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Ich hörte Kata zu und stimmte ihr von ganzen Herzen zu. Ich wollte trotzdem lieber nochmal nachsehen, ob alle immer noch mit sich selbst beschäftigt waren und schlich nochmal zurück zu der Ecke. Ich schaute zu den anderen, als mich eine Bemerkung der weiblichen Achak aufhören ließ. Also wenn wir damit nicht gemeint waren, dann wäre ich keine Wachi. Mein Kopf zuckte zurück, aber ich sah noch das winzige lächeln auf dem Gesicht des männlichen Achaks. Beide wussten es. Im Grunde war es mir klar gewesen,dass sie von uns wussten,aber jetzt wo es sich bestätigt hatte, dachte ich mir doch, wie dumm ich den gewesen war. Ich hatte keine Ahnung,wie sie uns bemerkt hatten, gerochen,gehört oder einfach gefühlt, aber eigentlich wollte ich es auch nicht wissen. Es war eh zu spät. Ich stieß mich von der Wand ab und wollte zu Kata zurückkehren, als ich mit meinen Fingern etwas Putz von der Wand riss. Ich hatte die weiße Wand zwar nur gestrichen, aber irgendwie löste das eine halbe Kettenreaktion aus. Eine ganze Menge Putz rieselte herunter und landete auf dem dreckigen Boden vor meinen Füßen. Ich konnte mir ein Stöhnen nicht verkeifen, als der Dreck auf den Boden prasselte und uns damit quasi an alle verriet, die halbwegs auf ihre Umgebung achteten. Ich biss die Zähne zusammen und huschte die Treppe hoch zu Kata. "Sorry!", hauchte ich in ihr Ohr und zog sie dann schnell hinter mir her. Hoffentlich beschloss sie nicht uns zu folgen und kamen mit der ganzen Mannschaft hier hoch um den Übeltäter zu suchen. Warum musste auch immer mir sowas passieren? Ich hatte mich eigentlich immer unter Kontrolle und mir passierten nie solche Missgeschicke, aber manchmal, da hatte ich einfach einen schlechten Tag und legte mir andauernd Steine in den Weg. War ja alles schön und Gut, dass ich bis jetzt alles überlebt hatte, aber für eine Wachiwi war ich echt noch jung und ich hatte keine Lust wegen so einem Mist zu sterben. Oder verletzt zu werden. Alles nicht so meins. Ich merkte, dass ich pessimistisch wurde und packte Kata fester an ihrem Ärmel und zog sie um die Ecke auf unser Zimmer zu. Der Feuerschein strahlte unter der Tür durch um ich notierte mir in Gedanken da irgendein Tuch hinzustecken, damit das keiner sah.
Fast wünschte ich mir gerade, dass ich doch lieber da draußen im Regen verreckt wäre, als dass ich mich hier jetzt so dermaßen erniedrigen lassen musste. Das kratzte definitiv tiefe Risse in meinen Stolz. Klar, ich meine wer ließ sich schon gerne eine mit einer Bratpfanne überbraten? Und als wäre das nicht genug, brummte mein Schädel wirklich mehr als nur ein kleines bisschen. Aber diese.. nervtötende Achak trieb es wirklich zunehmend auf die Spitze. Konnte die nicht ein einziges Mal ihre Klappe halten und sich nicht bei jedem Ding was ich tat einmischen? War das mal möglich, hm? Anscheinend nicht.. wahrscheinlich musste sie erst tot sein, damit ihre spitze Zunge mal Ruhe gab. Sie dachte wohl, sie konnte sich hier alles erlauben.. Wenn sie sich da mal nicht geschnitten hatte. Denn so langsam aber sicher übertrieb sie es wirklich ein bisschen zu viel und machte mich fuchsteufelswild. Gut, möglicherweise hatte ich es tatsächlich verdient, mit der Bratpfanne geschlagen zu werden. Immerhin hatte ich ja auch Pandora angegriffen und der Schlag da gerade war wohl möglicherweise nichts dagegen, was ich ihr angetan hatte. Also ja- ich hatte es definitiv verdient. Aber alle anderen ging das rein gar nichts an, wenn überhaupt dann war das eine Sache zwischen uns Beiden. Und dann auch noch dieses verdammt spöttische Lachen der Achak. Ich hasste sie. Wirklich. Abgrundtiefer Hass gegen sie breitete sich rasend schnell in mir aus und wäre ich in dem Moment nicht wieder von der jungen Frau vor mir abgelenkt worden, dann wäre ich jetzt wohl schon längst drauf und dran gewesen, dem Biest den Garaus zu machen. Gerade wünschte ich mir nämlich nichts sehnlicher, als die Achak dermaßen zu foltern, dass sie am besten eine ganze Woche nicht mehr stehen, sitzen und liegen können würde. Nein, den Tod wünschte ich ihr nicht- aber unbeschreibliche Schmerzen und unbändige Qualen. Das konnte mit Sicherheit noch weitaus schlimmer sein als der Tod. Allerdings brachte ich ihr noch ein giftiges, knurrendes und drohendes ‚Ich habe Hunger. Auf Achak..‘ entgegen, schaute die Achak mit zusammengekniffenen Augen finster an. Bei der leisen, schnaubenden Feststellung von Pandora, dass ich das verdient hatte, wandte ich mich ihr schließlich wieder zu, presste nur ein wenig die Lippen aufeinander und ließ einen Moment meine Schultern kreisen, die sich vor lauter Wut total angespannt hatten, was gerade ziemlich unangenehm war. Aber dass sich das Bedürfnis auf eine Unterhaltung verflüchtigt hatte.. nein. Nein, nicht wirklich. Jetzt wollte ich aus irgendeinem Grund erst recht mit ihr reden. Keine Ahnung warum, aber die junge Frau hatte irgendetwas an sich, was mich einerseits verwirrte, weil ich eigentlich noch nie einem meiner Opfer geholfen hatte, sie auf ein Sofa gelegt hatte und sie zugedeckt hatte, und andererseits auch wieder komischerweise anzog. Wobei sie gerade- obwohl sie doch wegen meiner Hand auf ihrer Schulter immer ziemlich erschrocken zu sein schien- ziemlich weit ausholte. Aber ganz anders wie bei der Achak störte mich das nicht im Geringsten. Im Gegenteil, irgendwie bescherte mir das gerade fast ein wenig gute Laune und auch wenn es wahrscheinlich gequält und wegen meiner immer noch vorhandenen Wut auf die Achak finster aussah- ich konnte mir ein leichtes Lächeln nicht verkneifen. „Nein.. irgendwie nicht. Und die anderen.. interessieren mich nicht..“ meinte ich mit leicht rauer Stimme und musterte Pandora einen Moment lang mit ausdrucklosem Gesichtsausdruck, bevor ich meine Arme vor der Brust verschränkte.
