie kaum Erwartungen daran hatte. Heutzutage waren doch fast alles nur noch Lügen, oder nicht? Doch, ihrer Meinung nach schon. Der Großteil log. Wieso? Um sich den eigenen Arsch zu retten, weswegen es einem ja nicht einmal zu verübeln war. Er war entweder ein Mensch oder ein Kailasa, genau wissen konnte sie es aber leider natürlich mal wieder nicht. Wie auch?
Ihre Antwort entlockte mir ein vergnügtes Lächeln. Mir war schleierhaft, warum sie mir nicht gerade einfach die Kehle durchgeschnitten hatte, als sie die Möglichkeit dazu gehabt hatte und ihrem Tonfall nach bereute sie es jetzt schon. Aber im Prinzip waren mir ihre Gründe auch gleichgültig, auch wenn die Neugier auf ihre Rasse hartnäckig in mir festsaß. Aber ich hatte ja noch genügend Gelegenheit, sie ein wenig auszufragen. Jetzt würde ich mir erst einmal einen kleinen Snack zu Gemüte führen. Mit einem Ruck verstärkte ich den Druck, mit ich sie an die Wand drängte, mit ganzer Kraft. Neue Kraft strömte in mich, als sich der Schmerz in ihrem Körper vervielfachte, und bei diesem Gefühl verstärkte sich unwillkürlich auch mein Griff um ihre Handgelenke. Ich atmete tief ein und hielt die Luft einen Moment an, bevor ich sie wieder ausstieß. Ich genoss dieses Gefühl jedes Mal aufs Neue wie beim ersten Mal. Es war einfach fantastisch, zu spüren, wie der andere immer schwächer und schwächer wurde und man selbst immer mächtiger. Kein Wunder, dass nur die wenigsten Kailasa ihre Opfer lebendig entkommen ließen. Schmerzen wirkten auf mich weniger wie Nahrung, mehr wie eine Droge, der ich vollkommen verfallen war. Selbst Sex kam nur in den seltensten Fällen diesem Hochgefühl gleich. Auch wenn sich beides natürlich wunderbar miteinander vereinen ließ, aber ich war mir immer noch unsicher, wie weit ich dieses Mal gehen würde. Und das irritierte mich fast noch mehr, als die bloße Existenz der erfunden geglaubten Achaks. Es kam nicht oft vor, dass ich unentschlossen war. Dafür hatte ich zu viel Impulsivität, wie die meisten meiner Brüder. Aber diese zierliche, kleine Achak hatte in ihrem zerschundenen Zustand tatsächlich etwas so Respekteinflößendes an sich, wie ich es bei keinem anderen Wesen je gesehen hatte. Und selbst in ihrer misslichen Lage, so bedrängt von mir, schien sie nicht einmal ansatzweise Angst zu empfinden, nein, sie hatte sogar noch das Selbstvertrauen, mir eine schlagfertige Antwort zu liefern.
Aber zu ihrem Pech gehörte ich zu den Kailasa, die ihren Opfern nicht nur gerne Schmerzen, sondern auch Angst - oder am liebsten nackte Panik - bereiteten, und es enttäuschte mich doch wirklich, dass sie noch so ruhig war. Da musste ich mir doch tatsächlich noch ein wenig Mühe geben. Ich beugte meinen Kopf - der von ihrem immer noch nicht allzu entfernt war - noch dichter an ihr Ohr. "Ich muss ja wirklich sagen, du kommst eurem Ruf als unbesiegbare, mörderische Seelenfresser nicht gut nach. Ein wenig enttäuscht bin ich da ja schon", flüsterte ich mit so rauer Stimme, dass es schon fast einem Schnurren glich. Während ich meinen Kopf wieder aufrichtete, streiften die feinen Bartstoppeln an meiner Wange über die weiche Haut ihrer Wange. Abwartend beobachtete ich ihre Mimik. Wie konnte man einer Blinden schon besser Angst machen, wie mit plötzlichen, rein "zufälligen" Berührungen?
Noch befand ich mich in diesem Augenblick seiner Gewalt ausgeliefert, was wiederum stark an meinem Ego zu kratzen begann und zur Folge hatte, dass es mir schon langsam viel zu ungemütlich wurde und meine Geduld hielt bei Gott nicht allzu lange an, speziell nicht an solchen Tagen, wie dieser einer war. Es war schlicht und ergreifend zu viel auf einmal passiert. Allgemein gesagt konnte der Tag nicht gut werden, wenn man einen Verräter aus den eigenen Reihen entlarvte, allein gelassen wurde und sich dann der Gefahr eines Gewitters ausliefern musste, um in Sicherheit zu kommen, nur um anschließend in die Arme eines hungrigen Kailasa zu laufen, dem so langweilig im Kopf war, dass er sich direkt ein kleines Späßchen mit mir erlauben musste. Immerhin konnte mir der Mann nicht erklären, dass er keine Freude daran hatte, mir Schmerzen zuzufügen und es in vollen Zügen genoss, wie ich innerlich gegen die Schmerzimpulse ankämpfte, aber bitterlich versagte. Mein Körper stellte sich allen positiven Worten meinerseits zur Wehr. Meine ermüdeten Muskeln jammerten bei dem zusätzlichen Druck gegen die Wand auf, der Schmerz in meinem Rücken züngelte bis in meine Schultern hinauf und zu meinem Becken hinunter. Es kam mir so vor, als würde sich in mir jede einzelne Faser krümmen, um dem unausweichlichen Schmerz zu entfliehen, dabei aber nicht realisieren, dass es dadurch nur noch schlimmer wurde. Langsam nagte es doch an meiner Fassung, doch mein Stolz war zu groß. Was wäre ich für eine Achak, wenn ich mich von so etwas kleinbekommen lassen würde? Ich wäre eine Schande für meine gesamte Rasse! Der minimale Kraftschub, den mir diese Gedanken verliehen, reichte gerade mal dazu, die Lippen weiterhin verschlossen zu lassen, unter dem Brennen und Stechen nicht einzugehen und durchzuhalten, selbst wenn die Chancen verdammt schlecht standen. Ich würde nicht nachgeben. Außerdem ärgerte mich dieses zufriedene Verhalten der Kreatur direkt vor mir, Körper an Körper. Ich bekam es am eigenen Leib zu spüren, wie ihn mein Leiden anstachelte und stärkte, denn der Druck an meinen Gelenken steigerte sich mit zunehmender Dauer dieser Prozedur. Ich sollte hier wegkommen, so schnell wie möglich. Blieb nur noch die Frage offen, wie ich das um alles in der Welt anstellen sollte.