Ja, es war unverkennbar, dass Zasha hier ziemlich viele Leute schon kannte – und die meisten nicht als Freunde, definitiv nicht, so wie es mir schien. Aber das spielte gerade auch absolut keine Rolle, weil zu allem Übel nicht nur hier unten alles zu viel wurde, sondern auch noch hinter uns ein Geräusch ertönte, das ganz klar auf weitere Anwesende hindeutete. Hinter uns. Wieso hinter uns? Wo ich gerade doch endlich halbwegs die Hoffnung gehabt hatte hier erst einmal weg zu kommen und von den Anwesenden in diesem Haus hier fort zu kommen. Außer von Jareth und seiner Schwester natürlich, aber die Treppe war damit auch tabu, was mich nur noch versteifter und angespannter werden ließ. Ich wagte es gerade allerdings dennoch nicht mich umzudrehen um eben in diese Richtung zu sehen und zu sehen wer dort war, ob dort überhaupt jemand zu sehen war – allen Anscheins nach allerdings nicht, da sich bis dato ja niemand weiter dafür zu interessieren schien und ich würde es nicht wagen Zasha gerade nochmal den Rücken zuzukehren. Nein, ganz gewiss nicht. Tja, aber mit Abwimmeln schien nicht zu sein, obwohl ich einen Moment doch tatsächlich die Hoffnung hatte er würde sich ganz und gar der Achak widmen. Falsch gedacht, tat er nicht. Nachdem er ihr irgendwas – ich hatte es nicht wirklich verstehen können, weil ich mein eigenes Blut einfach so in meinen Ohren rauschen hörte – zugeknurrt hatte, wandte er sich nämlich auch schon wieder in meine Richtung. Was um Himmels Willen hatte ich getan, dass dieser Kerl einen solchen Narren an mir gefressen hatte? Wobei ich das keinesfalls im positiven Sinne meinte, ich war fest davon überzeugt, dass er nur darauf aus war sein Werk zu vollenden. Jetzt erstrecht, nachdem ich ihm eine übergebraten hatte.. vielleicht hätte ich mir doch mehr Mühe geben sollen.. er wäre ja doch nicht gestorben, wobei ich natürlich noch nicht ausprobiert hatte wie es war einen Kailasa ‚umzubringen‘ ihm aber sowohl seine Waffe als auch sein Tattoo zu lassen. Stand er wirklich wieder auf? Ich war im Morden echt unerfahren und eigentlich hatte ich auch wirklich kein Interesse daran etwas zu ändern. Es sollte eigentlich bei dem einen Kailasa bleiben, wobei ich auch mein Leben behalten wollte und gewiss wieder... zuschlagen würde, wenn es denn sein müsste. Und wenn ich davon Alpträume bekam, dann war das eben so, solange ich lebte. Und sie hatten es doch alle verdient, nachdem sie mir das einzige genommen hatten das mir wichtig gewesen war, den einzigen der einfach wahnsinnig wichtig und der einzige Halt für mich gewesen war den ich gehabt hatte. Meine Familie. Auch sein.. gequältes, leicht verzogenes Lächeln konnte mich nicht davon überzeugen, dass er vielleicht nicht gar so böse Absichten hatte wie ich ihm unterstellte. Aber wer konnte mir das auch schon verübeln? Fast wäre mir ein verzweifeltes ‚Ach komm schon...‘ oder sowas in der Art heraus gerutscht. Was sollte ich denn noch tun, um mich.. uninteressant zu machen? Ihm noch eine überziehen? Oder ihm meine Pfanne entgegen werfen? Vielleicht auch einfach ignorieren was er sagte und tat? Wenn das mal so einfach wäre. Das ging leider nicht so mir nichts, dir nichts. Dazu war ich auch blöderweise gar nicht der Typ. Dann ging ich eben erst einmal auf die anderen ein: „Nicht? Sie sich aber scheinbar für dich, vielleicht solltest du denen deine Aufmerksamkeit schenken, die sie auch haben wollen, hm?“ entgegnete ich... mit versucht fester Stimme. So halbwegs gelang mir das auch, aber dieser.. ausdrucklose Gesichtsausdruck nach diesem... verzerrten Lächeln irritierte und verunsicherte mich ja schon wieder, was eben auch zu hören war. Ich war nicht gut darin meine Gefühle und Gedanken zu verbergen. Ich war kein Mensch der gut schauspielern und lügen konnte. Darin war ich wirklich miserabel. Und ich wusste auch nicht, wieso ich mich hier überhaupt auf dieses.. Gespräch – konnte man das überhaupt so nennen? – einließ. Ich wusste es wirklich nicht, es war nur eben einfach so, was sollte ich auch anderes tun? Hinter uns war ganz offensichtlich wer, vor uns war definitiv wer.. keine Ahnung wo wir hin sollten.. draußen wütete es immer noch..
Ein wenig verärgerte es mich schon, dass erst keiner auf mich reagierte. Na gut, ich suchte vielleicht schon ein wenig die Aufmerksamkeit der anderen und spielte auf Risiko, aber das war doch das Schöne an der Sache. Wenn wir schon hier zusammengepfercht waren.
Und bei der Menschenfrau störte es mich auch nicht wirklich, schließlich reagierte sie ja die meiste Zeit schon sehr knapp - wenn man von dem Schlag gegen den Kailasa einmal absah -, aber dass die Wachiwi sich stattdessen - anscheinend - an meinen Stammesbruder wandte und ihm etwas zuflüsterte, was mich sogar betraf. Ja, ich hatte sie verstanden. Aber warum sollte mich das stören, dass sie den anderen Achak nach mir fragte. War ja irgendwie verständlich. Nur, dass sie mich währenddessen vollkommen ignorierte, störte mich.
Die Reaktion des Kailasas dagegen - und die hatte ich ja auch erwartet - verschaffte mir aber eine starke Genugtuung. Er wurde extrem wütend - sein Herzschlag und Atem veränderte sich, er verspannte sich vollkommen und stieß dann auch noch seine knurrende Bemerkung hervor. Was bei mir nur wieder ein breites Grinsen verursachte. Er hatte also Hunger. Auf Achak. Aber er rührte sich kein bisschen, weshalb wusste ich nicht genau. Schade wäre es, wenn er die Provokation tatsächlich alleine mit diesem Kommentar an sich abprallen lassen würde. Aber das glaubte ich nicht, so wütend wie er war. Ob ihn die Unterhaltung mit dem Menschenmädchen davon abhielt? Wer wusste es. Aber ich war mir sicher, irgendwann würde er ausrasten. Und ich würde es mitbekommen, das würde ich mir nicht entgehen lassen. "Soso. Du hast also Hunger", bemerkte ich mit belustigtem Unteron. "Was hält dich davon ab, es zu versuchen. Komm schon, du wirst doch wohl keine Angst vor einem blinden, zierlichen Mädchen haben?", setzte ich hinzu. Ja, vielleicht war für mich die Aussicht auf einen Kampf mit ihm nicht so verängstigend, wie sie hätte sein sollen, aber ich freute mich gewissermaßen darauf. Ich liebte Abwechslung bzw hasste Eintönigkeit. Und selbst falls er mich in dem Moment doch würde überwältigen können, ich war nicht sehr schmerzempfindlich. Von daher würde mich das auch nicht sonderlich stören. Und ja, ich unterschied mich damit nicht nur von den meisten der anderen Achaks, sondern auch von den meisten anderen Wesen. Mich störte Schmerz nicht sonderlich, dafür teilte ich am liebsten aus. Und dafür schien dieser Kailasa hier der perfekte Ansprechpartner zu sein. So schön reizbar und dadurch schön unkonzentriert. Und mir erschreckend ähnlich - oder umgekehrt? - zumindest in erstem Punkt, weniger dem zweiten.
Ich fühlte mich gerade echt wahnsinnig hin- und hergerissen. Genauso wie ich mich immer noch total erniedrigt und in meinem Stolz gekränkt fühlte und am liebsten einfach nur noch die Achak quälen würde. Aber genauso war ich mir dessen bewusst, wenn ich Pandora jetzt den Rücken kehren würde und ich mich der vorlauten Achak zuwenden würde, dass sie dann.. verschwunden sein würde. Oder könnte. Natürlich wusste ich, dass sie mich loshaben wollte. Die junge Frau wollte ganz eindeutig, dass ich sie in Ruhe lassen würde und dass ich mich einfach von ihr abwenden würde. Aber das wollte ich nicht. Warum auch immer.. das konnte ich ja gerade selbst noch nicht einmal so genau sagen. Vermutlich wäre es ihr sogar ganz recht, wenn ich mich der Achak jetzt zuwenden würde und wir Beide uns bekriegen würden. Und ich verspürte zwar auch ganz eindeutig das Bedürfnis dazu, ihr an die Gurgel zu gehen, aber die junge Brünette hatte da doch anscheinend irgendetwas in mir geweckt, was mich gerade immer noch ganz klar davon abhielt, die Achak nicht direkt anzugreifen, sondern einfach stehenzubleiben, sie so gut wie nur irgendwie möglich zu ignorieren und mich stattdessen auf Pandora zu konzentrieren. Was mir zugegebenermaßen echt schwerfiel, weil dieses Monster von Achak anscheinend echt keinen Anstand besaß. Da konnte ich mich doch noch recht gut an die Worte meiner Mutter erinnern: ‚Nicht unterbrechen, ich rede gerade!‘ Ja, haha.. das hätte man dieser weißhaarigen Frau mal beibringen müssen. Die Worte von Pandora allerdings entlockten mir dann doch erst einmal ein leicht.. verächtliches Schnauben, bevor ich den Kopf leicht schüttelte- was ich zugleich auch wieder bereute, denn der Schlag mit der Bratpfanne hatte doch ziemlich gesessen, da sich erneut eine leichte Schmerzwelle einen Weg durch meinen Kopf bahnte, mich mein Gesicht leicht verziehen ließ. Ganz sicherlich nicht würde ich der Achak jetzt auch nur ein kleines bisschen an Aufmerksamkeit schenken. Das war doch genau das, was sie erreichen wollte. Und dass ich wütend war hatte sie schon längst erreicht. Als ich Pandora dann aber antworten wollte, unterbrach mich auch schon wieder die Achak. Verärgert schüttelte ich den Kopf, schloss die Augen für einen Moment und fuhr mir mit einer Hand kurz über mein Gesicht, bevor ich mich leicht seitlich drehte, damit ich Beide- sowohl Achak als auch Pandora- noch im Blickfeld hatte. „Ich unterhalte mich gerade, also geh mir verdammt nochmal nicht auf die Nerven! Und wenn du was willst, dann komm her!“ knurrte ich aufgebracht in die Richtung der weißhaarigen Frau, um mich einige Sekunden später auch schon wieder der Brünetten zuzuwenden. „Ganz bestimmt nicht.. die haben meine Aufmerksamkeit nicht auch nur annähernd verdient..“ erwiderte ich letztendlich auch noch auf Pandoras Worte hin, ehe ich ihr kurz in die blauen Augen schaute. Ihre Bratpfanne hielt sie immer noch fest umklammert und sie schien sie wahrscheinlich auch definitiv noch einmal einsetzen zu wollen, falls ich oder irgendeines von den anderen Wesen hier ihr zu nahe kommen würden. Aber dann würde ich mir ganz bestimmt nicht noch ein weiteres Mal so derartig eine überziehen lassen. Das eine Mal hatte schon völlig ausgereicht. Mein Kopf schmerzte jetzt ja immerhin auch noch, also brauchte ich auf keinen Fall eine Wiederholung davon. Echt nicht.
Nachdem mein Lächeln verschwunden war und sich die Menschenfrau mit dem Kailasa weiter unterhielt, widmete ich mich der leisen Frage von Renesmee. Sie hatte wirklich geflüstert und bezweifelte, dass es jemandem aufgefallen war oder es jemand verstanden hatte, abgesehen von der Achak, um die es ja auch ging. „Sie ist aus meinem Stamm“, erwiderte ich und drehte meinen Kopf dabei in ihre Richtung. Es war ebenso ein Flüstern gewesen, aber auch dieses war für die andere Achak sicherlich nicht schwer zu hören. Das war auch der Grund, wieso ich nichts weiter ergänzte. Ein normales Gespräch war unter diesen Umständen sicher nicht möglich. Dann nahm ich auch schon ein viel deutlicheres Geräusch von der Treppe wahr. Erst war da wieder Geflüster gewesen, dann leise Schritte und schließlich rieselte etwas auf den Boden, Laute der Überraschung drangen an mein Ohr und erneut etwas hektischere leise Schritte. Ich war mir nicht sicher, ob es vielen aufgefallen war, aber eigentlich waren die beiden auf der Treppe damit verraten – für einen Achak war es unglaublich deutlich, dass da nun jemand war und für jedes andere Wesen waren diese Geräusche wohl laut genug gewesen, um sie zu hören. Der Kailasa schien mir aber viel zu beschäftigt, um wirklich auf seine Umgebung zu achten. Die Achak machte es ihm ja aber auch nicht gerade leicht – sie forderte ihn heraus und das die ganze Zeit. Und er war so dumm sich provozieren zu lassen, vollkommen. Ich konnte sein schneller schlagendes Herz hören und den steigenden Puls. Wut. Das war es, was er ihr gegenüber empfand und ich vermutete, dass er ausgerastet wäre, wenn da nicht diese Menschenfrau wäre, die ihn immer wieder ablenkte. Eigentlich war das ja sogar gut. Wenn die Achak und der Kailasa einander direkt ausgesetzt gewesen wären, wäre es inzwischen vermutlich zum Kampf gekommen. Dass er dann aber meinte, dass er Hunger auf Achak hatte, sorgte bei mir für eine leichte Anspannung. Ich war mir sicher, dass mein Stammesmitglied sich gut alleine verteidigen konnte, aber ich spannte mich dennoch an, bereit ihr zu helfen. Sicher, so wie ich sie einschätzte – immerhin war sie jagen gegangen – würde sie meine Hilfe nicht wollen, aber ich würde nicht zulassen, dass ein Mitglied aus meinem Stamm verletzt wurde. Vor allem nicht von so einem arroganten Achak, wie er es meiner Meinung nach war. Ich hatte allerdings eigentlich auch wenig Lust weiter stumm hier im Eingang zu stehen und wandte mich deshalb wieder leise flüsternd an Renesmee. „Lass uns verschwinden.“ Damit meinte ich nicht wieder raus in den Sturm, sondern irgendwo anders in diesem Gebäude in einen Raum. Meinetwegen auch die Treppe hoch. Eine andere Wachi würde Renesmee sicher nicht angreifen und wenn ich es richtig gedeutet hatte, war das andere eine Menschenfrau. Also drohte uns da eigentlich recht wenig Gefahr. Besser, als mitten durch den Rest der Leute zu laufen und uns dann da einen ruhigeren Ort zu suchen, oder? Aber vielleicht hatte Renesmee ja auch eine bessere Idee und hatte eine Tür oder einen Weg entdeckt, mit dem wir das alles umgehen konnten. Wenn der Kailasa die Achak angriff, während wir noch hier waren, würde ich bleiben, um zu helfen. Aber es war ihre Sache und ihr Kampf – wenn ich weg konnte, würde ich dafür nicht bleiben. Ich hatte keine große Lust auf so eine Auseinandersetzung.
Die Sache zwischen Zasha und der Achak schien sich immer weiter aufzubauen. So wie es aussah, nicht von der Seite des Kailasas, der sich doch recht bemühte, sie irgendwie zu ignorieren, sondern ihrerseits. Warum zur Hölle forderte sie ihn heraus? Wollte sie es wirklich drauf anlegen und sich von Zasha würgen oder fertig machen lassen? Also ich an ihrer Stelle hätte schon gar nichts mehr erwidert, vorallem, weil er sich bemüht der Frau zuwandte und sich gerade unterhielt - es zumindestens versuchte. Sie war eher noch auf der angriffsbereiten Seite, was ich absolut verstand. Immerhin sollte man einen Muskelprotz wie ihn nicht unterschätzen und das sollte die Achak auch nicht. Egal wie viele Erfahrungen sie haben mag und wie sicher sie sich ist, sich wehren zu können. Tja, aber wie man sah hatte er sich gut unter Kontrolle, belndete sie weitestgehend aus, sodass sie wieder nur auf ein kalte Wand traf. Amüsante Sache, doch langsam auch echt nervenbetäubend sich diese ganzen Vorwürfe anzuhören. Worauf die Achak dann mit den nächsten Worten hinaus wollte, verstand ich nicht, weswegen ich nur leicht den Kopf schüttelte und mich leise seufzend zu Elija umwandte, der mir auf meine Frage geantwortet hatte. Dem Gespräch zwischen dem Kailasa und der jungen Frau hörte ich trotzdem mit einem Ohr zu, weil ich doch ziemlich neugierig war, was da noch geschehen würde. Die Achak war also aus dem Stamm.. Dann lag ich ja mit meiner Vermutung richtig. Unglaublich wie unterschiedlich man sein kann. Ich hätte jetzt gedacht, dass jeder Achak zurückhaltend und still sein müsste, es bzw. gewohnt ist, wegen der Tarnung und all dem, aber sie.. nun ja, wenn sie immer so risiko- und streitlustig war kann man mit ihr schneller in einen Konflikt treten als mit einem normalen Achak, wie zum Beispiel Elija. Na gut, das ist ein schlechter Vergleich, weil Elija ja doch etwas anderes ist als eine Dahergekommene.. Oder nicht? Schnell verwarf ich den Gedanken, weil er mich sowieso nur immer wieder im Kreis laufen lassen würde, wie es so oft meine Gedanken taten. Lass uns verschwinden, kamen dann die leisen Worte von meinem Nebenan, woraufhin ich nach einigen Sekunden mit einem leisen Ja zustimmte. Ich wüsste nicht, was wir hier noch verloren hätten. Wir standen sowieso ein wenig außenvor zwischen all dem Geschehen hier. Und als ich mich gerade umdrehen wollte um mich umzublicken, vernahm ich ihm Augenwinkel etwas Staubiges und im Ohr etwas Prasselndes. Es war nicht sonderlich laut, weswegen ich es wahrscheinlich auch nicht wahrgenommen hätte, wenn ich beispielsweise im Gespräch wäre. Abrupt hielt ich in meiner Bewegung inne, schaute leicht fragend zu Elija. ''Hast du das auch gehört? Ich glaube da ist jemand auf der Treppe gewesen.''