Ich bekam nicht gerade den Eindruck vermittelt, dass mich der Kailasa so schnell wieder laufen lassen würde, denn diese Mahlzeit schien ihm zu schmecken. Ohne mit der Miene zu zucken, lauschte ich seinem schweren Atemzug, nachdem er für einen Augenblick die Luft angehalten hatte. Ja, auf solche Dinge achtete ich, denn sie halfen mir, meinen Gegner auch besser einschätzen zu können, selbst wenn ich dadurch keine Handlungen vorhersehen konnte und genauso wenig in seinen Gedanken stöbern konnte. Ich orientierte mich allein an seiner Atmung, wo sein Kopf sich befinden musste und ging dadurch von weiteren möglichen Bewegungen aus. Es passierte automatisch in meinem Kopf. Es war hier nicht die erste ungemütliche Lage, in der ich Steckte, aber bisher war ich körperlich immer fit gewesen, was dieses Mal ganz und gar nicht der Fall war. Einmal Pech am Tag reichte wohl nicht aus. Das Gefühlschaos in mir stiftete weiterhin eine perfekte Verwirrung, sodass eigentlich nur die Emotionen einen Platz fanden, die auch vorhin schon in mir ihr Unwesen getrieben hatten. Angst hatte da im Moment keinen Raum, um sich auszubreiten, verkroch sich irgendwo hinter der dominierenden Wut und Enttäuschung. Dennoch konnte ich es nicht unterdrücken, dass mein Atem etwas stockender ging, als er den Druck auf meine Verletzungen weiterhin aufrecht erhielt und meine komplette Konzentration darauf gerichtet war, da es schlicht und ergreifend nichts anderes gab, was mich ablenken konnte. Erst als er das Wort erneut an mich wandte, driftete meine Aufmerksamkeit ab und wie eine Ertrinkende klammerte ich mich an diesen Rettungsring, der mich gefälligst von meinen Schmerzen ablenken sollte, die in pulsierenden Strömen durch meinen Körper strömten. „Selber schuld, wenn du dir einen ungünstigen Moment aussuchst. Lass mich laufen und bei unserem nächsten Aufeinandertreffen werde ich dich nicht mehr enttäuschen, Kailasa“ versicherte ich ihm mit einer Spur Hochmut in der Stimme. Verborgen hinter dem Selbstbewusstsein lag die Gewissheit, dass ich ihn wiederfinden würde, wenn ich es wirklich darauf anlegen sollte. Wie gesagt: Achak überlebte kaum einer und wenn doch, dann fanden wir sie entweder ein zweites Mal und vollendeten unser Werk oder die Person war so oder so kurz vor einem Suizidversuch aufgrund des seelischen Verfalls. Seine Stimme war gerade noch ganz dich an meinem Ohr, schweigend wartete ich ab, aber im ersten Augenblick passierte nichts. Bis ich eine flüchtige Berührung an meiner Wange spürte und am liebsten scheu zurück zucken würde, wenn da nicht die Wand im Weg wäre… ich mochte Körperkontakt einfach nicht, hasste ihn schon beinahe. Was wollte er damit bezwecken?
Natürlich spürte ich, dass es ihr wehtat. War ja auch im Grunde genommen mein Ziel und das was ich am besten konnte. Anderen wehtun. Ihnen Schmerz und Leid zufügen. Und ehrlich gesagt tat ich es bei dieser Frau wirklich liebend gerne. Sie ging mir auf die Nerven, provozierte mich und konnte ihre spitze Zunge einfach nicht zügeln. Sollte sie lieber mal tun, wirklich.. Auch wenn sie sich gerade tunlichst darum bemühte, sich irgendwelche schmerzverzerrten Laute zu verkneifen. Den aufkommenden Schmerz herunterschluckte. Gerade verspürte ich wieder unglaublichen Hunger auf Schmerz und Leid, ich wollte sie leiden sehen. Ich wollte sie gerade wirklich nur noch leiden sehen. Wobei ich nicht damit gerechnet hatte, dass sie- nachdem ich sie mit meinem Bein so unsanft und ziemlich schlagartig auf den Boden befördert hatte- so schnell wieder auf die Beine kommen würde. ‚Und manchmal wäre es besser, jemanden nicht so schnell wieder loszulassen, wenn er einem gefährlich werden könnte.‘ Was? Scheiße! Die Achak zog mir die Beine weg, ich strauchelte einen Moment und rang um mein Gleichgewicht, schaffte es aber nicht mich aufrechtzuhalten und fiel rücklings auf den Boden, stieß die Luft ruckartig aus als ich unsanft mit dem Rücken auf dem harten Boden landete. Ihren Dolch hatte ich allerdings immer noch in der Hand, mein eigenes Klappmesser war noch in meiner Hosentasche. Und da sollte es auch wirklich bleiben. Ich drückte mich mit den Armen leicht hoch, starrte die weißhaarige Frau finster an und schnaubte leise. „Gefährlich? Dann frage ich mich doch, warum du dich allen ernstes ständig mit mir anlegst und mich provozierst..“ knurrte ich wütend und richtete mich langsam auf, musterte die Achak und beobachtete jede ihrer Bewegungen, bis ich schließlich wieder auf meinen Füßen stand und ihren Dolch einen Moment lang in meiner Hand wiegte. Ich starrte ihr in die scheinbar leeren Augen, musterte sie argwöhnisch und fuhr mir mit der Zunge kurz über meine leicht trockenen Lippen. „Weißt du, mir würde es wirklich Freude bereiten dich ein wenig.. foltern zu können..“ meinte ich leise und mit deutlicher Drohung in der Stimme, lachte dann belustigt.