Und die Weißhaarige provozierte und provozierte, forderte Zasha regelrecht dazu auf sich ihr an die Kehle zu schmeißen und sie anzugreifen, sie schien das ganz amüsant und witzig zu finden – was ich nebenbei erwähnt absolut nicht nachvollziehen konnte. Aber wie sollte ich das denn auch nachvollziehen können? Die Aufmerksamkeit um die sie bettelte und nach der sie lechzte, die bekam scheinbar ichzugesprochen, dabei wollte ich sie gar nicht unbedingt haben. Aber genau darauf schien es hinaus zu laufen. Zasha spannte sich zunehmend an, wurde von Sekunde zu Sekunde wütender auf diese Achak, aber noch hielt er sich zurück, einwandfrei. Er hielt sich zurück und konzentrierte sich größtenteils weiterhin auf mich, forderte die Achak nur dazu auf ihm nicht auf die Nerven zu gehen – oder aber her zu kommen. Ja, sollte sie doch her kommen. Wenn sie das tat, das konnte man mir glauben, würde ich den Moment nutzen um endlich erst einmal hier weg zu kommen. Wohin auch immer, hier unten gab es immerhin auch genügend Räume. Die Treppen rauf würde ich nicht gehen, da war immerhin ebenfalls jemand, das hatte ich mittlerweile ja schon gehört und der Rest vermutlich auch. Nach vorne hin versperrte mir zwar Zasha noch den Weg und auch der Rest stand mehr in diese Richtung, aber wenn er mit der Weißhaarigen beschäftigt war würde ich schon an ihm vorbei kommen. Ich, Jareth und auch seine kleine Schwester. Von mir aus konnte die Achak also liebend gerne auf seine Aufforderung herzukommen oder still zu sein, her kommen. Nur nicht zu mir, lediglich zu ihm – so viel stand fest! Auf Zashas Worte hin – die wieder direkt an mich gerichtet waren – konnte ich es doch nicht verhindern etwas skeptisch die Augenbrauen in die Höhe zu ziehen und den Kopf ein klein wenig zur Seite zu neigen. Das war so eine dumme Angewohnheit die ich hatte, aber eben auch einfach nicht mal so mir nichts, dir nichts abstellen konnte. Sie hatten seine Aufmerksamkeit also nicht verdient, ich hingegen aber schon? Das ergab für mich keinen Sinn, es sei denn er wollte mich wirklich in den Wahnsinn treiben und mit mir irgendein bescheuertes Spielchen spielen. Keine Frage, wenn er so weiter machte dann hatte er damit Erfolg, weil er mich mit seinem seltsamen Verhalten einfach wahnsinnig... verunsicherte. Sehr verunsicherte. „Und ich habe sie also verdient? – Darf ich fragen woher mir diese Ehre gebührt?“ Noch immer klammerte ich mich regelrecht an dem Griff der Pfanne fest, noch immer standen die Fingerknöchel leicht weiß heraus, weil ich so verkrampft war und das Zittern ließ auf Grund der Verspannung auch nicht nach, morgen hatte ich Muskelkater, wenn ich so weiter machte. Aber ich konnte mich einfach nicht entspannen und eigentlich wollte ich das auch nicht tun. Die Situation war viel zu brenzlig, als dass ich mich hier einfach mal so mir nichts, dir nichts entspannen könnte. „Immerhin scheint dir der Kopf doch ganz schön zu dröhnen.“, hängte ich noch hinten an, hob demonstrierend die Pfanne nochmal ein wenig in die Höhe. Wobei ich sie ja so oder so noch drohend vor mir in die Höhe hielt. Ich wollte, wie gesagt, nicht riskieren, dass er mir nochmal zu nahe kam. Das vor ein paar Tagen war nahe genug gewesen, ausreichend für mein gesamtes Leben, wenn man mich gerade fragte. Dieses Risiko würde ich nicht nochmal eingehen. Vertrauen war da nicht mehr, das hatte er mich schön genommen, ne... so naiv und blind würde ich in eine solche Situation nicht noch einmal hinein laufen. Jareth vertraute ich auch nur, weil wir uns gegenseitig mehr oder weniger echt den Arsch gerettet hatten. Ansonsten würde ich auch nicht so bei, vor und hinter ihm stehen.
Der Russe hatte vor einigen Tagen tatsächlich klammheimlich das Weite gesucht, als sich die Chance ergeben hatte. Er war geübt in dem was er tat und konnte sich durchaus zur Wehr setzen, aber wenn sich zwei angriffslustige Wesen ihm gegenüber befanden, die auch noch mit dem Gedanken zu spielen schienen sich gleichermaßen gegen ihn zu richten, dann wäre er wirklich dumm, wenn er seine Chance nicht ergreifen würde und abhauen würde wenn sich die Möglichkeit ergab. Natürlich hätte der Dunkelhaarige ebenso die Situation nutzen können um anzugreifen, wenn sie beide miteinander beschäftigt waren, aber das Risiko war in dem Moment schlicht weg zu hoch gewesen, als dass er es hätte versuchen wollen. Nicht, wenn sich eben eine andere Möglichkeit bot und ob er sie nun jetzt oder wann anders umlegte – mal ganz plump ausgedrückt, es würde sich aber schon noch eine Möglichkeit ergeben – spielte doch gar keine Rolle. Die nächsten Tage waren ziemlich ruhig verlaufen. Ruhig und gleichermaßen langweilig. Wobei sich eben diese Langeweile langsam legte, denn das Haus in dem Servan sich die letzten Tage über Nacht aufgehalten hatte gab jetzt wo es dunkel wurde nach und nach immer mehr den Geist auf. Wo er zu Beginn noch versucht hatte die schweren, feuchten Balken zu stützen hatte er mittlerweile eingesehen, dass es purer Selbstmord war hier zu bleiben.
Eben darum schnappte er sich die abgewetzte Lederjacke, zog sich diese über und stopfte den Schlafsack der auf dem Boden neben einer verglühten Feuerstelle lag in seinen Rucksack, bevor er in den strömenden Regen trat. Die Kapuze des dunkelgrauen Pullovers den er unter der Jacke trug nutzte auch nicht sonderlich viel, war innerhalb weniger Sekunden ebenso durchnässt wie seine restlichen Klamotten. Die hellblaue, löchrige Jeans, die geschnürten Lederboots, das Shirt unter dem Pullover, der Pullover unter der schwarzen Lederjacke. Die nassen Haare hingen ihm in Strähnen in die Stirn, teilweise sogar in die Augen, was ihn daran erinnerte, das er sich wohl irgendwann wieder daran machen sollte sich die dunklen Haare etwas kürzer zu schneiden. Sonderlich begabt war er darin nicht, aber es war besser wie mit langen Zotteln herum zu laufen. Und es interessierte ihn schlicht weg nicht ob sie nun ungleichmäßig geschnitten waren oder nicht, Hauptsache sie gingen ihm nicht auf den Geist. Kopfschüttelnd und mit einer einfachen Handbewegung beförderte er sie nun allerdings erst einmal wieder aus seiner Stirn, bevor er den Rucksack über seine rechte Schulter warf und sich gegen den Regen stellte. Für ihn gab es keinen Sinn mit dem Regen zu laufen. Wieso? Weil wenige Meter darauf der Wald beginnen würde und so wie das Unwetter aussah würde es keine Mühe haben einige Bäume zu entwurzeln, Äste abzubrechen oder ein Feuer zu entfachen, sobald ein Blitz die richtige Stelle traf. Im Wald konnte es also keinesfalls sicherer sein als in der Stadt, vielleicht fand er ein sicheres Plätzchen. Dennoch folgte er nun erst einmal dem Waldrand. So boten ihm die Äste nun doch erst einmal einen gewissen Schutz, während die zu Boden fallenden Ziegel ihn nicht erreichen konnten. Noch nicht zumindest.
Ein Schrei – nicht sonderlich laut zu hören, aber dennoch vernehmbar – drang an sein Ohr. Er veranlasste den jungen Jäger dazu stehen zu bleiben, den Kopf in besagte Richtung zu drehen, mit der linken Hand nach dem Dolch zu greifen, der neben einer Schusswaffe – die eigentlich nie genutzt wurde, da Patronen echt knapp waren – offen an seinem Gürtel thronte. Da gab es zwar noch einige, weitere Waffen, aber die waren besser verstaut und versorgt, nur musste man erstens Eindruck schinden und zweitens doch auch sofort etwas zur Hand haben können und dieser Dolch war ihm doch die Liebste seiner Waffen. Etwas mit dem er umgehen konnte und mit dem er sich identifizieren konnte, der ihm sagte wer er war, was er war.
Es folgte allerdings erst einmal kein weiteres Geräusch, weswegen er beschloss weiter zu gehen, nicht nachzusehen. Es konnte eine Falle sein, es konnte genauso gut ein Unfall sein, der schon ein Leben gekostet hatte und er war nun mal kein Babysitter. Weder für einen Menschen, erst recht nicht für ein Wesen. Und woher sollte Servan auch wissen, ob es sich bei dem Schrei um eine Wachi, Achak oder einen Menschen gehandelt hatte? Weiblich war er nämlich gewesen, da war er sich eigentlich ziemlich sicher. Servan setzte seinen Weg nun also erst einmal fort, stur geradeaus und ohne sich weiter mit dem schrillen Schrei zu beschäftigen der an sein Ohr gedrungen war. Als er allerdings eine Bewegung aus den Augenwinkeln wahrnahm, spannte er sich doch augenblicklich wieder an. Eine Bewegung im Wald, nicht aus der Stadt. Ohne zu zögern machte er einen Satz zur Seite, hinter einen breiten Baumstamm, während er angestrengt lauschte. Der Regen war mittlerweile so stark, dass er ohnehin kaum noch ein klares Bild erkennen konnte. Als er dann zwei leise, männliche Stimmen vernahm die sich angeregt, aufgeregt unterhielten schloss er die Augen für einen Augenblick um sich besser darauf konzentrieren können. Als er sie wieder öffnete tauchte zu allem Übel auch noch jemand zwischen den Häusern auf, ein zierliche Gestalt kam direkt in seine Richtung gelaufen, heraus aus einer der schmalen Gassen. Vielleicht war er ihr noch nicht aufgefallen, vielleicht waren ihr auch noch nicht die Männer aufgefallen, die im Wald, wirklich nicht weit entfernt von ihm waren. Wo genau konnte Servan noch immer nicht sagen, aber sie waren da. Ein Grund mehr nicht aufzufallen, bevor er nicht wusste um wen oder was es sich bei ihnen handelte. Erst einmal drehte der junge Mann sich so, dass der Baumstamm sowohl der zierlichen Gestalt den Blick auf sich versperrte, als auch den beiden Stimmen – das hoffte er zumindest. Erst als das Mädchen – wie er erkannte, als sie nahe genug war – kaum noch von ihm entfernt an dem breiten Stamm vorbei lief, griff er ohne jegliche Hemmungen, ohne zu zögern nach ihrem Arm, zog sie mit dem Rücken an seine Brust und hielt ihr den Dolch an den Hals, seine Lippen nahe ihres Ohres: „Ich rate dir still zu sein, Kleine.“, hauchte er leise in ihr Ohr, verstärkte den Druck der scharfen Klinge auf ihren Hals demonstrativ, wobei er dennoch darauf achtete sie nicht zu verletzen. Noch nicht zumindest, er wusste nicht ob sie eine Wachi oder ein Mensch war. Achak war ausgeschlossen, die roten Haare passten nicht. Aber er würde es wohl herausfinden, wenn sie begann ihn einzulullen.. das war ihm schon mehr als Einmal passiert – zugegeben, in dem Moment ein wahnsinniges Gefühl, sobald man es allerdings realisierte, dennoch genau wusste, dass man gefangen war einfach total beschissen, weswegen er viel Feingefühl zeigen musste. Er würde ihr ohne zu zögern die Kehle aufschneiden, wenn er sich bedroht fühlte, wenn auch nur der Hauch dieses Gefühls in seinen Körper strömte, dass sie sich ihrer Gabe an ihm probierte. Sie sollte also gut überlegen was sie tat. Sehr gut, zumal er im Moment nur darauf aus war die Aufmerksamkeit der beiden Männer weder auf sich, noch auf sie zu lenken. Im Endeffekt also eine gute Tat.
Der inzwischen ziemlich starke Regen verursachte nur, dass Sophia ihre Umgebung nicht ganz klar sehen konnte, aber sie hoffte, dass sich das im Wald änderte. Immerhin kamen doch durch die Bäume sicherlich weniger Regentropfen durch, oder? Dann würde sie wieder alles erkennen können und nicht nur durch diesen grauen, nassen, kalten Schleier gucken. Zittern tat sie auch immer noch, aber das war auch nicht verwunderlich. Ihre Kleidung war vollkommen durchnässt und von den sanften Wellen, die sonst in ihren Haaren waren, blieben bloß nasse, glatte Strähnen übrig, die ihr an der Haut und Kleidung klebten. Ein Feuer und eine Decke über dem Kopf waren genau das, was die junge Wachi jetzt suchte und auch, wenn sie ein wenig Angst hatte, dass dieser Achak von eben sich mit dem anderen Mädchen in das Haus verziehen könnte, würde sie es riskieren und dort ebenfalls einen Unterschlupf suchen. Es schien doch groß zu sein, oder? Und warum sollte man erst das ganze Gebäude durchsuchen, wenn man auch direkt wo anders einen trockenen Platz hatte? Nein, also das würde keinen Sinn machen. Zu zweit wäre es den beiden ja vermutlich auch eh unmöglich das gesamte Haus zu sichern und so wäre es zumindest schlau, wenn sie sich nur einen eigenen Bereich suchen würden. Sophia wollte es so machen und lief langsam auf den Wald zu. Er war nicht mehr weit weg und zwischen den Bäumen meinte sie tatsächlich die hintere Fassade des Gebäudes erkennen zu können. Da war auf jeden Fall ein großes Gebäude und ein Zaun, der es umschloss. Passte also zu dem Haus.
Die Rothaarige hatte ihren Blick nur noch auf das Gebäude fixiert und achtete einen Moment lang nicht auf ihre Umgebung – ziemlich dumm von ihr, denn genau diesen Augenblick nutzte ein recht großer, starker Kerl, um sie zu packen und an seine Brust zu ziehen. Mit einem Dolch direkt an ihrem Hals. Sophia entwich ein leises Quietschen, kein wirklicher Schrei und ihr Herz schlug wieder unglaublich schnell in ihrer Brust. Als wollte es explodieren. Die Hand, an der sie den Schlagring trug, ballte sie zu einer etwas zittrigen Faust, während sie das Kinn hoch streckte – möglichst weit weg vom Dolch – und die Augen kurz schloss. Sie bemühte sich ruhig zu atmen und blieb erstmal still, wie er es wollte. Wenn ich nichts tue, wird er mich töten. Einfach so, direkt hier und dann liege ich nass und blutend – und tot – am Waldrand. So finde ich Lucas niemals.. und ich hab ihm doch versprochen, dass wir uns wiedersehen. Er hat es auch versprochen. Denk nach, Sophia. Wie kommst du hier am besten wieder weg? , ging es ihr durch den Kopf. Phias Gedanken rasten und natürlich dachte sie daran meine Wachi-Kräfte einzusetzen. Problem war nur, dass sie das bisher noch nie so wirklich gemacht hatte und sie deshalb nicht kontrollieren konnte, geschweige denn wusste, wie sie darauf zugriff. Ihre Pflegeeltern hatten Sophia nur immer Bescheid gesagt, wenn sie es als Kind ausgestrahlt hatte und ihr dann gesagt, dass sie es lassen sollte. Irgendwann hatte sie dann angefangen sie einfach zu unterdrücken – ob sie das jetzt spontan und mit Tonnen Adrenalin im Blut umkehren konnte? Ich bin eine Wachi, also wird meine Kraft schon irgendwie funktionieren, oder? Nein.. vielleicht.. vielleicht ist es besser, wenn ich ihm menschlich erscheine. Menschen stellen die geringste Gefahr dar, ihre Gedanken rasten nur so und dann, einige Sekunden später, sammelte sie ihren Mut zusammen und sprach mit tatsächlich relativ fester, wenn auch sehr leiser Stimme: „Was willst du?“ Es war nicht viel und half ihr sicher auch nicht unbedingt aus der Situation, aber vielleicht würde er ja loslassen, wenn er in ihr keine Gefahr sah. Und dann würde sie laufen, laufen so schnell sie ihre Beine trugen und hoffen, dass sie nicht hinfiel. Der Boden war vollkommen durchweicht und das Gras rutschig. Aber hatte sie denn eine andere Wahl? Sterben war nicht wirklich das, was Sophia für heute geplant hatte.