Leicht erschrocken und irritiert machte ich einen Schritt zur Seite und näherte mich somit dem jungen Mann ein wenig, als die brünette junge Frau recht zielstrebig und ohne ein weiteres Wort zu verlieren an uns vorbeilief und nach draußen ging. Einen Augenblick lang hörte ich noch ihre Schritte draußen im Gang, bevor ich meine Aufmerksamkeit allerdings wieder auf den jungen Mann und die andere junge Frau legte. Mir war kalt, vermutlich sollte ich mich auch einfach umdrehen und gehen und mir ein leeres Zimmer suchen, wo ich meine andere Kleidung anziehen konnte, damit ich nicht mehr mit den regendurchnässten Klamotten herumlaufen musste. Krank werden wollte ich nämlich nicht. Wer würde mir dann schon helfen und sich um mich sorgen? Kein Mensch. Und auch kein anderes Wesen. Wenn dann würden sie mich umbringen oder sich von mir nähren, weil ich dann ein leichtes Opfer sein würde, wenn ich krank war. Dann würde ich geschwächt sein, ich würde mich nicht mehr auf die Suche nach irgendetwas essbarem machen können oder mir einen neuen sicheren Unterschlupf suchen können. Das würde dann alles nicht mehr gehen- erst recht nicht, wenn ich zum Opfer wurde. Wobei der Kerl hier vor mir ja auch was ganz anderes behaupten könnte und ich würde so dumm sein und ihm jedes seiner Worte abkaufen. Nur wenn er tatsächlich ein Kailasa war, warum hatte er das kleine Mädchen noch nicht zu Tode gefoltert? Naja, wobei ich mir dann auch wieder nicht so recht vorstellen konnte, warum er sie töten sollte, so wie er sie an sich drückte. Er schützte sie und mochte sie, das war ja wohl ganz offensichtlich. Als er sich dann vorstellte und anschließend auch meinte, dass das kleine Mädchen in seinen Armen seine kleine Schwester war und dass ich ihm glauben konnte, dass sie nur stinknormale Menschen waren, nickte ich ein wenig. Er klang doch recht überzeugend und irgendwie konnte ich mir gerade auch nicht so recht vorstellen, warum er lügen sollte. Wenn ich ihm jetzt allerdings glaubte und er würde doch lügen.. Tja, dann hatte ich wohl ein ernsthaftes Problem. Nur angriffslustig kam er mir jetzt auch nicht unbedingt vor. „Ich bin Zaira“ meinte ich mit leiser Stimme, trat von einem Fuß auf den anderen. „Sind hier noch mehr von uns? Ich meine.. Menschen?“ fragte ich ihn dann leise, ließ meinen Blick von der anderen jungen Frau, über seine Schwester und dann zu Jareth schweifen.
Grinsend beobachtete ich die Kleine. Die Kraft, die ich von ihr bekommen hatte, pulsierte in meinen Adern und fing allmählich an, meine eigenen Verletzungen zu betäuben. Auch wenn sie nicht innerhalb kürzester Zeit verheilt waren und beinahe so lange dauerten wie menschliche Wunden, fühlte es sich immer so an, als würde die Stärke, die ich bekam, direkt dorthin, wo meine größten Schwachstellen im Moment waren, fließen. Und das ließ zumindest den Schmerz vollkommen verschwinden, sodass ich mich beinahe uneingeschränkt bewegen konnte.
Trotz ihrer - inzwischen doch recht starken - Schmerzen lag in der Antwort der Achak eine gewisse Arroganz, die mich wieder einmal verwirrte und neugierig machen. Wie konnte sie immer noch so gelassen reagieren? Bei diesem Schmerzniveau wären viele andere schon längst in Ohnmacht gefallen und so gut wie alle hätten längst begonnen, um Gnade zu flehen - selbst die vermeintlich härtesten unter den Menschen oder Wachis. Und die Achak hier hatte sogar noch das Selbstvertrauen, eine Drohung durchklingen zu lassen. Natürlich. Sie wollte eine Revanche für diese Schmerzen. Ich lachte leise. Bis zu einem gewissen Punkt war ich mir sicher, dass ich auch dieses nächste Treffen nicht nur überleben, sondern auch sie wieder leiden lassen können würde, aber auf der anderen Seite machte mich ihre Selbstsicherheit misstrauisch. Verbunden mit all den Legenden konnte ich nicht einschätzen, wie mächtig die Kleine tatsächlich in ausgeruhtem Zustand war, und ich wusste auch nicht, ob ich das am eigenen Leib erfahren wollte. Aber irgendwie wollte ich es schon. Schon alleine weil ihre Worte eine deutliche Herausforderung gewesen waren, die ich nur ungern ausschlug. Ich liebte Herausforderungen. Mehr noch wenn sie mit ehrlicher Gefahr verbunden waren. Und die gab es meiner Meinung nach für uns Kailasa eindeutig zu selten. "Vielleicht werde ich darauf zurückkommen", erwiderte ich und ließ bei meinen nächsten Worten einen spöttischen Ton durchklingen. "Zuerst aber sollten wir diese Gelegenheit zu Ende auskosten."
Als sie bei meiner Berührung ihrer Wange zusammenzuckte, grinste ich zufrieden. Das war doch mal ein Anfang. Ohne den Druck auf ihren Körper zu verringern, legte ich meine Lippen sanft an ihre Wange. "Oh, wer hat da denn Angst vor Hautkontakt?" Bei jedem der leisen, rauen Worte strichen sie zärtlich über ihre kühle Haut und ich merkte, dass die Zurückhaltung, die ich ihr als beinahe unwirkliches Wesen entgegengebracht hatte, verschwunden war. All ihre Reaktionen hatten sie fast auf das Niveau eines meiner gewöhnlichen Opfer gesenkt, was sie in ihrem jetzigen Zustand ja auch beinahe war. Und das musste ich auskosten - wie ich es ihr ja auch schon gesagt hatte.
Ich umfasste ihre beiden Handgelenke mit einer Hand und ließ die andere ihren Arm herab gleiten, bis ich ihren Hals entlangstrich und mit den Fingerspitzen sanft ihre Wange berührte, während mein Mund sich auf der anderen Seite ihres Gesichtes zu einem Lächeln verzog.
Missmutig verzog ich den Mund, als ich mich ohne den Dolch wieder aufrichten musste. Ich hatte ihn tatsächlich verfehlt. Jetzt musste ich mich ohne den Dolch verteidigen. Oh, das würde er büßen, dass er mir diesen Dolch abgenommen hatte. Etliche meiner Erinnerungen hingen daran, von der Zeit im Stamm und selbst noch davor. Denn diesen Dolch hatte ich noch von meinen Eltern bekommen, als ich noch sehr jung gewesen war, und mit diesen noch weit von dieser Region entfernt gelebt hatte. Seine Worte jedoch heiterten mich beinahe wieder auf - außerdem würde ich ihm meinen Dolch eh mit großer Sicherheit wieder abnehmen -. Er redete wieder und wieder davon, dass er mir Schmerzen zufügen wollte und hatte es bisher noch kein einziges Mal ernsthaft geschafft. "Du wiederholst dich. Darauf, dass ich das zulasse, kannst du lange warten. Das solltest du allmählich verstehen", erwiderte ich arrogant - auch wenn mir innerlich klar war, dass, wenn er tatsächlich auf mich hören würde, sich umdrehen und verschwinden würde, dann würde ich wahrscheinlich wieder zusammenbrechen, denn dann hätte ich nichts mehr, was mich von den Scherben meines Weltbildes ablenken würden.
Ich trat wieder einige Schritte auf ihn zu. Auch wenn mich das fast in seine Schlagreichweite brachte. Im Moment war alles besser als wieder allein im Sumpf meines Selbstmitleides zu versinken. Da brachte ich mich doch lieber etwas in Gefahr. "Und dass du überhaupt in der Lage bist, mir wirklich etwas anzutun, bezweifle ich ebenfalls stark", zischte ich ihm entgegen und machte mich für seinen nächsten Angriff bereit.
Langsam, aber sicher spitzte sich die Situation für mich zu. Da konnte ich noch so zäh sein, aber meine Toleranzgrenze bezüglich der Stärke der Schmerzen wurde demnächst erreicht, wenn er mir weiterhin der Rücken so zu Tode gestreckt würde und sich meine Muskeln keine Sekunde lang entspannen konnten. Zusätzlich zu dem Brennen im Rücken und mittlerweile auch im Bereich der Rippen gesellte sich nun auch ein Stechen in den Schläfen dazu, das wahrscheinlich durch meine Müdigkeit während einer Stresssituation ausgelöst wurde, denn anders konnte ich mir diesen Zustand nicht mehr erklären. Mein Körper wehrte sich gegen die derzeitige Situation mit all seinen Kräften, drängte mich dazu, mich aus der Zwickmühle zu befreien, aber war dennoch zu erschöpft, um mich aus dem gewaltsamen Griff des jungen Mann zu befreien. Scheiße gelaufen würde ich nun sagen, wenn mir die Geschichte lediglich erzählt werden würde und ich kein Teil davon wäre. War aber nicht so, also konnte ich mir das Kommentar in meinem Kopf sparen. In Gedanken seufzte ich einmal wehleidig auf, als er sich weiterhin an meinem Schmerz sättigte und anscheinend kein Ende in Sicht war.
Überhaupt kam es mir so vor, als würde es der Kailasa jetzt erst so richtig zu genießen beginnen, wo er einen wunden Punkt meiner Persönlichkeit gefunden hatte, was mir wiederum gar nicht passte, weshalb ich seine erste Bemerkung schlichtweg überging und mich nicht näher damit beschäftigen wollte. Die Freude war ganz meinerseits… oder so. Als würde ich den Moment nicht ebenfalls in vollen Zügen auskosten. Haha. Nein okay, soviel schwarzer Humor auf einmal war nicht gut für meine derzeitige Einstellung, die gefälligst möglich positiv bleiben sollte, damit ich den Wahnsinn hier noch ein wenig länger durchstehen konnte. Selbst das leichte Heben und Senken seines Brustkorbes tat mir weh, sodass ich mich beinahe freiwillig gegen die Wand drückte, nur um ein wenig Freiraum zu ergattern. Gefangenschaft war so ziemlich das Schrecklichste, was mich treffen konnte – zwar hatte ich keine Platzangst, aber dennoch war ich ein freilebendes Geschöpf, das ungebunden durch die Natur streift und nicht gegen eine Wand in einem Haus gedrückt werden wollte. Es war ein sehr befremdliches, unangenehmes Gefühl, das sich da in meinem Magen festgesetzt hatte und Übelkeit beziehungsweise einen leichten Schwindel hervorrief. Richtig schlecht wurde mir erst, als ich seine Lippen an meiner Wange spürte – eine viel zu intime Berührung, die mir gehörig gegen den Strich ging. Dennoch musste ich meine restliche Würde – sofern das in den verdreckten Sachen und vor Kälte zitternden Fingern möglich ist – bewahren! „Du scheinst nicht zu wissen, was wirkliche Angst ist, sonst würdest selbst du deutlich wahrnehmen, dass es die Verachtung ist, die mich zurückzucken lässt“ spuckte ich ihm beinahe ins Gesicht. Seine Schadenfreude ließ langsam sämtliche Sicherungen in mir durchbrennen. Sein bescheuertes Grinsen an meiner Wange würde ihm schon noch vergehen. Vielleicht nicht an diesem Tag, aber er war nun ganz oben auf der Liste der Kailasa, die umgebracht werden mussten. Niemand demütigte mich ungestraft. Meine Sehnsucht nach Rache loderte bereits in mir auf, selbst wenn ich mir weiterhin vor Augen hielt, dass derzeit kein Entkommen möglich war, es sei denn, ein Wunder geschah, aber an diese Dinge glaubte ich nicht.
Ein vergnügtes Lachen ließ meine Brust beben, während ich ihrer Antwort zuhörte. Ihre Stimme triefte nur so vor Abscheu. Doch ein wenig enttäuscht stellte ich fest, dass sie immer noch nicht den Hauch von Angst verspürte. Und dabei gab ich mir doch schon solche Mühe. Aber dann musste ich halt noch ein wenig warten. Irgendwann würde sie schon Panik bekommen. Wer würde denn schon nicht Todesangst verspüren, wenn die Situation wirklich ernst wurde? Immer noch berührten meine Lippen ihre Wange und mein Atem strich über ihre Haut. Wäre sie nicht so verdammt klein gewesen, hätte ich jetzt meinen Mund über ihren Hals fahren lassen können, aber dieser verfluchte Größenunterschied ließ das in unserer Haltung nicht zu. Und nur für diese Berührung würde ich garantiert nicht den Abstand zwischen uns vergrößern, um mich weiter herab beugen zu können. Nein, so verlockend der Gedanke auch war, darauf musste ich leider verzichten. Dafür ließ ich jetzt die Hand, die an ihrer anderen Wange gelegen hatte, sanft über ihre Haut wandern, bis ich sie ihr in den Nacken legte. "Ja, die Verachtung wird es gewesen sein", erwiderte ich spöttisch und spürte schon fast körperlich, wie ihre Wut sich vergrößerte und sich mit Sicherheit auch der Wunsch nach Rache darunter mischte. Wieder lachte ich leise. "Ich bewundere deine Gelassenheit. Dir ist doch bewusst, dass du dieses Haus nicht mehr lebend verlassen könntest?", fragte ich sie mit gefährlichem Unterton. "Ein kleiner Ruck und ich habe dein Genick gebrochen. Und was sollte mich davon abhalten, wenn ich erst einmal mit dir fertig bin?"