Über das leise, unterdrückte ‚Quietschen‘ oder wie man das nennen wollte sah Servan hinweg. Sie war erschrocken, das war ihr auch nicht zu verübeln. Wer rechnete damit von einer Sekunde auf die Andere mit einem Messer bedroht zu werden? Abgesehen von ihm selbst vielleicht. Aber er hatte das auch mehr als einmal durchgemacht, nicht zuletzt in Form seines eigenen Vaters als diese Bedrohung um dem Sohn weiß zu machen wie wahnsinnig gefährlich es war auch nur einen Augenblick unaufmerksam zu sein. Kindheit war da nicht gewesen, aber damit kam der Russe gut klar. Vielleicht würde er ansonsten nicht mehr leben, was nur logisch schien, wenn man betrachtete in was für Situationen er schon verwickelt gewesen war. Die junge Frau war wahnsinnig angespannt, der Russe konnte deutlich spüren wie jeder Muskel ihres Körpers zum zerreißen gespannt war, er konnte spüren, dass sie zitterte, wie schnell ihr Atem ging. Aber was erwartete man anderes, so nahe wie er sie gegen seine eigene Brust drückte? Er wollte nicht Gefahr laufen ihr zu viel Bewegungsfreiraum zu lassen und sich daraus selbst einen Strick zu ziehen. Die Klinge bewegungslos, ruhig und ohne jegliche Erschütterung an ihre Kehle gelegt lauschte er auf seine Umgebung, hoffte sie würde seine Drohung ernst meinen. Es war nicht so, dass er gerne tötete, gewiss nicht. Aber er tötete wenn es nötig war, wenn er es für nötig empfand, wenn er sich durch etwas oder jemanden bedroht fühlte. Und wenn sie die beiden Männer auf sich – und damit auch ihn – aufmerksam machen würde, würde er sie ohne zu zögern zum Schweigen bringen. Er konnte sich keine Fehler leisten. Aber wer konnte das heutzutage schon noch?
Erst als das Mädchen – sonderlich alt schien sie ihm noch nicht – sich wieder ein wenig regte, galt ihr wieder der größte Teil seiner Aufmerksamkeit. Er lauschte ihren leisen Worten und überlegte im ersten Moment sie einfach zu ignorieren. Er überlegte wirklich sie zu ignorieren, sie einfach aus dem Weg zu schaffen, hier zu verschwinden, sie in Richtung der Kerle zu stoßen, sodass diese sich auf sie konzentrierten. Was interessierte es ihn, was sie dann mit ihr anstellten? Er kannte sie nicht, sie kannte ihn nicht. Er trug keinerlei Verantwortung für sie, sie war zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen und Servan war nun der, der entscheiden durfte wie es mit ihr und ihrem Leben weiter ging. Er durfte entscheiden ob sie lebte, ob sie starb, ob sie durch die Hölle ging oder sich in Sicherheit wiegen konnte.
Der Russe hasste diese Entscheidungen. Er hasste sie, er traf sie nicht gerne. Aber er traf sie. Was blieb ihm auch für eine andere Wahl? Zumal man ihm über die Jahre durchaus eingeflößt hatte das nicht an sich heran zu lassen. Das machte einen verletzlich, schwach und unaufmerksam. Nicht nachdenken, handeln. So wie es für einen selbst und die Menschen die man brauchte und liebte am besten war. In dem Falle aber nur für sich selbst, weil es niemanden im Leben des jungen Mannes gab der seine Zuneigung, seine ungeteilte Aufmerksamkeit oder gar Liebe zugesprochen bekam und bekommen würde. Alleine war man besser dran, Andere hielten einen größtenteils einfach nur auf und darauf konnte Servan gut und gerne verzichten. Nachdem er seinen Vater verloren hatte war er nie wieder auf einen Menschen eingegangen. Er ging ihnen gezielt aus dem Weg, aus Angst sich in irgendeiner Art und Weise binden zu müssen, verpflichtet zu fühlen. Wenn er welchen begegnete, wimmelte er sie ab. Er benahm sich wie das letzte Arschloch, sodass sie von selbst gingen. Und es wirkte. Es wirkte einwandfrei. Es war die beste Methode um jemanden los zu bekommen und es war am einfachsten. Aber nun musste er sich gezwungenermaßen mit jemandem auseinandersetzen, was nicht bedeutete, dass er das nicht konnte. Er war nur ein wenig aus der Übung, wenn man wollte. Die häufigste Konfrontation mit anderen erfolgte dadurch, dass am Ende jemand tot war. Ein Kampf. Und jedes Mal ging er mit dem Wissen hinein, dass entweder er, oder aber sein Gegenüber den Kürzeren zog, bis jetzt hatte er immer Erfolg gehabt, wie man sah. Und er hatte nicht vor daran etwas zu ändern, auch nur ein winziges Bisschen.
„Das du still bist.“, brummelte er noch immer mit gedämpfter Stimme in ihr Ohr, konzentrierte sich wieder auf seine Umgebung. Aber neben dem prasselnden Regen und ihrem hastigen Atem war nichts weiter auffälliges zu hören. Waren sie weg? Oder hatten sie die Beiden gehört und lagen nun ebenfalls auf der Lauer? „Und mir sagst was du bist.“, forderte der Russe wenig später, noch immer leise aber energisch. Wobei er das ‚was‘ ganz besonders spitz betonte. Sie würde schon wissen worauf und auf was er aus war. Bevor sie ihm keine Antwort gab würde er sie nicht los lassen und würde ihm auch nur der kleinste Zweifel an der Wahrheit ihrer Aussage aufkommen, würde er kein Problem damit haben ihr noch mehr zu drohen und ihr ihre.. beklemmende Lage unter die Nase zu reiben.
Nein, also ihr Plan ging nicht auf. Der Mann hinter ihr hatte sie kein bisschen los gelassen oder den Griff auch nur im Geringsten gelockert und so stand Sophia weiter mit voller Anspannung und pochendem Herzen an ihn gedrückt. Er war ebenso durchnässt wie sie, also lief er vermutlich auch ein wenig länger durch den Regen. Wobei.. eigentlich war man schon nach dem ersten Schritt ins Freie vollkommen durchweicht. Das Wetter war unglaublich und half der jungen Rothaarigen nicht sonderlich weiter bei ihrer Lage. Still sein sollte sie also. Ja, das war okay. Und dann aber doch noch fordern, dass sie ihm etwas sagte. Der Kerl schien auch nicht genau zu wissen, was er wollte. Sophia fragte sich nur, warum es ihm denn so wichtig war, dass sie still war. Sie hatte niemanden gesehen, als sie eben auf den Wald zugelaufen war und in die Richtung, in die sie jetzt blicken konnte, sah sie ebenfalls niemanden. Warum also schweigen? Bei dem Regen und Unwetter war es unwahrscheinlich, dass jemand ein leises Gespräch hören konnte, der irgendwo entlang lief und wenn jemand nahe an sie ran kam, würde es mindestens einer der Beiden schon bemerken. Aber vielleicht war es ja auch nur Sophia, die bisher noch nichts bemerkt hatte. Immerhin war sie auch von dem Kerl hinter ihr überrascht worden, obwohl sie ja der Meinung gewesen war, dass sie ihre Umgebung aufmerksam beobachtete. Wer sagte also, dass da nicht noch jemand war? Ganz nah und sie hatte es nur übersehen. Dann wäre es wohl gar nicht so schlecht, dass dieser Kerl sie festgehalten hätte – wobei ihre Lage nicht unbedingt sehr angenehm war, aber wer wusste schon, ob diese andere Person, die dann ja wohl irgendwo hier in der Nähe war, die junge Frau nicht einfach direkt getötet hätte. Deshalb zeigte Sophia noch lange keine Dankbarkeit, sicherlich nicht. Der Kerl da konnte sie ja auch sofort töten und schien nicht sonderlich zögerlich es auch zu tun, falls sie auch nur eine falsche Bewegung