Mein Körper stand unter einer konstanten Spannung, meine Muskeln und Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Eigentlich wartete ich auf etwas, auf ein kleines Zeichen, dass mir helfen würde und seinen Schwachpunkt deutlich machen könnte. Dann hätte ich erneut eine Chance bekommen, um mich aus der misslichen Lage zu retten, um mit schmerzendem Körper und einem unwohlen Gefühl im Magen als Verwarnung noch einmal entkommen konnte. Es war dumm gelaufen, dass er mich in solch einem zerstörten Zustand auffinden musste, denn in meiner Höchstform würde ich nun sicherlich nicht so gefesselt gegen die Wand gedrückt stehen, bei jeder noch so kleinen Bewegung den schreienden Schmerz in meinem Rücken hinunterschlucken und die Fassade weiteren wahren müssen. Es wäre alles anders… die Verhältnisse wären bestimmt nicht wie in der jetzigen Situation verteilt. Doch nun musste ich mich wohl endgültig damit zurecht finden, dass er im Moment die Oberhand hatte, sie wahrscheinlich auch noch eine Weile behalten würde, aber wachsam bleiben konnte dennoch nicht schaden. Ich wartete… geduldig.
Währenddessen musste ich weiterhin seinen leisen Worten lauschen, die verspottend über meine Wange tanzten und sich danach im Raum verloren, als wären sie nie dagewesen. Jedes einzelne Wort schien sich unendlich in die Länge zu ziehen, als er jedoch endlich seine Hand von meiner Wange wegnahm, spielte ich mit dem Gedanken und ließ mich beinahe davon mitreißen, mein Gesicht wegzudrehen, nur damit ich diesem geradezu unerträglichen Kontakt unterbinden konnte und mich wenigstens etwas sicherer in meiner zerschundenen Haut fühlen konnte. Angst hatte ich noch keine… ich vertraute nach wie vor viel zu stark um meine Überlebenskünste und meine Fähigkeit, mich aus dieser Lage retten zu können. Das Risiko, die Gefahr und die Drohung in seiner Stimme sorgten zwar für einen besorgten Zweifel, einer leisen Stimme in meinem Hinterkopf, die von dem wütenden Zorn in meinen Gedanken gnadenlos über den Haufen geschrien wurde und schlussendlich wieder verstummte. Seine Hand in meinem Nacken machte mich ansatzweise nervös, was ich jedoch nicht nach außen hin zeigen wollte, das verbat ich mir schlicht und ergreifend. Niemals würde ich mir die Blöße geben und jede noch so kleine Schwäche offenbaren, wo er nun doch auf meiner Abneigung gegenüber Kontakt gestoßen war. Mehr brauchte ich daraufhin auch nicht mehr! Sein finsteres Lachen brachte mein Blut nur noch mehr in Wallungen, sodass ich die bissigen Kommentare herunterschlucken musste. Es wäre taktisch unklug, um mich zu schlagen und unbedachte Meldungen zu schieben, denn mir war keineswegs entgangen, dass er mein Leben gerade in der Hand hielt – wortwörtlich. „Vielleicht verlasse ich es nicht mehr, vielleicht auch schon. Mich schüchtern diese Worte nicht ein.“ Eine Achak, wie mich, brachte man nicht so leicht aus der Ruhe, selbst wenn ich wirklich gewillt war, meine übriggebliebene Konzentration und die noch vorhandenen Reste der Belastbarkeit über Bord zu werfen. „Du bist neugierig. Möchtest wissen, was ich alles aushalte, was ich ertragen kann und ob ich dir wirklich eine Gefahr werden könnte, Kailasa.“ Sollte ich richtig über seine Rasse informiert sein, dann suchten sie doch immer wieder nach Herausforderungen und Risiken, die sie dann auch bereitwillig eingingen und mein Versprechen von vorhin, sollte doch genau dieser Art von Nervenkitzel entsprechen. Wollte er sich das allen Ernstes entgehen lassen?
Mir war vollends bewusst, dass ich nicht gerade der angenehmste Kailasa war. Manche von uns verabscheuten unsere Art zu leben, unsere Art uns zu ernähren, und kämpften jedes Mal aufs Neue mit ihren Gewissensbissen. Aber diese Exemplare lebten meistens nicht lange. Entweder sie verhungerten oder ihre Abneigung Gewalt gegenüber wurde kaltblütig ausgenutzt. Diese Schwachköpfe taten mir sogar bis zu einem gewissen Grad leid. In dieser Welt hieß es fressen oder gefressen werden. Da musste man das beste aus seiner Situation machen und sich damit abfinden, wie man geboren wurde, wenn man es denn nicht ändern konnte. Ich hatte das schon lange. Es hatte bei mir auch nicht lange zur Debatte gestanden, ich war zum Glück mit einem großen Maß an Egoismus gesegnet und noch einem anderen Charakterzug, der mir als Kailasa nicht ganz ungelegen kam. Sadismus. Es war wie beim Essen. Man konnte sich damit ernähren - oder man konnte es genießen. Ich zog letzteres vor. Das gab doch jeder Mahlzeit noch das gewisse Etwas, wenn sich nicht dafür schämte, was man tat, oder es herunterspielte. Ich genoss jedes noch so kleine Zeichen von Schwäche, Schmerz, Verzweiflung oder Angst meines Opfers.
So auch die krampfhafte Anspannung der kleinen Achak vor mir. Sie hatte sich kein Stückchen mehr bewegt, seitdem ich begonnen hatte ihr wehzutun. Und wenn sie sich auch sonst keinen Schmerz anmerken zu lassen versuchte, genoß ich schon diese eiserne Konzentration, die sie dafür offensichtlich aufbringen musste. Und die sich noch um einiges gesteigert hatte, seit meine Lippen ihre Wange berührten. Auch wenn ihre Worte noch recht gefasst klangen. Soso, sie war also durch diese Worte nicht einzuschüchtern. Na, ob ich ihr das so glauben sollte? Aufmerksam lauschte ich ihrer Beschreibung, weshalb sie das nicht taten. Ich war neugierig, ja, da hatte sie Recht. Ich fragte mich nicht, woher sie das hatte erraten können, ich lag damit vollkommen im Stereotyp eines typischen Kailasa. Natürlich musste sie darauf kommen. "Ja", bestätigte ich sie leise. "Ich bin neugierig. Aber darauf, dass dich das am Leben erhalten könnte, würde ich mich an deiner Stelle nicht verlassen. Immerhin könnte noch mein Temperament mit mir durchgehen", erwiderte ich und ritt damit auf den - zum größten Teil wahren - Klischees über Kailasa herum. Aber wenn wiederum das Klischee, dass Achaks sehr abgeschieden lebten, stimmte, konnte die Kleine nicht wissen, ob sie wahr waren. Und ich konnte sie damit ein wenig verunsichern. "Immerhin reizt du mich ja schon ziemlich", fügte ich mit einem leisen Lächeln auf den Lippen hinzu und ließ diese langsam ihre Wange entlang auf ihren Mund zu wandern. Als ich ihren Mundwinkel erreicht hatte, hielt ich wieder inne. "Oder ich könnte dich in einem Rausch töten, der mich durch all deine Schmerzen unkontrolliert werden lässt", flüsterte ich und drückte mich noch enger an sie - und sie damit an die Wand - als ich es ohnehin schon tat. Ich fuhr fort: "Oder aber, selbst wenn ich dich am Leben lassen würde, gibt es noch so unendlich viele andere Arten Schmerz, die du noch nicht verspürst, dass du dir durchaus irgendwann wünschen wirst, dass ich dich doch endlich erlösen würde - auf die eine oder auf die andere Weise." Die eine Hand, die noch an ihren erhobenen Händen lag, bewegte ich mit einem kräftigen Ruck, sodass ihre Handgelenke knackten und ein heißer Schmerz durchzuckte ihre Arme. Wenn mich nicht alles täuschte, waren ihre Handgelenke jetzt zwar nicht gebrochen, gestaucht aber jedoch schon, sodass sie die nächsten Tage ein schönes Andenken an mich haben würde.
Der Kailasa wurde mit zunehmender Dauer unseres Zusammentreffens auch gesprächiger, wenn man die Selbstsicherheit in seinen Worten ignorierte, die ebenfalls Bände sprach. Das Talent nannte sich zwischen den Zeilen lesen, auf das Achak in einem Gespräch vordergründig angewiesen waren, da für uns der nonverbale Kanal der Kommunikation so gut wie zur Gänze wegfiel. Zwar konnten wir rasche Bewegungen durch dadurch entstehende Lüftchen erahnen, aber dennoch tappten wir in dem Fall wahrlich im Dunklen, weshalb wir uns eben auf etwas anderes spezialisieren mussten: die Kleidung der Stimme. Stimmlange, Tonhöhe, Betonung und Klangfarbe konnte mehr als genug aussagen, aber aus den Worten des jungen Mannes waren hauptsächlich Selbstbewusstsein, Kraft und die Freude an der derzeitigen Situation herauszuhören. Seine Belustigung war für mich reiner Spott, der stark an meinem Ego kratzte, dieses durch den Dreck zog und in mir den Wunsch nach Vergeltung verstärkte. Ich wollte ihn ebenfalls leiden sehen. „Dafür, dass ich dich reize, wirkst du aber noch sehr gefasst auf mich“ konterte ich kurz angebunden, fand keinen Spaß mehr an der Unterhaltung und hätte bestimmt nichts dagegen einzuwenden, wenn er auf einmal tot auf der Stelle umfallen würde. Schade fände ich höchstens, dass er nicht durch meine Hände gestorben war.
Das Gefühl der Machtlosigkeit erfasste mich erst, als seine Lippen sich bis zu meinem Mundwinkel vorarbeiteten, mir einen unangenehmen Schauer über den Rücken jagten und eine Gänsehaut auf meinen Armen bildetet, die aber ebenso von der Kälte hervorgerufen werden konnte. Es war auch eine Art mentale Kälte, die sich um mein Herz schloss und jeden einzelnen Schlag erschwerte, als würde ich unzählige Laster auf mir hängen haben. Der verstärkte Druck gegen meinen Körper verdoppelte diese Fessel um meine Brust nur noch mehr, machte es mir schwer zu atmen, als würde mich der Kailasa nicht durch einen Genickbruch umbringen wollen, sondern regelrecht erdrücken wollen. Meine Lippen bleiben verschlossen, keine schlagfertige Antwort sprang über meine Zunge und würde den jungen Mann womöglich weiter provozieren können, wie er vorhin doch angedeutet hatte, dass ich das bereits machen würde. Dieses Mal schien es unmöglich, die aufbäumenden Schmerzen still hinunterzuschlucken, stattdessen zischte ich aufgebracht auf, ließ beinahe meinen Dolch fallen, den ich weiterhin verkrampft in der einen Hand festhielt.
Meine nächste Tat war aus reiner Verzweiflung… anders konnte man es nicht beschreiben und selber sah ich es auch ein, dass das keine kluge Strategie oder eingeplante Reaktion war. Die Schmerzen zuckten wie tausende Blitze ausgehend von meinen Handgelenken in meinen restlichen Körper, was meinen Zorn weiterhin anstachelte und dieses Mal soweit brachte, dass ich meinen Kopf leicht drehte und einfach zubiss. Lippen waren abgesehen von den Fingerspitzen die empfindlichsten Körperstellen, weshalb es gefälligst wehtun sollte, wenn ich ihn direkt auf die Unterlippe biss und das mit all meiner Kraft, die ich noch aufwenden konnte und in meiner Kiefermuskulatur war die durchaus noch vorhanden. Mir behagte diese Nähe, dieser mordlüsterne Kuss – haha, wenn man es so bezeichnen will – überhaupt nicht, aber immerhin sanken meine Arme nun etwas nach unten, was ebenfalls höllische Schmerzen hervorrief. Ungeschickt versuchte ich mich aus dem Griff zu winden, fuchtelte unter lautem Prozess meiner Oberarme und Gelenke herum, bis ich durch den plötzlich entstandenen, kaum mehr als wenige Zentimeter betragende Hohlraum schlitterte und an der Wand entlang stolperte. Anscheinend bewährte sich das Beißen, weshalb ich direkt noch einmal in seine Hand biss, mich in sein Fleisch grub und erst dann losließ, als sich auch der Griff ein wenig lockerte und ich meine Handgelenke befreien konnte. In dem Affekt heraus, wischte ich mir über die Augen, wo sich leichte Tränen aufgrund des explosionsartigen Stechens gebildet hatten und stolperte weiter rückwärts, den Dolch zitternd erhoben.
Und dann lief ich… ich rannte so schnell mich meine wackeligen Beine trugen, was für meinen Geschmack bestimmt nicht schnell genug war und ich mir dessen bewusst war, dass mein Körper demnächst nachgeben würde, einfach nicht mehr konnte.