machte oder einen Ton von sich gab. Einen zu lauten Ton – er wollte ja schließlich schon eine Antwort von ihr und ihr war auch absolut klar, wie sie antworten würde. „Mensch“, kam aus ihrem Mund, sonst nichts. Sie würde ihm nicht sagen, dass sie eigentlich eine Wachi war, sie fühlte sich ja aber auch nicht wirklich wie eine. Wenn da nicht dieser Drang nach männlichem Blut wäre, wäre sie wohl schon längst zur Rasse der Menschen übergewandert. Doof nur, dass das nicht möglich war und dass es da diese Ranke gab, die bei ihr noch klein und kaum merklich war, aber immer weiter wuchs. Sie hatte sie natürlich verdeckt und falls er auf die Idee kam nachzusehen, ob sie da was hätte, würde er sie ja ein wenig los lassen müssen und das wäre eine super Chance, um ihren Schlagring zu nutzen und dann abzuhauen. Auf große Gespräche war er ja scheinbar eh nicht aus und sonderlich freundlich oder offen schien er ihr auch nicht zu sein. Verbittert vielleicht oder einfach unglaublich vorsichtig und damit um einiges besser auf die Welt hier vorbereitet, als Sophia es war. Was brachten ihr denn all die Tricks, die ihr beigebracht worden waren, wenn sie in so einer Situation war? Niemals alleine rumlaufen war die erste Regel gewesen – schon mal außer Kraft gesetzt. Immer eine Waffe dabei haben war Nummer zwei. Sophia hatte Waffen bei sich, keine Frage, aber keine davon war wirklich griffbereit, abgesehen von dem silbernen Ring an ihren Fingern, aber sie war sich ziemlich sicher, dass der Dolch mehr Auswirkungen haben würde, als ihr lächerlicher Ring. Also Punkt zwei ebenfalls nutzlos. Und dann kamen nur noch die Kenntnisse in Selbstverteidigung, die ihr insofern nichts brachten, als dass sie diesem Dolch ja nicht ausweichen konnte ohne sich den Hals aufschneiden zu lassen. Also war sie wehrlos, hilflos und den Launen den starken Mannes in ihrem Rücken ausgeliefert. Sophia hatte keine Wahl außer zu hoffen, dass er sie nicht töten wollte und dass er es nicht ausgerechnet auf Menschen abgesehen hatte – was war denn, wenn er einer dieser Kailasa war? Achak schloss sie aus. Dafür war seine Haut zu dunkel, auch wenn sie natürlich nicht viel von ihm selbst sehen konnte. Aber irgendwie schätzte sie diese Art von Wesen auch nicht so ein, als würden sie ihre Opfer erstmal festhalten und ausfragen. Denen war doch egal, welche Art von Wesen, solange es eine Seele besaß. Gerne hätte Sophia den Fremden einfach gefragt, aber sie wagte es nicht. Lieber wollte sie erstmal abwarten, wie er reagierte – ihre Antwort war kurz gewesen, also war eine Lüge schwer zu enttarnen und sie hatte 17 Jahre mit Menschen zusammengelebt und das so überzeugend, dass niemand einen Verdacht geschöpft hatte. Sie konnte nur hoffen, dass ihre Gruppe nicht ausgerechnet besonders naiv gewesen war und sie tatsächlich ganz überzeugend war als Mensch. Hilflos wie ein Mensch fühlte sie sich auf jeden Fall..
Mensch. Dieses einzelne, kleine Wort kam zwar recht abrupt über die Lippen der jungen Frau, klang gleichermaßen aber auch so überzeugt, dass es kaum Zweifel daran gab, dass es der Wahrheit entsprach. Auch wenn eben das den jungen Mann vielleicht hätte misstrauisch werden lassen sollen. Aber selbst wenn es eine Lüge war, war er gerade Derjenige in der durchaus überlegenen Lage. Ob Wachi oder Mensch, in dem Moment war sie ihm hilflos ausgeliefert und nicht anders herum und wenn sie tatsächlich ein Mensch war, dann stellte sie keine große Bedrohung da. Zumindest nicht, wenn sie keine Waffen unmittelbar in ihrer Nähe und griffbereit hatte. Die nächste Frage die Servan ihr stellen musste, stellen würde und abschätzen müsste, ob sie nun der Wahrheit entsprach oder aber nicht. Er hatte nicht vor sich ein Messer in den Bauch, in die Brust, den Arm, das Bein oder sonst wohin rammen zu lassen, darauf konnte er getrost verzichten. Sobald er seinen Griff locker lassen würde hätte sie allerdings die Möglichkeit dazu, weswegen er sich da ganz sicher sein musste. Mehr als sicher. Er würde nämlich nicht so töricht sein und aus seiner überlegenen Situation entfliehen, um sich in eine gefährliche zu begeben, nur weil er sich nicht sicher war ob sie etwas griffbereit hatte das ihm gefährlich werden konnte.
Es wäre fast schon erniedrigend, wenn das nun geschehen würde. Dumm und nicht das wozu er in der Lage und fähig war. Worauf er regelrecht gedrillt worden war. „Gut. – Und trägst du irgendwelche Waffen bei dir?“, fragt Servan – noch immer mit leiser, rauer Stimme und direkt an ihrem Ohr. Mittlerweile galt wirklich nahezu seine gesamte Aufmerksamkeit wieder der jungen Frau. Er dachte nicht daran seinen Griff auch nur annähernd zu lockern oder die Klinge von ihm Hals zu nehmen. Weder komplett, noch wenige Millimeter. Noch nicht zumindest. Noch stellte sie eine zu große Gefahr da, aber was sollte sie auch sonst sein? Er kannte sie nicht, er hatte sie lediglich an sich gezogen um zu verhindern, dass die Aufmerksamkeit der Fremden sich in seine Richtung lenkte, weil das Mädchen sie nicht bemerkt hatte. Das war der einzige Grund, weshalb der Jäger sie an sich gezogen hatte. Das und nichts anderes. Und jetzt würde er sie erst wieder los lassen, wenn er sich sicher war, dass die beiden Kerle weg waren und sie ihn nicht augenblicklich anfallen würde vor lauter Panik. Wobei Panik vielleicht das falsche Wort war. Man merkte ihr an, dass sie in gewisser Maßen Angst empfand, so wie sie atmete, wie sie zitterte – wobei das natürlich auch von der Kälte und der Nässe kommen konnte –, auch wenn ihre Stimme relativ fest und sicher klang. Aber bei dem Wispern konnte man das auch nicht richtig einordnen. Aber im Endeffekt spielte das doch gerade auch gar keine weitere Rolle – erst recht keine Wichtige.
Der Regen nahm immer mehr zu – insofern das denn noch möglich war – und die Äste über unseren Köpfen wurden immer stärker von dem starken Wind gebogen, die Blätter raschelten, rauschten, fielen in Unmengen zu Bogen und streiften hin und wieder entweder mich oder die junge Frau vor mir. Wie lange der Baum hier wohl noch stehen würde, oder wie lange er noch Herr über seine Äste war, bevor wie ihm genommen wurden? Ich bezweifelte, dass es noch lange gehen würde und dann wollte ich ehrlich gesagt nicht mehr hier stehen. Allerdings wollte ich mir auch keinerlei Eile oder gar Unwohlsein anmerken lassen, weswegen ich noch immer ruhig gegen den Baum lehnte, die Rothaarige festhielt und ihr mit der linken Hand den Dolch an die Kehle hielt..
Er glaubte ihr, kaufte ihr tatsächlich ab, dass sie menschlich war. Was ja aber irgendwo auch noch stimmte. Sie sah aus wie ein Mensch, ernährte sie die meiste Zeit wie einer und verhielt sich auch so. Ihre Rasse – was ein echt abwertender Begriff war nach der Meinung der jungen Wachi – hatte sich aus den Menschen entwickelt und daran hielt sie fest. Ein Teil von ihr war noch immer menschlich und für sie selbst überwog dieser dem Monster-Teil in ihr.