[ich hoffe du kannst dir vorstellen, wie der Fluchtversuch aufgebaut ist? Habs versucht so gut wie möglich zu erklären ^^]
[Ich kanns mir schon gut vorstellen, du hast das gut erklärt :D]
Also damit hatte ich jetzt wirklich nicht gerechnet. Kurz zuvor hatte sich noch ein kleiner Triumph zu meinem übrigen Hochgefühl gesellt, als ich sie tatsächlich so weit gebracht hatte, dass sie vor Schmerz einen zischenden Laut ausgestößen hatte. Und im nächsten Moment drehte sie ihren Kopf und biss mir so fest in die Lippe, dass ich erschrocken zurückzuckte und die Hand, mit der ich ihre Handgelenke hielt, ein wenig herabrutschte,was der Kleinen dann doch leider zuviel Freiraum gewährte. Noch einmal biss sie zu, dieses Mal in meine Hand, bevor ich etwas tun konnte und unwillkürlich lockerte sich mein Griff. Die Achak riss sich los und rannte stolpernd von mir weg, während ich ihr noch verdutzt hinterherstarrte. Meine Hand brannte höllisch und auch meiner Lippe ging es nicht besser. Als ich mit der Zunge über diese fuhr, füllte sich mein Mund mit dem rostigem Eisengeschmack meines eigenen Blutes. Leise fluchte ich. Die Kleine hatte gute Reflexe - wenn man diese Aktion als Reflex ansehen wollte - und eine Geschwindigkeit drauf, die ich zugegebener Weise wirklich unterschätzt hatte. Einen Moment sah ich ihr noch schweigend hinterher und merkte mir die Richtung, in die sie lief, dann begutachtete ich meine Hand, in der sich tiefe Zahnabdrücke gegraben hatten, die sich langsam mit kleinen Blutstropfen füllte. Im Prinzip konnte ich stolz sein. Ich hatte es tatsächlich geschafft, die noch so disziplinierte Achak zu einer überstürzten Verzweiflungstat zu bringen, aus der pure Panik sprach. Und wenn ich ehrlich war - ich war auch stolz darauf. Einen größeren Triumpf hätte ich nicht erzielen können. Und warum sollte ich ihr hinterherhetzen? Die Haustür hatte ich im Blick und wenn die Kleine sich irgendwo im Haus versteckte, würde ich sie wiederfinden. Und das würde ich auch machen. Sie hatte mir gerade eine größere Herausforderung geliefert, als es jedes ihrer Versprechen hätte machen können. Sie hatte mich mit ihrem Wegrennen zu einem kleinen Versteckspiel aufgefordert, auch wenn ihr das nicht klar war. Aber hieß es nicht auch, dass man vor hungrigen Raubtieren nicht wegrennen sollte, weil es diese zur Jagd aufforderte? Tja, dass sie hier meine Jagdinstinkte geweckt hatte, war ihr persönliches Pech. Hätte sie sich noch eine Weile ruhig verhalten, hätte ich wahrscheinlich bald das Interesse an ihr verloren und sie gehen lassen. Jetzt aber war das Gegenteil der Fall. Und wer wusste, wie spaßig die Situation erst werden würde, wenn ich sie in einem der vielen - größtenteils sicher verlassenen - Zimmer allein abfing? Da gab es doch ganz andere Möglichkeiten als hier in der EIngangshalle, wo jeden Moment jemand mich stören konnte. Von daher konnte ich mir ruhig noch ein wenig Zeit lassen, bis ich mich daran machte, ihren Vorsprung aufzuholen.
Meine Flucht war panisch, alles andere als kontrolliert und mit meiner Wanderung während des Gewitters hierher zu vergleichen. Der einzige Unterschied lag darin, dass ich hier in einem Affenzahn unterwegs war, den ich kaum merkte. Für mich war diese Geschwindigkeit normal, ich bewegte mich zwar nicht in meinem Alltag in dem Tempo, aber dennoch eignete es sich hervorragend zum Jagen und gehörte zu einer Achak, genauso wie das spezielle Aussehen zu dieser Rasse gehörte. Es funktionierte wie von selbst, trotz meiner zahlreichen Verletzungen und der stärker werdenden Müdigkeit, die mich unkonzentriert werden ließ. Noch dazu kannte ich mich in diesem Gebäude nicht aus, hatte keinen Plan, wie die Gänge verliefen, weshalb ich mit einer Hand an der Wand entlang lief, mir dabei die Handfläche an der rauen Mauer aufriss, aber eine Wunde mehr oder weniger war in diesem Zustand auch schon egal. Mein einziges Ziel war, möglichst viel Abstand zu dem Kailasa zu bekommen. Im Moment dachte ich an keinerlei Konsequenzen, über die konnte ich mir zu einem späteren Zeitpunkt ebenso Gedanken machen. Jetzt hieß es einfach nur, in Sicherheit zu kommen, obwohl ich bezweifelte, dass mir der großgewachsene Mann nachjagen würde, schließlich konnte er kaum mit dieser Geschwindigkeit mithalten… zumindest wäre es mir unbekannt, dass Kailasa auf einmal mit einer übernatürlichen Schnelligkeit gesegnet waren. Kurz legte ich meine übrig gebliebene Ruhe auf meine Umgebung, unterdrückte meinen keuchenden Atem, aber mein Herz schlug dennoch so laut, dass ich mir einbildete, es wäre noch Gänge weiter klar und deutlich zu hören. Erst als ich mir vollkommen sicher war, dass ich oft genug die Richtung gewechselt hatte, einmal war ich sogar Treppen hinauf gestolpert, der Länge nach aufgeschlagen, wieder aufgestanden und weitergestürmt. Vorerst musste ich sicher sein. Hoffentlich…
Mit den Kräften voll und ganz am Ende blieb ich irgendwann zitternd am Gang stehen, lehnte mich mit geschlossenen Augen gegen die Wand und krallte mich dann regelrecht panisch in den Verputz, als sich meine Welt erneut zu drehen begann und ich befürchten musste, dass mir der Boden erneut unter den Beinen weggezogen wurde. Leise seufzte ich auf, musste dem Drang wiederstehen, mich an der stabilen Rückenstärkung hinunterrutschen zu lassen und die Beine von mir zu strecken. Stattdessen wartete ich darauf, dass das flaue Gefühl in meinem Magen und das Zittern aus meinen Füßen verschwanden. Ich musste weiter… durfte nicht stehen lassen… musste… musste weiter! ICH MUSSTE EINFACH! Und dennoch rührte ich mich nicht von der Stelle, sondern konnte nur tatenlos mitansehen, wie meine Knie langsam nachgaben und ich nun doch an der Wand entlang nach unten rutschte, bis ich am Boden saß und mich nicht mehr rühren wollte, unfähig auch nur einen einzigen weiteren Schritt zu machen.