Zunächst erleichterte es Sophia, dass der Mann sie so wohl für eine geringere Bedrohung hielt, das Gut bedeutete doch auch genau das, oder? Also, dass es so besser war, als wenn da grade ein Wesen vor ihm stände. Da musste Sophia nur hoffen, dass er es nicht noch rausfinden würde. Bei seiner nächsten Frage stutzte sie ein wenig. Klar trug sie Waffen bei sich. Es wäre absoluter Selbstmord, wenn sie keine haben würde und einfach so raus gehen würde. Angst keimte in ihr auf, dass er sie ihr wegnehmen würde, wenn sie ihm das verriet, aber würde er ihr abkaufen, dass sie absolut wehrlos herumlief? Das war sehr unwahrscheinlich, wenn man bedachte, was aus der Welt geworden war. „Ich.. hab ein Messer in meinem Rucksack“, flüsterte sie daraufhin. Es war keine Lüge, aber auch nicht die volle Wahrheit. In ihrem Rucksack, der an seine Brust gedrückt wurde, war ein Küchenmesser und zwei Dolche, gut in Stofffetzen verpackt, damit sie nichts kaputt machen konnten innerhalb ihrer Tasche. Das war Sophia auch schon mal passiert und da Kleidung generell knapp war, wollte sie nicht riskieren noch mehr davon mit Löchern aus dem Rucksack ziehen zu müssen. Vor allem nicht den geliebten Blazer, den sie aus Erinnerungsgründen weiterhin bei sich trug. Es klang albern und war vermutlich auch genau das, aber so viel Platz nahm er ihr ja nicht weg und Sophia weigerte sich von diesem Stück los zu lassen. Bisher hatte sich darüber auch keiner beschwert, aber bisher war sie ja auch nicht wirklich draußen unterwegs gewesen oder auf andere Menschen –oder Wesen – getroffen, als die ihr bekannten. Sie atmete noch mal tief durch und wusste genau, dass es einen Hauch provozierend war, was sie als nächstes sagte, aber so angespannt wie sie war, würde sie noch unter Muskelkater leiden und sie hatte nicht vor den Mann anzugreifen, also hoffte sie mal, dass er ein bisschen nachsichtig war. „Ich werd dir nichts tun, keine Sorge. Lass mich einfach gehen, ich bin sofort weg“, wisperte sie dann in der Hoffnung, dass er es auch tun würde. Phia war sich generell nicht ganz sicher, warum er sie festgehalten hatte, wenn er sie nicht töten oder ausrauben wollte. Sie wäre doch einfach an ihm vorbei gelaufen, hatte ihn ja nicht mal bemerkt und somit hätte er in Ruhe sein Ding machen können und sie ihrs. Lucas finden stand nämlich noch immer ganz oben auf ihrer Agenda und wenn sie diesen lästigen Kerl hier los war, würde sie das auch wieder tun. Nachdem sich das Wetter beruhigt hatte und sie ein wenig getrocknet war. Sonderlich sicher schien ihr der Wald bei diesen Umständen nämlich auch nicht und auch, wenn der Baum, an dem die beiden standen, dick und alt war, würde er nicht ewig dem Stürmen stand halten können. Oder ein anderer Baum in ihrer Umgebung fiel. Das Ergebnis war das gleiche.
Nicht für den Bruchteil einer Sekunde verließ das selbstsichere Lächeln meine Lippen und ich schnaubte amüsiert, als ich merkte, wie sehr sich der Kailasa von mir provozieren ließ. Hach, das war doch mal ein schönes Spielchen. Und ich war mir sicher, dass ich ihm immer noch überlegen war - ich war zwar wirklich recht zierlich, dafür aber schnell, ausgebildet und vor allem konzentriert, während er allmählich in Rage geraten zu schien. Er konnte mir wirklich nicht weismachen, dass er keinerlei Bedürfnis hatte, endlich zu versuchen, mich zu schweigen zu bringen. Was hatte er überhaupt an diesem Menschenmädchen gefressen. Ich fand es nicht unverständlich, weshalb er ihr so auf die Pelle rückte, ohne ihr aber anscheinend etwas tun zu wollen. Er hatte ja selbst gesagt, dass sein Hunger Achaks - bzw wahrscheinlich nur mir - galt. Und er wies mich tatsächlich damit zurecht, dass ich sein Gespräch mit dem Menschen unterbrach. Ach der Arme. Ich kaufte ihm nicht ab, dass er sich ernsthaft für eine Unterhaltung mit ihr interessierte, aber ich kam auch nicht dahinter, was er stattdessen wollte. Obwohl auch das im Moment unwichtig war. Sollte er sich doch in seinen Gründen verrennen. Und jaja, die anderen außer der Menschenfrau hätten seine Aufmerksamkeit nicht verdient. Der ging ganz klar gegen mich, aber ich ließ mich davon nicht stören. Er wollte mich ausblenden, aber er schaffte es absolut nicht. Und ich würde den Moment, in dem er den letzten Rest Kontrolle über sich verlieren würde, ganz klar ausnutzen. Warum? Einfach weil ich es konnte - weil es Spaß machte - weil ich mich sonst während dieses Sturmes zu Tode langweilen würde - und vielleicht auch, weil ich mich gerne mit anderen maß, auch wenn diese sich so extrem von mir unterschieden, wie es dieser Kailasa tat. Gerade dann.
Nebenbei hörte ich, wie mein Artgenosse die Wachiwi darüber aufklärte, dass ich in seinem Stamm war. Mehr nicht, aber was hätte er auch sagen können? Lästern würde ich auch ihm nicht empfehlen, das würde ich selbst einem Stammesmitglied heimzahlen - wenn auch nicht in dem Ausmaße wie anderen - und viele positiven Eigenschaften von mir kannte er auch nicht. Dafür waren wir uns zu selten begegnet. Außer heute Morgen, nach meinem Jagdausflug. Ja, das war das einzige, was ich noch hätte durchgehen lassen, aber jemand außerhalb unserer Gemeinschaft konnte die Tragweite dessen nicht nachvollziehen, wenn eine Frau erfolgreich und absichtlich jagen gegangen war. Deshalb war seine Antwort schon in Ordnung, aber ich ließ mir nicht anmerken, dass ich sie verstanden hatte, mein Stammesbruder wusste das eh und es war für die anderen nicht wirklich relevant. Aber als er sich bei der Aussage des Kailasas über seinen Hunger auf Achaks so anspannte, blitzte in mir wieder die alte Geborgenheit auf, die uns im Stamm so verbunden hatte. Wusste der Achak überhaupt, dass der Stamm zerschlagen war? Auch wenn dies eigentlich nur kurzzeitig sein sollte, glaubte ich bei allem Optimismus nicht, dass wir die Risse wieder kitten können würden. Nein, dafür war es zu spät. Unser Oberhaupt hatte seine eigene Familie zerrissen. Vielleicht würde ich irgendwann wieder andere Achaks finden, mit denen ich mich zusammenschließen konnte, aber es würde nie wieder wie dieses alte, generationenstarke Fundament sein, auf das ich den größten Teil meines Lebens hatte bauen können. Ich war von Einzelgängern geboren worden, aber in der langen Zeit seit dem Tod meiner Eltern, war dieser eine Stamm mein Zuhause gewesen. Und dieses hatte dieser Sturm einfach in kleinste Scherben zersplittert, wie ein kunstvolles, vermeintlich stabiles Kunstwerk aus Glas. Und dieser Achak schien nichts von alledem zu spüren, was ich fühlte, dieses ganze Vhaos und die Hilflosigkeit. Und ich konnte mich auch nicht daran erinnern, ihn in der Runde wahrgenommen zu haben, als das Stammesoberhaupt die Tragödie verkündet hatte. Und war er mir nicht kurz vorher noch außerhalb des Dorfes begegnet? Er schien es tatsächlich nicht wissen zu können. Ich schluckte leise. Wahrscheinlich würde ich es ihm sagen müssen.
Ich wandte meine Aufmerksamkeit mit einem Mal vollkommen dem anderen Achak zu. Der Kailasa würde eh froh sein, mich loszusein, als ob er mich dann noch von hinten angreifen würde. Nein, dafür war er offensichtlich zu feige, oder zu gefangen von diesem Gespräch mit diesem Menschen, dachte ich sarkastisch, und trat zu meinem Artgenossen. Ich vernahm noch die letzten Worte der Wachiwi und hatte jetzt auch das Rieseln des Staubes und die Schritte über uns gehört. "Ach wirklich, das glaubst du? Schlaues Mädchen", sagte ich verächtlich - mehr war mir eine dahergelaufene Wachiwi nicht wert. Auch wenn ich immer noch neugierig war auf eine gewisse Weise, was der Achak mit ihr zu schaffen hatte. Auch wenn das jetzt nicht das Wichtigste war. Ich wandte mich meinem Stammesbruder zu und holte Luft. "Weißt du, was mit dem Stamm passiert ist? Was das Oberhaupt wegen dieses Sturms tatsächlich getan hat?", fragte ich ihn leise mit belegter Stimme, aus der all die überheblichen Lagen verschwunden waren. Allerhöchstens die Wachiwi würde mich noch verstehen können, wenn sie sich denn anstrengte und Lippen lesen konnte. Zum Glück hatten wir Achaks so gute Ohren. Ich wollte nicht, dass alle hier Anwesenden das hier erfahren würden. Das musste nicht sein. Es ging sie nichts an und sie sollten sich grunddessen bloß nicht einbilden, eine Chance gegen uns zu haben. Und genau das würden sie, wenn sie es mitbekommen würden.
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