Obwohl, nein, ich würde ihr noch nicht hinterherlaufen. Irgendwie hatte sie ja Recht. Wenn sie nicht in einem so erbärmlichen Zustand wäre, wäre das wirklich etwas spannender. Vielleicht sollte ich ihr ein wenig Zeit zum Ausruhen geben, auch wenn mich Fairness sonst eigentlich wenig interessierte. Aber es ging ja nicht darum, wie gerecht oder ungerecht ein weiterer Angriff auf sie wäre - ich frisch gestärkt und sie noch schwächer als zuvor. Nein, es ging darum, wie langweilig es wäre. Vielleicht würde sie sich wieder zu solchen Verzweiflungstaten wie dem Beißen hinreißen lassen, aber ansonsten würde doch nichts passieren, und auch gar nicht die Möglichkeit bestehen, dass irgendetwas Interessantes passierte. Außerdem war ich eh schon satt und mein Verlangen nach Schmerzen abgeflaut. Der Teil von mir, der ihr immer noch folgen wollte, wurde nur vom Jagdinstinkt getrieben, nicht von Hunger, und diesen konnte ich mit dem bereits genannten Argument noch gut zurückhalten. Ich würde die Kleine eh noch einmal in die Finger kriegen. Oder ihr Rachebedürfnis würde sie zu mir treiben. Aber auch dagegen hatte ich nichts. Mir war auch egal, ob ich mich dabei vielleicht in ernsthafte Gefahr begab. Ich hatte eh niemanden, der um mich trauern würde, da konnte ich uneingeschränkt meiner Leichtsinnigkeit nachgeben.
Ich gähnte einmal ausgiebig. Auch wenn mein Körper vor Energie nur so bebte und das Blut nur so durch meine Adern rauschte, spürte ich eine tiefe, zufriedene Müdigkeit. Auch wenn der Aufenthalt hier in der Psychatrie bis jetzt nur angenehm für mich verlaufen war, hatte mich der vorherige Marsch durch den Regen doch stark erschöpft. Vielleicht sollte ich mir doch eins von den leeren Zimmern suchen, die Tür verbarrikadieren und ein wenig schlafen. Konnte nicht schaden - und was die Achak anging: Sie würde das Haus eh nicht verlassen, bevor der Sturm abgeflaut war, und so wie sich das da draußen noch anhörte, würde das noch einige Stunden dauern. Immer noch prasselte der Regen unvermindert gegen die Wände, als schmeiße jemand mit Steinen, aber der Donner war seltener geworden und auch Blitze zuckten nur noch selten durch die zum großen Teil verrammelten Fenster. Das Gewitter entfernte sich - was aber nicht heißen musste, dass man das Haus schon in einer halben Stunde unbeschadet verlassen konnte.
Also hatte ich tatsächlich eine gute Ruhepause, die ich mir gönnen konnte. Und außerdem - selbst wenn die Achak einem weiteren Treffen entkam, hier im Haus hielten sich garantiert auch noch andere Wesen auf - wer wusste, vielleicht sogar noch andere Achaks. Wo ich schon einmal eine getroffen hatte, konnten andere eigentlich auch nicht fern sein. Warum war die Kleine überhaupt allein unterwegs? War sie das vielleicht gar nicht? Es passte irgendwie nicht zu dem Bild, das ich ansonsten von dieser sagenumwobenen Rasse hatte. Aufmerksam sah ich mich um, entdeckte aber nichts. Egal. Wenn mir hier noch jemand auflauerte, würde ich das schon noch bemerken - und warum sollte ein möglicher Verbündeter der jungen Frau nicht geholfen haben? Nein, die Kleine war sicher alleine unterwegs gewesen, auch wenn es mir irgendwie seltsam vorkam. Vielleicht würde ich ja irgendwann noch herausfinden, was es damit - und mit den Achaks insgesamt - auf sich hatte.
Ich entschied mich für den rechten Flur und lief an einigen Zimmern vorbei, bis ich mich willkürlich für eins entschied, die Tür mit einem Ruck aufstieß und tatsächlich ein leeres Zimmer vorfand. Eine schmale Pritsche stand an einer Wand, an der gegenüberliegenden stand ein kleiner Tisch, ein Stuhl und eine flache Kommode. Ansonsten war das Zimmer leer. Im schwachen Dämmerlicht, dass durch die dichten Vorhänge ins Zimmer fiel, sah ich den ganzen Staub nicht, der durch die Luft wirbeln musste, aber ich roch ihn. Leise hustete ich, trat aber trotzdem in das leere Zimmer und schloss die Tür hinter mir. Ein Luftzug wehte mir entgegen und als ich hinter die dreckverkrusteten Vorhänge blickte, sah ich, dass die Scheiben der Fenster kaputt waren. Ich seufzte leise und riss zuerst einmal die Vorhänge zurück, um ein wenig frische Luft hereinzubekommen. Auch wenn ich damit auch den Regen ins Zimmer ließ. Das war mir ziemlich egal. Meinen Rucksack ließ ich auf den Boden fallen und öffnete ihn. Meine Kleidung war schon zum größten Teil getrocknet, trotzdem zog ich zumindest das Oberteil aus, um die Feuchtigkeit, die noch auf meiner Haut lag, trocknen zu lassen. Ich legte den Pullover auf der Pritsche ab, hockte mich neben den Rucksack und zog ein altmodisches Feuerzeug heraus, das ohne Gas funktionierte - und daher nicht leergehen konnte, aber einen brauchbaren Funken erzeugte. Ich richtete mich auf, ging zum Stuhl und trat ihn mit einem Tritt in Einzelteile. Wer brauchte heutzutage noch Stühle? Feuer war wichtiger. Auch wenn ich aufpassen musste, dass es nicht allzu sehr qualmte. Ich wollte keine Rauchvergiftung. Den größten Teil des Holzes schichtete ich zu einem kleinen Lagerfeuer auf, während ich einen Teil des Stuhlbeins in kleinere Splitter zerlegte und sie auf den Rest häufte. Ich hielt das Feuerzeug daran und nach einer Weile sprang der Funken über und ein feiner Rauchfaden stieg aus den Spänen hervor.
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